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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Stücken wörtlich nimmt, und daß man dann namentlich entdecken wird, wie nur die Taufe Erwachsener wahre Kraft hat.

Die Abrahamsbärte im Goethefrack sind also deutsche Wiedertäufer, und fragen wir in der Welt, die nicht zu ihnen gehört, weiter nach, so erfahren wir, daß ihre Gemeinschaft einen ziemlich großen Theil der Farmer in den Wäldern und auf den Prairien des Mississippithales umfaßt, und daß man ihnen, weil ihre Secte die Taufe statt durch Besprengen durch Untertauchen vollzieht, den Namen der Tunker, englisch Dunkards, gegeben hat. Sie selbst aber nennen sich „Bruder“, englisch Brethren, weil Jesus gesagt hat: „Einer ist euer Herr, Christus, ihr alle aber seid Brüder.“ Von unduldsamen Witzbolden haben sie sich auch den Spitznamen „Tumblers“ gefallen lassen müssen, weil sie den im Wasser knieenden Täufling mit dem Kopfe drei Mal nach vorn, nicht wie bei den Baptisten nach rückwärts, untertauchen, eine Procedur, die einige Ähnlichkeit mit den Bewegungen der Tummler oder Schweinfische hat.

Als Bauersleute wissen die meisten nichts von der Geschichte ihrer Secte oder sagen wir lieber, da Secte in Amerika einen üblen Klang hat und diese Blätter möglicherweise auch „Brüdern“ in die Hände kommen werden, ihrer Gemeinschaft. Wußte doch einer ihrer Bischöfe, als ich ihn danach fragte, nicht einmal, was Geschichte sei. Auch außerhalb des Kreises dieser deutschen Täuferbrüderschaft im amerikanischen Hinterwalde ist, meines Wissens, so gut wie nichts über ihren Ursprung und ebensowenig über ihren Glauben bekannt, und so wird es nicht unverdienstlich sein, bevor ich ein Zusammentreffen mit ihnen schildere, in der Kürze mitzutheilen, was ich aus allerhand Quellen über sie in Erfahrung brachte.

Die Tunker oder Brüder erscheinen in Amerika zuerst im Herbst 1719, wo etwa zwanzig Familien in Philadelphia landeten und sich bald darauf zerstreuten. Einige gingen nach Germantown, andere nach Shippack, noch andere ließen sich bei Oley und bei Conestoga nieder. Bei dieser Zerstreuung kam es zu keinem gemeinsamen Gottesdienste, und die vereinzelten Familien begannen lau im Glauben zu werden. Eine Reise, die im Jahre 1722 von den Gebrüdern Trautz und mehreren Anderen, namentlich Peter Becker von Germantown, zu denselben unternommen wurde, um ihnen in’s Gewissen zu reden, hatte Erfolg. Ein großes Revival, d. h. eine Wiederbelebung des religiösen Sinnes und Eifers, fand statt, und überall verbanden sich Gruppen von Familien zu regelmäßiger Feier des Gottesdienstes, den sie mitgebracht. Nach einiger Zeit aber hörte auch das wieder auf, da die Schwierigkeit des Verkehrs damals in der Wildniß zu groß war, und die Tunker würden sich allmählich in der übrigen pennsylvanischen Bevölkerung verloren haben, wenn nicht im Herbst 1729 eine zweite Gesellschaft der Ihrigen eingetroffen wäre. Diese, einige dreißig Familien stark, verstärkte ihre Zahl und brachte neues Leben unter sie, so daß die Genossenschaft sich erholte und fortan erhalten blieb. Bei dem Segen „seid fruchtbar und mehret euch“, der im Hinterwalde über Alles, Menschen wie Maiskolben, ausgegossen ist, wurde dann im Laufe von etwa anderthalbhundert Jahren aus diesen ersten Einwanderern eine zahlreiche Gemeinde, die an fünfzigtausend Köpfe zählen soll (Genaues weiß man darüber nicht, da die Tunker über ein weites Gebiet vertheilt sind und es überdies nach dem übeln Ausgang der Zählung Israels durch David für sündhaft halten, Zählungen anzustellen) und in der wenigstens ein loser Zusammenhang unter den Brüdern bewahrt wurde.

