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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

lediglich, darauf beschränkt haben, daß der Kurfürst, der seine Gemahlin, die berühmte Sophie Charlotte, aufrichtig und treu geliebt hat, nur zu gewissen Stunden des Tages in einer besonderen Galerie des Schlosses mit seinen Favoriten gravitätisch auf und nieder ging, um die Mode jener Zeit mitzumachen, zu der an jedem Hofe auch eine wirkliche oder Titular-Favorite gehörte.

Einmal zu dieser Höhe gelangt, kannte das würdige Paar keine Grenzen mehr für seinen Stolz und Uebermuth. Die frühere Schifferstochter forderte und verlangte den Vortritt vor allen Damen am Hofe, und selbst die Herzogin von Holstein verkaufte ihr für eine Summe von zehntausend Thalern dieses Recht, so daß ihr nur die Prinzessinnen des königlichen Hauses vorgingen. Die stolzen märkischen Damen von Adel mußten sich fügen oder sich zurückziehen. Selbst die Königin Sophie Charlotte hatte von der Frechheit dieser Parvenue zu leiden, da sie zu stolz und ehrenwerth war, der Gräfin den Zutritt zu ihren geistreichen Kreisen zu gestatten, und sich mit ihren Vertrauten und Freunden über die ungebildete Titular-Favorite moquirte. Die Letztere rächte sich dadurch, daß sie Zwietracht zwischen dem hohen Paare säete und außerdem die Einkünfte der Königin durch den Günstling schmälerte. Es kam selbst zu argen Auftritten und Conflicten mit den Frauen der fremden Gesandten. Bei der Taufe einer neugeborenen Prinzessin verlangte die Gräfin Wartenberg wie gewöhnlich den Vortritt vor allen übrigen eingeladenen Damen. Diesen unverschämten Ansprüchen wollte sich Frau von Lintlo, die Gemahlin des holländischen Gesandten, nicht fügen. Hinter einer Draperie versteckt, nahm sie den günstigen Augenblick wahr, um der Gräfin zuvorzukommen. Diese erholte sich jedoch bald von ihrer Ueberraschung und packte die Gesandtin bei ihrem Kleide, um sie zurückzuzerren. „Frau von Lintlo,“ so erzählt ein Augenzeuge, „machte jedoch eine geschickte Wendung, that einen Seitensprung und richtete im Kopfputz der Gräfin eine große Unordnung an, welche von der Gräfin durch einige Rippenstöße ripostirt wurde.“

Dieser Damenkampf drohte eine ernste politische Verwickelung herbeizuführen. Die Gräfin verlangte und erhielt die gewünschte Satisfaction, indem der Gesandtin der fernere Besuch des Hofes verboten und eine feierliche Abbitte von ihr gefordert wurde. Als der Gesandte dagegen opponirte, erließ Graf Wartenberg eine Note an die Generalstaaten, worin er drohte, die im Dienste der Generalstaaten stehenden preußischen Hilfstruppen zurückzuziehen; gleichzeitig erließ er an den commandirenden General den Befehl, Alles zum Rückmarsch anzuordnen. Unter diesen Umständen sah sich Frau von Lintlo durch die Instruktionen der Generalstaaten gezwungen, ihrer Gegnerin öffentlich eine vorher genau stylisirte Abbitte zu leisten.

Aber nicht immer war die Gräfin so glücklich, das Feld zu behaupten. Die zweite Gemahlin des Königs war nicht so nachsichtig wie die liebenswürdige Sophie Charlotte, die sich mit einigen Spöttereien begnügte. Als die Königin mit ihren Damen, unter denen sich auch die Favorite befand, an einem Teppich arbeitete, ließ diese sich von ihrem eigenen Bedienten den Kaffee in einer silbernen Tasse serviren. Ueber diese maßlose Unverschämtheit erzürnt, befahl ihr die Königin, sich mit ihrem Bedienten zu entfernen und ihren Kaffee zu Hause zu trinken. Da die Gräfin sich jedoch nicht stören ließ, rief die wüthende Königin einen Lakaien, um „diese Frau da“ und ihren Bedienten aus dem Fenster zu werfen. Auch die russische Gesandtin, Gräfin Matuoff, war nicht geneigt, den frechen Ansprüchen der Gräfin zu weichen. Bei einem Diner, das der Ersteren zu Ehren gegeben wurde, weigerte sich die Favorite zu erscheinen, wenn ihr nicht vorher der Vortritt zugestanden würde. Da dem Könige damals viel an der Freundschaft des russischen Hofes lag, so mußte sich in diesem Falle die Gräfin Wartenberg, wenn auch mit Widerstreben, zur Abbitte bequemen.

Solche Vorfalle mußten auf die Länge der Zeit selbst den gutmüthigen König auf das Treiben seines Günstlings aufmerksam machen und sein unbegrenztes Vertrauen erschüttern. Dazu kamen noch Klagen gegen Wartenberg und seinen Anhang. Diesmal trat der Kronprinz selbst, dem bei seiner Sparsamkeit die Verschwendung des Günstlings besonders verhaßt war, an die Spitze einer Partei, welche um jeden Preis den Minister entfernen wollte.

