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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Und siehe da, der General spielte diesem Posa gegenüber den Philipp; auch nicht mit einem Zucken der Wimper wies er das vermessene Wort zurück.

Befreit von den polizeilichen Belästigungen und wieder eingesetzt in die bürgerlichen Rechte, so weit diese in Oesterreich überhaupt existirten, führte Giskra bis zum Jahre 1861 ein zurückgezogenes Leben. Als jedoch das Regierungssystem der Herren Bach und Kempen bei Solferino eine Niederlage erlitt, von welcher es sich nicht mehr erholen sollte, als die bedrängten Lenker des österreichischen Staates durch schüchterne Versuche mit parlamentarischen Einrichtungen den Zorn der Bevölkerung zu beschwichtigen hofften, trat Giskra aus seiner Schreibstube heraus, um sich in das politische Treiben zu mischen. Bei den Wahlen für die Landtage machte der Advocat zu Brünn seine Candidatur in einer hinreißenden Rede geltend und erlangte die Mehrheit der Stimmen. Aus dem mährischen Landtage wurde er bald in den Reichsrath geschickt, wo er eine hervorragende Stellung unter den Männern des Widerstandes einnahm, die der politischen Lüge des Herrn von Schmerling, dem Vertrag mit Rom und sonstigen Verkehrtheiten entgegentraten.

Eine räthselhafte und nur aus den traurigen Erfahrungen mit österreichischen Märzministern erklärliche Erscheinung ist die, daß in der liberalen Partei ein gewisses Mißtrauen gegen Giskra bei aller Würdigung seiner Fähigkeiten niemals ganz zu besiegen war. Aller Anerkennung der Verdienste des begabten Mannes mischte sich stets die Besorgniß bei, daß er gegebenen Falles die Rolle Bach’s zu übernehmen sich könnte bereit finden lassen. Auf diesen dunklen Argwohn beziehen sich die Worte in der Candidaten-Rede, welche Giskra den 22. März 1861 an die Wahlmänner zu Brünn gerichtet. Diese Worte lauten:

... „Sie mögen es glauben, daß mich vor Niedrigkeit, vor Treubruch der Stolz in meiner Brust bewahrt. Nur einen Stolz giebt es, der im Staate menschenwürdig und der edel ist, das ist der Stolz des Bürgers und des Ehrenmannes, und dieser ist mein eigen und wird es bleiben, wenn auch Alles feil und niedrig würde; der soll die Brust mir schwellen, wenn auch Scheelsucht und Verleumdung noch ärger an mir nagen; er wird mich fest und unerschütterlich erhalten, wenn man auch mit Glanz und Ehren mich berücken wollte; er wird mir bleiben, so lange das deutsche Herz mir im Busen schlägt, so lange bis ich das müde Haupt zur Ruhe neige.“

Bis jetzt, man muß es gestehen, hat Giskra sich von der freiheitlichen Richtung, wie er sie nun einmal versteht, durchaus nicht abbringen lassen; es ist eine Thatsache, daß Schmerling mit Versuchungen aller Art an den Brünner Abgeordneten herangetreten, daß aber die Verführungskünste des Ministers an der Ehrenhaftigkeit seines politischen Gegners gescheitert sind. Möglich wäre es wohl, daß die Geschmeidigkeit des Benehmens, die Glätte der gesellschaftlichen Formen den jetzigen Minister des Inneren in den Verdacht biegsamer Grundsätze gebracht habe; gewiß aber ist es, daß diese weltmännische Gewandtheit Giskra’s der Stadt Brünn während ihrer Besetzung durch preußische Truppen von erheblichem Nutzen gewesen. Zu jener Zeit war Giskra Vorsteher der Gemeinde, und er wußte manchen Uebelstand der schwierigen Lage zu beheben, manches Verdrießliche und Störende fern zu halten.

Dem König Wilhelm und seinem ersten Minister, dem Grafen Bismarck, gefiel der Verkehr mit dem Brünner Bürgermeister und sie mochten gern sich ihm freundlich erweisen. Und so gelang es diesem, ausgleichend zu wirken. Die Hauptstadt ist dafür dankbar und feiert seinen Namen. Giskra ist in diesem Augenblick ein populärer Mann, viele Städte, besonders in Mähren, haben ihn zum Ehrenbürger ernannt; aber so populär, wie in Brünn, ist der Minister wohl nirgends. Einiges Aufsehen hat es seiner Zeit gemacht, als Giskra zum Lohn für seine Verdienste um das Wohlergehen der Stadt Brünn den Franz-Joseph-Orden erhielt und annahm. Die Freisinnigen schrieen Zeter ob solcher Verlockung von der einen, ob solcher Weichmüthigkeit von der anderen Seite. Die Strengeren forderten von dem Freiheitsmann, daß er die monarchische Auszeichnung, daß er die „goldene Fessel“ zurückweise. Der Bürgermeister war in der peinlichsten Verlegenheit. Er ist nicht aus dem Stoffe eines Ludwig Uhland gemacht, um schlicht und gerade eine fürstliche Huld zurückzuweisen, wie es der schwäbische Dichter gethan, und doch fühlte er, daß seine Parteistellung, daß sein Ruf eines unabhängigen Mannes durch das Bändchen an der Brust leiden werde. Durch eine glückliche Redensart half sich der gewandte Mann aus der Klemme. Er erklärte angesichts der civilisirten Welt, daß er den Orden lediglich als eine Auszeichnung für die Stadt Brünn annehme, und – den verschiedensten Bedenklichsten war genug gethan.