Jene beiden Einwanderergesellschaften aber kamen aus Deutschland und waren Glieder einer Genossenschaft frommer, grübelnder Bauersleute, die, durch Spener’s Schriften angeregt, vom Jahre 1708 an sich zu Schwarzenau bei Schriesheim (Baden) zusammengethan hatte, um „sorgfältig und ohne Vorurtheil die Lehren des Neuen Testaments zu prüfen und sich klar zu werden, welche Pflichten es dem Bekenner des Christenthums auferlege“. Der Stifter der Genossenschaft war Alexander Mack, sonst gehörten zu ihr anfänglich nur dessen Frau, Johann Köppen und dessen Frau, Georg Gräfe, Andreas Bohne, Lukas Vetter und Johanne Nettigheim. Das Ergebniß ihrer Forschungen, bei denen sie den Grundsatz verfolgten, von allen Lehren und Bräuchen der bestehenden Kirche abzusehen und die Bibel so wörtlich als irgend möglich verstanden zur alleinigen Richtschnur zu nehmen, war, daß sie aus der protestantischen Kirche austraten und eine Gemeinde für sich gründeten. Nach ihrer Meinung that ihnen nun vor Allem Noth, daß sie mit der „Taufe der Gläubigen“, d. h. der Zurechnungsfähigen oder Erwachsenen, getauft wurden. Aber da ergab sich eine Schwierigkeit. Mack, als Vorsteher ersucht, die heilige Handlung an den anderen Separatisten zu vollziehen, weigerte sich als gewissenhafter und logisch denkender Mann. Er war nach seiner Auffassung wie jene ungetauft, weil nicht auf die von der Bibel vorgeschriebene Weise getauft, und deshalb nicht berechtigt, als Täufer zu fungiren. Zuletzt indeß half man sich damit aus der Verlegenheit, daß man unter Gebet das Loos entscheiden ließ, wer von den acht wunderlichen Heiligen der Nothhelfer sein sollte. Der Name desselben ist sorgfältig geheim gehalten worden. Wir wissen nur, daß die Taufe der Leute im Flüßchen Eder bei Schwarzenau stattgefunden hat, und daß Mack dann zum Geistlichen der neuen Gemeinde gewählt wurde.

Diese Wiedertäufergenossenschaft wuchs nun rasch durch Hinzutritt von Nachbarn, und bald gab es Tochtergemeinden in Marienborn, wo ein gewisser Johann Naaß, und in Epstein, wo Christian Levy die Leitung übernahm. Aber die alte Kirche verstand damals keinen Scherz. Die harmlosen Brüder erlitten Verfolgung, und da sie von ihrer Ueberzeugung nicht lassen wollten, so waren sie genöthigt, sich eine andere Heimath zu suchen. Einige flüchteten nach Holland, wo die verwandten Mennoniten geduldet waren, andere nach Crefeld im damaligen Herzogthum Cleve. Die Mutterkirche zog von Schwarzenau nach Serustervin in Friesland, von wo die zu derselben Gehörigen nach Pennsylvanien auswanderten. Die beiden andern Gemeinden folgten ihr zehn Jahre später dahin.

Damit hört die Geschichte der Tunker für uns auf. Wir wissen nur noch, daß ihre Genossenschaft sich in den ersten Jahren nach 1729 auch durch Hinzutritt anderer deutscher Einwanderer vom Wissahikon und aus Lancaster County verstärkte, daß in letzterer Grafschaft eine starke Gemeinde am Mühlbach oder Mill Creek entstand, und daß aus dieser sich auf Anregung eines gewissen Conrad Beissel, der die Entdeckung gemacht, nicht der Sonntag, sondern der Sonnabend sei von dem wahren Christen als heiliger Tag zu feiern, eine neue Gemeinde absonderte, die den Namen Siebendtäger erhielt, und über deren Versuch, in der Wildniß am Flusse Cocalico ein protestantisches Kloster in der Weise der Kapuziner zu gründen, ich in einem anderen Abschnitte ausführlich berichten will.

Die sonstigen Thaten und Leiden der Anhänger Mack’s verbergen sich im Schatten des Urwalds, wie andere Geschicke der Deutschen, die in der Zeit vor dem Unabhängigkeitskriege in die dunkle Einöde des Innern von dem damaligen Pennsylvanien, „Penn’s Waldland“, auswanderten. Mack selbst scheint schon in Friesland oder doch bald nach seiner Ankunft auf amerikanischem Boden gestorben zu sein.

Fragt man die Brüder nach ihren Bekenntnißschriften, so erhält man in der Regel die Antwort, daß es deren keine gebe, und daß die einzige Quelle ihres Glaubens und ihrer Einrichtung die Bibel sei. Dies ist indeß nicht richtig. Es existirt ein Buch jener Art von ihrem Stifter, es giebt ferner ein zweites, welches von dem Tunkerbischof Winchester verfaßt ist, und ich selbst besitze ein drittes, welches mir von seinem Autor, dem früheren Gerber und jetzigen Farmer und Bischof Peter Nead bei Dayton in Ohio, verehrt wurde. Das letztere, mit Holzschnitten ausgestattet, welche die Tunker bei verschiedenen religiösen Handlungen, Taufe, Abendmahl, heiligem Kuß etc. darstellen, führt in deutscher Übersetzung den Titel „Theologische Schriften über verschiedene Gegenstände; oder Vertheidigung des ursprünglichen Christenthums, wie es im Worte Gottes aufgezeichnet ist“ und ist 1850 zu Dayton erschienen. Endlich aber halten sie alle Jahre um Pfingsten eine Art Concil, welches von den Bischöfen und Lehrern der einzelnen Gemeinden sowie Abgeordneten der letzteren besucht wird, und wo man unter Vorsitz der fünf ältesten Bischöfe unter andern Fragen von allgemeiner Bedeutung auch etwaige Glaubensstreitigkeiten entscheidet, Entscheidungen, die dann deutsch und englisch gedruckt den Vorständen der Einzelgemeinden zur Verlesung übersandt werden.

Aus diesen Schriften geht hervor, daß die Tunker Evangelische sind, welche sich eigentlich von anderen Evangelischen nur dadurch unterscheiden, daß sie alle Anordnungen Jesu und der Apostel buchstäblich nehmen und befolgen. Daher vollziehen sie die Taufe,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_680.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)