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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

halb verwitterter Bildstock, wie sie hier und da an Wegen und Stegen getroffen werden, mit einem wetterverblichenen, kleinen Gemälde daran. Der ganze Zug sah sich recht anmuthig an, und es hätte nur eines Rahmens bedurft, um daraus ein recht hübsches Bild von ländlicher Waldeinsamkeit zu schaffen.

Die Funkenhauser Bäuerin in ihrer Rüstigkeit hatte sich’s nicht nehmen lassen, voranzuschreiten als Wegweiser und Reiseführer, und der schwere Henkelkorb mit Eßwaaren, den sie am Arme trug, hinderte sie nicht, so rasch auszuschreiten, daß Frau Schulze, eine kleine, etwas beleibte Frau mit angenehmen Zügen von gütigem Ausdruck und einem Paar klarer, frischer Augen, mitunter ernstlich Mühe hatte, ihr folgen zu können, und von Zeit zu Zeit der Rast bedurfte. Neben Beiden in kleiner Entfernung hielt der Geisbub’, dessen rothe Sonntagsweste sich von der grünen Waldumgebung als einziger heller Farbenton abhob, gleich als wäre er von einem Maler mit Absicht leuchtend hineingesetzt. Er hielt die braune Liese am Zügel mit so stolz bewußter Haltung, als sei er ein Edelknecht und habe das Saumroß einer durchlauchtigen Fürstin zu führen. Das wohlgenährte Thier war ebenfalls stattlicher als sonst geschirrt und schien sich auch auf seinen Putz etwas zu Gute zu thun; denn alle Augenblicke schüttelte es den Kopf, daß die gelben Troddeln daran hin- und herflogen. Für die Reiterin selbst hatte Ambros wirklich trefflich gesorgt und an dem mit weichen Decken behangenen Sattel sogar etwas wie eine Lehne angebracht, worauf sie sich stützen und so den Ritt vollenden konnte, als ob sie in einem bequemen Stuhl säße. Ein helles, langes Sommerkleid war über die schlanke Gestalt gegossen, wie ein leichter sie ganz umhüllender Mantel; das fein geformte, aber eingefallene Angesicht war von jener durchsichtigen, wachsartigen Weiße, welche nur zu deutlich erkennen ließ, wie weit das Todeswerk der Zerstörung in ihrer kranken Brust schon um sich gegriffen hatte. Die Hand, mit welcher sie, leicht seitwärts geneigt, sich an der Lehne hielt, war zart und zum Durchscheinen mager. Blondes Haar von seltener Stärke und Schönheit fiel in reichen Locken darüber herab; es war das Einzige, was noch an die Erde und irdischen Schmuck zu erinnern schien; denn der eigenthümliche Glanz in den blauen Augen war etwas, was bereits nicht mehr diesen tiefen Regionen angehörte.

„Alwine,“ sagte Frau Schulze, die einen Augenblick hinzugetreten war, „wie ist Dir, mein Kind? Strengt Dich der Ritt doch nicht an?“

Sie nickte der Mutter freundlich zu, und aus den schönen Augen brach ein Strahl unendlicher Liebe und Lieblichkeit. „Nicht im mindesten, Mutter,“ sagte sie. „Mein getreuer Stallmeister hat für mich gesorgt, daß ich wie im Bette ruhe. Mir ist sehr wohl, Mutter, so wohl, wie ich mich lange nicht gefühlt habe. Besonders ist es die Waldluft, die mich erquickt, der Harzduft, der von den Tannen strömt. Wie beneide ich die Vögel, die Glücklichen, die immer in diesen immergrünen Zweigen wohnen dürfen! Ach, da begreift es sich wohl, daß es ihnen so leicht ist um die Brust, und daß sie fröhlich singen können!“

„Das macht mich recht glücklich, liebe Alwine!“ sagte Frau Schulze, indem sie verstohlen sich eine Thräne abtrocknete. „Auch Dir wird es wieder leicht werden in der Brust, auch Du wirst wieder singen, mein Kind. Du mußt nur heiter sein und den Sommer recht genießen. Nicht wahr, meine Liebe?“

Die Kranke reichte ihr die Hand herunter; dann trat Frau Schulze wieder zu der Bäuerin, welche noch immer vor dem Bildstock stand und denselben tiefsinnig betrachtete. „Ich habe mir das Ding auch schon angesehen,“ sagte sie, „ich kann aber nicht klug daraus werden, was es vorstellt. Ich sehe einen Baum, an welchem ein Ast bricht, einen Knaben, der herunterfällt, und eine Frau, welche unten voll Schrecken die Hände zusammenschlägt. Das soll wohl seine Mutter sein?“

„Ja wohl,“ sagte die Funkenhauserin, „das ist eine wahre Geschichte, die sich vor hundert Jahren, oder wie lang’s etwa her ist, auf dem Platz da zugetragen hat. Die Hauptsach’ aber ist die Mutter Gottes da über’m Baum. Die Mutter, das ist eine Bäuerin gewesen von da drüben aus dem nächsten Dorf. Die hat im Holz g’arbeit’t; während dem ist ihr Bübel auf den Kirschbaum den Kirschen nachgekraxelt, da ist der Ast ’brochen, und es ist ’runterg’stürzt; aber wie’s schon im Fallen war, hat sich die Frau in ihrer Angst verlobt, daß sie barfuß eine Wallfahrt machen wollt’ zur Mutter Gottes vom Birkenstein. Da ist das Bübel net g’fallen, sondern ist ’runter’kommen, wie wenn’s Jemand g’halten und langsam ’runterg’lassen hätt’.“

