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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Vom Weine erhitzt, vom Spiel erregt und vom Gelächter der Cameraden geärgert, sich von Sylvio beleidigt wähnend, riß plötzlich der Lieutenant einen Leuchter vom Tisch und schleuderte ihn in blinder Hitze nach unserem Wirth; gewandt wich der dem Wurfe aus, doch bleich vor Zorn und flammenden Auges erhob er sich, indeß wir Alle verlegen schwiegen.

„Hinaus, mein Herr!“ rief er, „danken Sie Gott, daß das bei mir geschah!“ –

Der Lieutenant erhob sich gleichfalls, und mit den Worten: „Fühlen Sie sich gekränkt, Sylvio, so stehe ich Ihnen jeder Zeit zu Diensten,“ entfernte er sich.

Wir Alle zweifelten nun keinen Augenblick, daß dieser Auftritt blutige Folgen haben werde, und betrachteten unseren Cameraden schon als einen todten Mann. Kurze Zeit nur spielten wir noch fort, dann als wir sahen, unser Wirth sei nicht mehr bei der Sache, brachen wir auf und sprachen auf dem Heimweg von nichts Anderem, als von der Vacanz, die die Schwadron bald haben werde.

Am andern Morgern trafen wir uns in der Reitbahn und fragten uns: „ist der Lieutenant noch am Leben?“ Sieh! da kam er frisch und munter selbst! Zu unserem Staunen hatte er von Sylvio keine Botschaft erhalten.

Kopfschüttelnd besuchten wir diesen nun und fanden ihn im Hofe seines Hauses Kugel auf Kugel in ein Kartenblatt sendend, das er an der Stallthür angeheftet hatte. Gleichmüthigen Wesens empfing er uns, als ob nichts vorgefallen sei, und verlor kein Wort über das gestrige Zerwürfniß. Dies Benehmen that Sylvio in der Achtung der Officiere großen Abbruch, denn Mangel an persönlichem Muthe verzeiht die bewaffnete Macht, die diesen weit über alle anderen Tugenden setzt, am allerwenigsten; nach und nach vergaß sich aber die unangenehme Sache, und Sylvio erlangte seinen alten Einfluß, seine frühere Stellung in unserem Kreise wieder – ich allein vermochte mich nicht zu überwinden, in’s alte, trauliche Verhältniß wieder zu ihm zu treten. Früher hatte mich meine romantische Phantasie zu ihm hingezogen, der mir ein unenthülltes Räthsel erschien, und ich glaube, auch er hatte vor Anderen mich bevorzugt, denn gegen mich allein enthielt er sich der Sarkasmen, von denen er gegen meine Cameraden oft überströmte, mir hatte er auch stets größere Offenherzigkeit erwiesen.

Nach dem fatalen Vorfall aber verließ mich der Gedanke nicht mehr, seine Mannesehre sei nun befleckt! – ich konnte ihm nicht mehr frei wie sonst in’s Antlitz sehen. Sylvio hatte zu scharfe Augen das nicht zu bemerken, es schmerzte ihn, wie es schien, einige Male versuchte er eine Erklärung seines Verfahrens zu veranlassen – ich wich ihr aber aus, weil sie mir peinlich gewesen wäre, und so verzichtete er endlich darauf.

Bewohner großer, volkreicher Städte wissen gar nicht, welche Sensation das unbedeutendste Ereigniß in einer kleinen Stadt macht. So bringt die Ankunft des Postwagens schon die Bevölkerung einer kleinen Stadt in Alarm, und jeden Dienstag und Freitag war unsere Regimentscanzlei voll Offieiere, denn der eine erwartete Geld von Hause, der andere Briefe, der dritte Zeitungen, die bald Gemeingut waren und mit Begier verschlungen wurden, man erbrach die Siegel gewöhnlich auf der Stelle, und theilte seine Neuigkeiten den Cameraden mit. Sylvio erhielt in unserem Felleisen auch seine Correspondenz, und so erhielt er eines Tages einen Brief, den er voll Ungeduld erbrach. Seine Augen schossen Blitze, indem er ihn durchflog; da indessen jeder nur mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt war, bemerkte dies Niemand außer mir.

„Meine Herren!“ rief er plötzlich mit lauter, erregter Stimme, „ich verlasse Sie noch diese Nacht, darum bitte ich, schenken Sie mir heute Mittag zum letzten Mal die Ehre Ihres Besuches! – Auch Sie, Herr Hauptmann,“ wandte er sich an mich, „erwarte ich mit Bestimmtheit.“ – Stumm verbeugte ich mich, er ging, und wir verließen das Bureau mit dem Versprechen, uns sämmtlich zu Mittag bei ihm einzufinden.

Zur rechten Stunde war ich dort und fand die Cameraden bereits versammelt. Wir gingen zu Tische, unser freundlicher Wirth, heute von fast nervöser Heiterkeit, steckte uns bald Alle mit seiner frohen Laune an, die Pfropfen sprangen, die Gläser füllten und leerten sich immer rascher, und allseitig wünschten wir dem Scheidenden Glück auf den Weg. Von jedem Gaste nahm Sylvio einzeln freundlichen Abschied, und als ich mich endlich auch empfehlen wollte, hielt er mich fest: „Ich bitte Sie, verweilen Sie noch einige Minuten, mit Ihnen habe ich noch allein zu reden!“

Ich blieb. In tiefem Schweigen saßen wir, unsere Tschibuk rauchend, auf seinem Divan; Sylvio’s Fröhlichkeit war verschwunden, tiefe Blässe bedeckte jetzt sein Antlitz, die Augen aber glühten durch die Wolken des Tabakrauches, die er von sich blies. So verflossen einige stumme Minuten, dann brach er endlich das Schweigen, das mir schon anfing peinlich, beängstigend zu werden.

