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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Süden und Norden.
Eine bairische Dorfgeschichte von 1866.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Tonerl hatte die Augen niedergeschlagen, und die Hände in den Schooß legend, spielte sie mit dem Schürzenbande. „Ich dank’ Ihnen recht schön dafür,“ sagte sie. „Ich bin schon froh, wenn Sie mich net ganz vergessen haben.“

„Wie könnt’ ich das!“ rief Günther feurig. „Ich begreife selbst nicht, wie das zugeht, aber nachdem ich von Dir fort war, erkannte ich erst, wie sehr ich mich an Dich gewöhnt hatte! Der Gedanke an Dich hat mich auf Schritt und Tritt begleitet, und ich konnte die Zeit nicht erwarten, wo wir wieder in den Süden kommen würden, zu Euren schönen Bergen!“

Tonerl sah ihn mit aufleuchtenden Augen an. „Net wahr,“ sagte sie, „es ist schön in unsere Berg – es ist schön in meiner Heimath, in mein’ lieben Baierland?“

„Gewiß!“ entgegnete Günther. „Es ist ein Garten unter den Ländern – in dem die schönste Blume blüht, wenn es auch nur eine duftige Feldblume wäre! Wie aber ist es mit Dir? Hast auch Du meiner gedacht?“

„Ich?“ antwortete sie befangen. „Ich hab’ zu so was keine Zeit gehabt. Es giebt immer so viel Arbeit, und bei der Arbeit muß man seine Gedanken bei einander haben.“

„O, ich war eben auch nicht müßig,“ rief Günther wieder, „aber ich habe doch die Zeit gefunden, an Dich zu denken. Ich that es während der Arbeit. Jede ländliche Verrichtung, die ich vornehmen sah, erinnerte mich an Dich. Wenn der Hahn im Hofe krähte, erinnerte ich mich, wie ich Dich auf dem Funkenhauserhofe gesehen hatte, mitten unter Deinem Hühnervolke stehend, und wie sich Dir die Tauben auf Kopf und Schulter setzten, und wenn es Abend wurde, sah ich Dich, mit der Sichel in der Hand und die frische Grasbürde auf dem Kopfe, von der Wiese hereinkommen, wie das erste Mal als wir uns begegneten. Ich habe Abends nach der Arbeit an Dich gedacht und Morgens vor derselben. Wenn man will, bleiben immer gar viele Minuten übrig.“

„Wir haben keine Uhr, die so genau geht,“ entgegnete Tonerl ausweichend. „Wir können uns nur nach der Sonn’ richten.“

Günther schwieg und sah sie einen Augenblick von der Seite an. „Du willst nicht antworten, wie es scheint,“ sagte er dann. „Du willst nicht Ja sagen, weil Du das wahrscheinlich nicht kannst, und scheust Dich doch auch Nein zu sagen, weil Du denkst, daß es mich verletzen würde. Freut es Dich denn gar nicht, daß ich wieder da bin?“

„Ich müßt’ lügen, wenn ich auf die Frag’ Nein sagen wollt’,“ erwiderte sie nach einigem Besinnen. „Also ist’s wohl gescheidter, ich sag’s Ihnen, wie’s ist. Ja, es freut mich, und ich bin recht froh, daß Sie wieder da sind.“

„Nun, siehst Du,“ rief Günther entzückt, „so hab’ ich Dich gern. Das ist das liebe, offene Wesen, das mir immer an Dir so wohl gefallen hat. Ach warum –“

Er brach ab und verstummte; auch sie fand sich nicht bewogen, um die Fortsetzung des unvollendeten Satzes zu fragen. Eine Pause von ein paar Minuten trat ein, in welcher Jedes nach anderer Richtung an die Berge hinansah, als wäre dort Wunder irgend etwas Merkwürdiges zu sehen.

„Ich habe Dir auch ein Buch mitgebracht zum Andenken. Den ‚väterlichen Rath an meine Tochter‘, den Du im vorigen Jahre bei meiner Schwester gesehen, und worin Du so gerne gelesen hast.“

„Ach mein!“ erwiderte sie beschämt. „Ich hab’ ja das Wenigste davon verstanden.“

„Das schadet nicht. Du wirst es öfter lesen und dann Alles verstehen. Siehst Du, ich habe das Buch in meiner Jagdtasche mitgebracht.“

Er hatte dabei den Rücksack geöffnet und einen in schwarzes Leder mit Golddruck sauber gebundenen Band hervorgeholt, den Tonerl schüchtern und neugierig ergriff, indem sie vor dem Anfassen die Fingerspitzen an der Schürze abwischte.