„Aber, liebe Funkenhauserin,“ sagte Frau Schulze mit leichtem Lachen, „das kann doch unmöglich wahr sein!“

„Warum net?“ entgegnete die Bäuerin verwundert. „Derselbige Stock steht schon bald in die hundert Jahr da, und das ist auch noch derselbige Kirschbaum; da muß’s doch wahr sein.“

„Freilich, das ist ein Grund, gegen den sich nicht viel einwenden läßt,“ fuhr Frau Schulze in einem Tone fort, der fast spöttisch klang, aber sie brach mitten in der Rede ab, denn ihr Blick traf in Alwinens tiefglänzendes Auge, das wie eine ernste Mahnung fest auf ihr ruhte.

„Die Frau hat vielleicht doch Recht, Mutter,“ sagte das Fräulein sanft und halblaut. „Wer weiß, ob sie nicht zu beneiden ist? Es heißt nicht umsonst: ,Selig sind, die da nicht sehen und doch glauben.‘“

Frau Schulze nickte ihrer Tochter zu und nahm mit der Bäuerin das frühere unterbrochene Gespräch über Wirthschaft und Haushaltung wieder auf, denn das war etwas, worin die beiden Frauen sich vorzüglich verstanden. Es gab da hunderterlei kleine Dinge, die einer Jeden anziehend und wohlbekannt waren, und über welche doch Jede der Anderen etwas Neues und Nützliches zu sagen wußte. Gartenbeet und Küchenschrank, Leinwandkasten und Flachsacker boten unerschöpfliche Anlässe dazu, und als die Bäuerin darüber klagte, daß in diesem Jahre so ungewöhnlich viele Bohnen wüchsen, und sie nicht mehr wisse, was mit der Gottesgabe anfangen, wenn man sie nicht dem lieben Vieh geben wolle, da war Frau Schulze gleich mit gutem Rathe zur Hand, und die Bäuerin ließ sich begierig erklären, daß man die Bohnen an einen Faden anreihen und dann überkocht und wieder getrocknet auf den Speicher hängen und so viele Monate lang bis tief in den Winter hinein aufbewahren könne.

So waren sie wieder ein gutes Stück Weges weiter gekommen, als hastigen Schrittes aus einem Waldwege Ambros hervorkam und plötzlich, selbst überrascht, den staunenden Frauen gegenüberstand.

„Ambros,“ rief die Funkenhauserin, als sie ihn erblickte, „wo kommst denn Du her, allein und so ganz erhitzt? Was ist’s denn mit dem Herrn Günther? Wo hast Du den gelassen?“

„Um Gotteswillen!“ rief Frau Schulze hastig. „Was ist’s mit meinem Sohne? Es ist ihm doch nichts zu Leide geschehen? Rede, Ambros! Wart Ihr nicht miteinander auf der Jagd?“

„O ja, ja,“ sagte Ambros mit unmuthigem Lachen, „wir waren auf der Jagd. Wir haben auch was g’schossen, und dem Herrn Günther ist nix zu Leid g’schehen. Er hat sich nur den Spaß g’macht und hat mich ein bissel zum Narren g’habt. Wir haben ausg’macht, daß er auf mich warten sollt’, bis ich den Bock ab’tragen hätt’, er aber hat sich aus dem Staub g’macht und ist fort, wahrscheinlich, um a bissel früher auf die Blümelalm zu kommen.“

„Und das ist Dir wohl nicht recht?“ fragte Alwine, zu welcher er an das Pferd herangetreten war und grüßend emporsah. Er vermochte aber nicht lange, ihren Blick auszuhalten, und sah unwillig und verwirrt zu Boden. „Du bist wieder einmal zornig,“ fuhr sie sanft fort, „nicht wahr? Und Du bist es deswegen, oder hast Du einen anderen Grund zum Unwillen?“

Ambros blickte noch immer nicht empor. „Es ist schon wahr,“ sagte er ärgerlich, „es hat mich verdrossen, daß er davon ist – aber das ist’s net allein. Ich hab’ mich g’ärgert, weil ich da droben im Steinwald wieder dem fremden Mannsbild begegnet bin, das schon seit ein paar Wochen sich bei uns ’rumtreibt und alle Weg’ und Steg’ aufschreibt und jedes Straßl und jede Brücken abzeichnet. Er hat mich auch angerufen und hat gefragt, ob’s net an andern und näheren Weg über den Gamskogel geben thät …“

„Nun, was ist daran Sonderbares?“ sagte Alwine. „Es wird ein Kartenzeichner sein oder Jemand von der Landesvermessung.“

„Kann sein, kann sein auch net,“ murrte Ambros. „Mir kommt der Mensch einmal verdächtig vor, und ich laß mir’s net nehmen, daß er was auskundschaften will. Ich hab’s ihm auch g’sagt. Wenn Sie einen anderen und näheren Weg wissen wollen, hab ich g’sagt, dann suchen S’ ihn selber; aber von Unsereinem müssen S’ net verlangen, daß wir ihn Ihnen zeigen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_639.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)