„Zwischen uns Beiden bedarf’s der Aufklärung,“ begann er mit rauher, stockender Stimme; „der Anderen Meinung über mich kümmert mich wenig, Sie aber habe ich lieb und mag bei Ihnen keine falsche, üble Meinung hinterlassen. Sicherlich hat Sie’s befremdet, daß ich damals den Trunkenbold nicht, wie’s ihm gebührte, zur Rede stellte, nicht wahr? Das war wohl auch die Ursache, weshalb Sie sich von mir zurückgezogen? – Sehen Sie, Hauptmann, leicht könnt’ ich mein Verfahren auf Rechnung meiner Großmuth setzen, allein ich lüge nie! – Wär’ ich im Stande gewesen, ihn ohne jedes Risico von meiner Seite auf den Sand zu setzen, wäre mein eigen Leben ohne jegliche Gefahr dabei geblieben, ich hätte ihm wahrlich seines nicht geschenkt!“

Entsetzt beinahe von solcher zynischer Aufrichtigkeit starrte ich ihn an, ein solches Geständniß hatte ich nicht von ihm erwartet.

„Ich sehe Ihr Erstaunen,“ fuhr er fort, „ich aber mußte so handeln! Ich hatte kein Recht dazu, mein Leben auf’s Spiel zu setzen, denn vor sechs Jahren erhielt ich einen Backenstreich, und der mir ihn gab, ist noch am Leben.“

Mein Befremden wuchs.

„Sie haben nach einer solchen Beleidigung sich nicht geschlagen?“ frug ich ernst. „Trennte Sie ein unübersteigliches Hinderniß von Ihrem Feind?“

„O, wohl schlug ich mich, und hier ist der Beweis!“ Aus einer Schachtel nahm er eine alte Husarenmütze, gerade über der Stirn war sie durchlöchert. „Hören Sie weiter! Ich stand beim Czernomorischen Husarenregiment, war gewöhnt stets in Allem der Erste zu sein, und in meiner Jugend war’s guter Ton zu toben und zu lärmen, so war ich denn der ärgste Lärmer. Man pries damals die unverzagten Trinker, ich besiegte den tollen Dolgorucky, der um seine Völlerei besungen worden ist! – Duelle gab’s in unserem Regimente jeden Tag, bei jedem derselben war ich betheiligt, sei es als Kämpfer, sei es als Secundant, die Cameraden schätzten mich hoch, und unser Chef betrachtete mich als ein unheilbares Uebel, womit das Regiment behaftet sei. Ich ruhte bereits stolz auf diesem Lorbeer, als sich ein junger Graf zu unserem Corps versetzen ließ. In meinem ganzen Leben habe ich keinen vom Glück Begünstigteren gesehen! Jugend, Geist und Schönheit, großer Reichthum vereinten sich in ihm. Sie können sich denken, welche Stellung er bald in unserm Kreis erhielt! – Ich fühlte es, mein Thron begann zu wanken. Der Graf hörte bald überall meinen Namen nennen; war von einem lustigen, tollen Streich die Rede, ich war’s gewesen, der ihn ausgeführt; er wurde begierig, meine Bekanntschaft zu machen, er suchte meine Freundschaft, ich aber, eifersüchtig auf meinen präsumtiven Nachfolger im Renommée des Löwen, wies ihn kühl zurück. Lächelnd nahm er die Abweisung hin, ich aber, davon beleidigt, fing an ihn zu hassen. Ihn kümmerte das wenig, mich aber machte sein Erfolg bei den Cameraden, wie bei den Damen völlig rasend. Ich suchte Händel an ihm, aber er blieb kalt, erwiderte all meine Stachelreden mit noch witzigeren Bonmots und lachte mich aus, und was das Allerschlimmste für mich war, hatte alle andere Lacher auf seiner Seite. Endlich auf einem Balle, den ein Landedelmann der Umgegend unserer Garnison uns gab, konnte ich meinen Haß nicht länger meistern, ich sah auch hier ihn wieder als das verzogene, vorgezogene Schooßkind aller Damen, zumal der Frau vom Hause, der ich selbst zu Füßen lag, das stieß dem Faß den Boden aus, und ich raunte ihm in einer Quadrille eine brutale Beleidigung in’s Ohr. Die konnt’ er freilich mit einem Witzwort nicht vergelten und – schlug mich in’s Gesicht. Einige Damen fielen vor Schreck in Ohnmacht, man trennte uns und Beide verließen wir den Ball.

Mit Sonnenaufgang stand ich auf dem Kampfplatz, mit ungeduldiger Spannung den verhaßten Feind erwartend. Endlich kam er mit seinem Zeugen angeschlendert, die Uniform am Säbel über die Schulter tragend, aus seinem Käppi lustig, sorglos

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_626.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)