Die gefährliche Rolle des Anklägers übernahm der „ehrliche Kamecke“, ein biederer, anspruchsloser Mann, der dem verblendeten Könige die Augen öffnete. Durch das Schicksal des unglücklichen Werfen gewarnt, richtete er seine Beschuldigungen nicht direct gegen den Grafen Wartenberg, sondern gegen den Grafen Wittgenstein, dessen ergebenste Creatur. Kamecke führte nämlich den Beweis, daß Wittgenstein sich eigenmächtig eine Gehaltszulage von fünftausend Thalern zugetheilt, große Summen, die zur Unterstützung der durch die Pest heimgesuchten Provinzen bestimmt waren, unterschlagen und außerdem siebenzigtausend Thaler, die der König für die abgebrannte Stadt Crossen bewilligt, für sich zurückbehalten habe. Wittgenstein wurde für schuldig befunden und auf die Festung Spandau gebracht, trotzdem er sich in seiner Vertheidigung auf die Befehle des Grafen Wartenberg berief. So groß war die Wuth des erbitterten Volkes, daß bei seiner Abführung ihn seine militärische Begleitung vor Mißhandlung schützen mußte.

Bald folgte ihm der Günstling nach, obgleich der König nur ungern in seine Entlassung willigte. Der Graf, welcher seine Schwäche nur zu gut kannte, forderte nur noch einmal seinen Gebieter zu sehen; er ließ sich vor ihm auf ein Knie nieder und bat ihn flehentlich, ihm nicht seine Gnade zu entziehen, da er lieber sterben als den Anblick seines gütigen Herrn missen wolle. Es gelang ihm in der That, den gutmüthigen Friedrich bis zu Thränen zu rühren; er umarmte den Grafen und schenkte ihm noch einen Ring im Werthe von sechsundzwanzigtausend Thalern, aber trotzdem blieb er fest, indem er die Nothwendigkeit der Trennung einsah und deshalb den Grafen vom Hofe verbannte. Vor seiner Abreise schrieb er noch einmal dem König und ersuchte ihn, seinen Palast in der Poststraße und den Garten Monbijou, den die Gräfin nach dem Tode der Königin Sophie Charlotte zum Geschenk erhalten hatte, sowie sein kostbares Porcellan-Cabinet von ihm annehmen zu wollen. Der König bewilligte dies Gesuch, ließ ihm aber den vollen Werth der Schenkung in baarem Gelde auszahlen. Mit dieser Summe und den Millionen, die er dem Lande abgepreßt, zog sich der gestürzte Günstling nach Frankfurt am Main zurück, wo er unangefochten bis zum Jahre 1712 lebte und bis zu seinem Tode noch eine Pension von vierundzwanzigtausend Thalern bezog. Seine Bestrafung konnte nicht erfolgen, da er von jeder Verantwortung durch die oben angedeutete Urkunde freigesprochen wurde, deren bemerkenswerther Passus lautet: „daß, wenn bei des Oberkämmerers Verwaltung der Domänen und Schatullengüter irgendwelche Unrichtigkeiten in den Rechnungen, Versäumnisse und Vernachlässigungen der kurfürstlichen Interessen vorkommen sollten, nicht er, der Oberkämmerer, sondern die Subalternen zur Verantwortung gezogen werden sollten.“

Auch Graf Wittgenstein wurde schon nach einem halben Jahre wieder von der Festung entlassen, mußte aber achtzigtausend Thaler Strafgelder zahlen und das Land meiden. Trotz dieser milden Behandlung erhoben seine Standesgenossen Beschwerde beim Kaiser, indem sie dem Könige das Recht bestritten, einen deutschen Reichsgrafen, der in seinen Diensten und Sold stand, zu bestrafen, auch wenn er ein notorischer Verbrecher und überführter Betrüger wäre. Der Dritte in dem sauberen Bunde, Graf Wartensleben, war ein gutmüthiger Mann, nur gegen den allmächtigen Günstling allzu nachgiebig und gefällig; er wurde deshalb nur seiner Aemter entsetzt und vom Hofe verwiesen. Die verbannte Favorite begab sich nach dem Ableben ihres Gatten nach Paris, wo sie ihr Leben fortsetzte und so viele Liebschaften hatte, daß man, wie sie selbst frivol von sich rühmte, eher die Muscheln am Strande von Scheveningen zahlen könne, als ihre galanten Abenteuer.

Trotz aller Beweise schwerer Schuld bewahrte der König dem gefallenen Günstling eine fast unbegreifliche Freundschaft. Am Tage, wo die Leiche des Grafen Wartenberg laut seiner testamentarischen Anordnung nach Berlin gebracht wurde, um in der dortigen Parochialkirche beigesetzt zu werden, vergoß Friedrich Thränen der Trauer und ließ sich längere Zeit von Niemand sprechen. Das preußische Volk aber bewahrte dem Günstling und seinen Creaturen ein wohlverdientes schimpfliches Andenken durch den Namen der „drei Wehs“.

R.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_667.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)