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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Leider hat Laßberg’s schriftstellerische Thätigkeit sich diesen ihm so nahe liegenden Gegenständen nicht gewidmet, dieselbe beschränkt sich nur auf die Herausgabe einiger mittelhochdeutscher Dichtungen, namentlich des in fünf Bänden seit 1820 erschienenen Liedersaales, in welchem auch ein Abdruck seiner berühmten Nibelungenhandschrift sich vorfindet. Außerdem bestimmte er kleinere Arbeiten von Zeit zu Zeit zur Veröffentlichung, um sie seinen Freunden zu schenken; das größere Publicum damaliger Zeit hielt er wohl mit Recht für nicht gebildet genug, um seine Arbeiten würdigen zu können.

Joseph von Laßberg.

„Ich denke ir erkennet daran den guten willen des meister Sepp, wie ir mich nennet,“ schrieb er in einer seiner Vorreden in seinem eigenthümlichen Styl und seiner altdeutschen Schriftweise, „ich sizze jetzt auf der aeltesten Burg Teutschlands und singe mit dem Truchsassen Ulrich von Singenberg:

‚Sonst heiße ich wirt und rite heim etc.‘“

Die Briefe des alten Herrn sahen seltsam genug aus in dieser Orthographie und mit gothischen Buchstaben, die er so schön zu schreiben verstand, daß sie wie gedruckt aussahen. Fast alle Besucher der Meersburg haben solche Handschriften von ihm aufzuweisen, denn er gab ihnen gern Geleitsbriefe mit an seine zahlreichen berühmten Freunde, die auf der Heimreise besucht werden konnten. Er liebte es, die Gastfreundschaft im wahrsten Sinne des Wortes auszuüben. Aber auch sie, wie Alles, was ihn umgab, mußte mit in seine Huldigung des Mittelalters eingehen, vom ersten Empfang bis zum Scheiden. Ein Burgwart, der jeden Abend die Zugbrücke aufzog und dann mit einem Kettenhund mit Stachelhalsband im Bogenpförtchen erschien, kündete den Ankommenden mit einem Hornstoß an, und der Willkommbecher stand für Jeden bereit. Gäste, die der Burgherr auszeichnen wollte, erlebten noch eine besondere Freude. Schon nach der ersten Viertelstunde der Bekanntschaft schleppte der alte Herr dicke Folianten herbei und suchte nach den „Ahnen oder Vorfahren“ des Besuchs, was stets Aller Wohlgefallen erregte, selbst der bürgerlichen Gäste, denn er wußte immer etwas ausfindig zu machen, was dem Selbstgefühl schmeichelte. Sehr oft bewies er den Leuten, daß sie eigentlich von adliger Herkunft wären und irgend ein Urahn den Adel nur abgelegt hätte, oder er erzählte ihnen Heldenthaten eines Namensvetters aus seinen Chroniken, aber stets ganz ehrlich, ohne Ironie, obwohl er einen derben Spaß auch zuweilen sich erlaubte. Wer sich dann auf der Meersburg wohl gefühlt hatte in einem der köstlichen Thurmzimmer mit prächtiger Aussicht und romantischer Schauerlichkeit ausgestattet – es führten Wendeltreppen bis ins Burgverließ hinab, und gar mancher muthwillige Gast machte sich das gefährliche Vergnügen, mit seiner flackernden Wachskerze in diese ewige Nacht mit ihrem eisigen Athem, von kaltem Gestein ausgehaucht, hinabzusteigen – der war gleichsam ein Hausfreund geworden und konnte auf Empfehlungsbriefe, Unterstützung und Annehmlichkeit bei der Rückreise rechnen. Jeder Gast bekam auch einen Rufnamen, der ihn der Schloßsippe gleichsam einreihte.

Seine Gattin, das einst so hoch über dem Alltagsleben schwanenhaft schwebende Stiftsfräulein aus Westphalen, war eine sehr praktische Hauswirthin geworden und sorgte für gute Pflege

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_685.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)