Noch mehr Anstoß als die Ordensverleihung erregte die Ernennung Giskra’s zum Präsidenten der zweiten Kammer durch den Kaiser. Der Abgeordnete war in Verzweiflung. Er hatte so eindringlich und so häufig für das Recht der Kammer gesprochen, ihren Vorsitzenden selbst zu wählen, und nun soll er mit sich selbst und seiner bekannten Ueberzeugung in Widerspruch eine Ernennung annehmen, deren Charakter er laut für unzulässig erklärt hatte. Und auf der anderen Seite war der Kaiser, durch Herrn von Beust bewogen, so gnädig gewesen, zu dieser Ernennung sich herbeizulassen; konnte da Dr. Giskra diese Huld Seiner Majestät zurückweisen? Nimmermehr. Auch aus dieser Bedrängnis wurde ein Ausweg gefunden. Nach einem Abkommen mit Baron Beust konnte Giskra seinen politischen Glaubensgenossen sagen, er habe die Ernennung nur unter der Bedingung angenommen, daß später den gesetzgebenden Versammlungen die Wahl ihrer Präsidenten überlassen bleiben werde. Unerbittliche verweigern freilich trotz der gestellten Bedingung den Ablaß dem ehemaligen Präsidenten. Sie meinen, daß in Widerrechtliches auch nicht vorübergehend gewilligt werden darf. Allein was wollen derlei Catonen mit den österreichischen Verhältnissen anfangen?

Dr. Giskra ist ein Kind seines Vaterlandes, dem er nach Kräften dient. Die Handhabung der Gewalt hat noch nicht nachteilig auf seinen Sinn und seine Denkweise gewirkt. Er ist, wie er war, und wird, so hoffen wir, nicht nur das hartnäckige Mißtrauen einiger Kreise zu beschämen wissen, sondern in des ganzen Volkes Vertrauen sich um so fester setzen, je kräftiger er auf dem von ihm mit Entschiedenheit betretenen Kampffelde gegen den Ultramontanismus vorgeht und die gesammte geistliche und weltliche Concordatsritterschaft in Oesterreich unter die Gewalt des Gesetzes beugt.




Wunderliche Heilige.

I. Deutsche Wiedertäufer im Hinterwalde.

Unter den verschiedenen auffallenden Gestalten, die dem Neuling im Hinterwalde des amerikanischen Westens Fragen auf die Lippen drängen, wird ihm in Maryland und Pennsylvanien, in Ohio und Indiana und bis zum Mississippi namentlich die eines Bauern wundersam vorkommen, der in seiner Tracht ein Gemisch aus Vater Abraham, Goethe, wie er vor dem Schauspielhaus in Weimar in Erz steht, und einem beliebigen transatlantischen Pflanzer ist. Ein schwarzer Filzhut mit ungewöhnlich breiter, völlig flacher Krempe bedeckt den Kopf. Der Körper steckt in einem Frack mit Stehkragen, biberschwanzförmigen Schößen und nur einer Knopfreihe, wie Urgroßvater ihn trug, als er Urgroßmuttern zur Frau nahm. Ueber die Brust fließt ein Patriarchenbart herab, und auch das Haupthaar scheint nur den Kamm, nicht die Scheere zu kennen. Im Winter hüllt sich die sonderbare Erscheinung in einen ebenfalls alterthümlich geschnittenen Weißen Mantel.

Treten wir in die Wohnungen der eigenthümlich gekleideten Männer, so lernen wir in ihnen und den Ihrigen ein biederes, gastfreies Geschlecht kennen, das meist in guten Verhältnissen, bisweilen in der Fülle des Reichthums, ein harmloses Leben lebt. Der Hausvater wird uns, sobald die Rede auf Religion kommt, entweder auf Englisch oder in jenem Gemisch von Pfälzerisch und Englisch, welches man Pennsylvanier-Deutsch nennt, zu überzeugen suchen, daß wir zum Urchristenthum zurückkehren müssen, daß man dabei den Weg nicht verfehlen kann, wenn man die Bibel in allen

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