„Aber das ist ja viel zu kostbar für mich!“ rief sie lachend, „Und warum haben Sie’s denn schwarz gemacht? Das sieht ja aus wie das große Buch, das der Meßner bei der Todtenvigil hat oder bei der Seelmeß’!“

„Wenn es Dir nicht gefällt, will ich es anders binden lassen. Hast Du eine Farbe, die Dir die liebste ist?“

„Wie Sie nur so fragen können! Freilich hab’ ich eine Leibfarb’, und das ist blab (blau), und das schon von wegen der Bedeutung. Das Schwarz das ist der Tod und die Traurigkeit und die Feindschaft – das Blau aber das bedeut’t die Treu’ und die Beständigkeit, und dann – ist denn das Blaue net auch die Farb’ von mein’ lieben Baierland?“

„Du sollst einen blauen Einband haben,“ rief Günther hastig. „Du sollst ein Zeichen der Treue haben, der Beständigkeit und der –“ Wieder erstarb ihm das Wort auf der Zunge; auch Tonerl war unruhig geworden und rückte unbehaglich auf ihrem Sitze hin und her. „Du bist so befangen, Mädchen,“ begann er wieder nach einiger Zeit. „Du siehst immerwährend um Dich – erwartest Du Jemand, oder ist Dir meine Gegenwart lästig?“

„Nein,“ sagte sie, indem sie nach dem Schürzenzipfel haschte, „ich erwart’ Niemand, und Sie sind mir auch gar net lästig, aber es wär’ mir doch lieber, wenn Sie gingen.“

„Nun, das nenn’ ich wenigstens offen gesprochen!“

„Soll ich nicht?“ fragte sie und richtete die großen, dunklen Augen fest auf ihn. „Sie sagen ja, daß Ihnen g’rad’ das an mir so g’fallt. Sehen S’, ich kann Ihnen gar net sagen, wie mich das freut, daß Sie zu mir ’kommen sind und haben mir ‚Grüß Gott‘ g’sagt, bevor die Andern alle kommen … Aber eben deswegen mein’ ich halt – es wär’ justament net nothwendig, daß ’s die Andern alle wissen.“

„Ah, ich verstehe Dich,“ sagte Günther lächelnd und sich rasch erhebend. „Du willst den Schein vermeiden.“

„Wenn ich aufrichtig sein soll – ja.“

„So sage mir auch, warum? Und welcher Schein wäre das, den Du vermeiden möchtest?“

Tonerl lachte fröhlich und doch nicht ohne Verlegenheit auf.

„Nix für ungut,“ sagte sie dann. „Aber das ist eine tappete Frag’. Das können Sie sich ja an die Finger abbeten …. wenn die Andern alle kommen und finden uns allein bei einander, müßten sie denn net denken, daß – daß wir Zwei –“

„Daß wir Zwei einander gut sind?“ sagte Günther, indem er näher trat und seinen Arm leise um ihre Hüfte legte. „Es wäre wohl möglich, daß die Leute so etwas denken würden – wäre Dir denn dieser Schein so sehr zuwider?“

„Gehen S’ fort, Herr Günther,“ sagte Tonerl herzlich, „ich bitt’ Ihnen gar schön.“

„Antworte mir zuerst! Dann will ich gehen. Wäre dieser Schein Dir so sehr unangenehm?“

„Gehen Sie aber nachher g’wiß?“ fragte sie, indem sie ihm mit offenem Lächeln kindlich in’s Gesicht sah. „Versprechen S’ mir das?“

„Ja.“

„Dann will ich Ihnen antworten,“ sagte sie, „und sag’ Ihnen, daß mir aller Schein zuwider ist … Ich halt’s überall lieber mit der Wahrheit.“

Damit hatte sie mit einer raschen, neckischen Bewegung sich aus seiner halben Umschlingung befreit und war in die Hütte entflohen. Unschlüssig sah ihr der junge Mann ein paar Augenblicke nach, als ob er mit dem Entschlusse kämpfte, ihr zu folgen. Dann blickte er nach allen Seiten herum, und als er nirgends eine Spur von Menschen bemerkte, eilte er raschen Schrittes wieder dem Walde zu, aus dem er gekommen war. Es gelang ihm auch, denselben zu erreichen, ehe die erwartete Gesellschaft auf der Blümelalm eintraf.

Diese war inzwischen schon ziemlich weit im Bergwalde hinangestiegen und machte eben auf einer Rasenblöße Halt, auf welcher eine majestätische Buche ihre Arme, wie ein Zelt zur Rast bei gutem und zum Schirm bei stürmischem Wetter, ausbreitete. Daneben stand ein durch ebenso ansehnliche Höhe und eine stattliche Krone ausgezeichneter Wildkirschbaum und unter ihm ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_638.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)