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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

auf der Meersburg, die Vorzöge der schwäbischen Küche herrschten an ihrer Tafel, nirgends gab es bessere Nudeln, duftendere Braten und Kuchen als dort. Die liebenswürdige Burgfrau fand sich leicht in allen Interessen und romantischen Eigenheiten ihres Eheherrn zurecht, sie scheute keine Mühe, um ihnen allen gerecht zu werden, und ward niemals ungeduldig, wenn die Gäste unablässig in das dunkle Burgthor einzogen und alle ihre Zimmer nach historischen Merkwürdigkeiten durchforschten, ihrer Küche aber stets mit vielem Appetit zusprachen. Meister Sepp liebte sein junges Gemahl dafür auch mit dankbarer Verehrung, und als ihm nun gar noch in seinem hohen Greisenalter die Freude wurde, Vater eines Zwillingspaares reizender Mädchen zu werden, da kannte sein Glück keine Grenzen. Aus allen Gauen flogen ihm die Gratulationen zu, sein Freund Uhland schrieb in Anspielung aus die rittersmäßigen Namen der beiden Mägdlein:

Hildegard und Hildegund,
Gesegnet seyd vom Dichtermund!

Durch die Geburt der Enkel wurde auch die alte Freifrau aus Rüschhaus nach der Meersburg gelockt, sie söhnte sich dort vollkommen aus mit der spätem Heirath ihrer Tochter, da sie so sehr zum Glück derselben ausgeschlagen war. Mit der Mutter zog nun auch die jüngere Tochter Annette von Droste in die alte Ritterburg ein, die eine so günstige Stätte für die Entfaltung ihrer Poesie werden sollte. Die großartige Schönheit der Natur spiegelte sich in ihrer klaren Dichterseele, und sie besaß wie keine andere die Göttergabe auszumalen, was sie sah und fühlte.

Wenn der Sturm den See durchwühlte und sie einsam auf dem Altan des hohen Schlosses mit flatterndem Blondhaar über dem Abgrund lehnte, gestaltete sie die herrlichsten Bilder, und wenn die Abendsonne die weißen Rosen der Alpen in rothe verwandelte, erblühte ein ganzer Blumenflor von Poesie unter ihrer schreibenden Hand! Aber inmitten aller Pracht der neuen Heimath gedachte sie der lieben alten, sehnte sie sich nach dem kleinen Rüschhaus, das in der westphälischen Haide demüthig verborgen lag und doch auch von Abendroth umglüht, von Nachtigallen umsungen und von Heckenrosen umduftet war. Die Lieder der Erinnerung und Treue, die sie von der Ritterburg nach dem Bauernhaus sendete, sind eigentlich die ältesten Perlen ihrer Dichtung.

Die schweren Nebel des norddeutschen Heimathlandes zwangen die Dichterin bei stets dort zunehmender Kränklichkeit, sich auf immer längere Zeit von demselben zu entfernen und die klare nervenstärkende Luft auf der hochgelegenen Meersburg zu athmen, die ihr eine zweite Heimath unter der Pflege ihrer edlen Schwester wurde. Mit dem ritterlichen Schwager gestaltete sich das Verhältniß zwar höflich von seiner Seite, aber doch weniger freundlich, als anfangs erwartet werden konnte. Es brach mancher kleine Krieg zwischen den beiden in Wissenschaft geharnischten Geistern aus, der indessen zur Belebung der in spätern Jahren mehr und mehr vereinsamten Meersburg in unterhaltender Weise beitrug. Es bildeten sich in der Nähe und Ferne Parteien um die Streitenden, und Meister Sepp hatte oft nicht übel Lust, einen neuen Sängerkrieg auf seiner Burg beginnen zu lassen. Ein Troubadour, würdig eines solchen, erschien einst auf dem alten Schlosse mit Lockenhaar und Sammetbarett, geschmückt mit der Blüthe jugendlicher Männerschönheit. Es war Levin Schücking, ein gelehrter Dichter, den sich beide Theile gerufen hatten; Laßberg, um eine kundige Hand zum Ordnen seiner bibliographischen Schätze zu haben, seine poetische Schwägerin, um in dem jungen Manne, dem sie mit mütterlicher Liebe zugethan war, eine gleichgestimmte Seele zu besitzen und eine Pflicht der Dankbarkeit an ihm zu üben, ihn aus schwierigen peinlichen Verhältnissen zu erlösen, in die er durch die damalige Zerstückelung und engherzige Verwaltung deutscher Lande gerathen war.

Es hat ein so selten schönes und rührendes Verhältniß zwischen Levin Schücking und Annette von Droste bestanden, daß es nothwendig näher erörtert werden muß. Die aufmerksamen Leser der herrlichen Gedichtsammlung, welche bei Cotta unlängst in zweiter Auflage unter Annettens Namen erschienen ist, werden sich erinnern, daß darin ein tiefgefühlter Seelengruß an die Manen von Katharina Schücking gerichtet ist. Das war die erste westfälische Dichterin, die Mutter Levin’s, die ihm ihren poetischen Geist in reichem Maße vererbt hat. Sie war in jeder Hinsicht eine ausgezeichnete Persönlichkeit voll Schönheit, Anmuth und hoher Weiblichkeit. Eine einsame Blume der Haide des damals noch so culturfernen Münsterlandes, konnte sie nicht zu allgemeiner Anerkennung gelangen und begnügte sich mit ihren Geistesblüthen in echt weiblicher Bescheidenheit nur ihre nächste Umgebung zu erfreuen. Auf Annettens kindliches Gemüth machte diese Erscheinung jedoch einen mächtig ergreifenden Eindruck und sie hat oft behauptet, daß sie in ihr gewissermaßen die Muse verehren müsse, die ihr die Himmelsfackel der Poesie angezündet habe. Das geistvolle, selten begabte Kind fesselte auch das Interesse der jungen Frau, und als sie ihren erstgeborenen Sohn von sich lassen mußte, gab sie ihm eine Empfehlung an das seitdem herangewachsene Freifräulein von Droste-Hülshoff mit auf den Weg. Er besuchte sie als Münsterscher Gymnasiast auf dem väterlichen Rittergute Hülshoff und blieb in schüchterner Entfernung vor der Dame stehen, die ihrerseits nicht recht wußte, wie sie die Dankbarkeit für die Mutter dem verwöhnten, in sehr reichen Verhältnissen lebenden Söhnchen bethätigen sollte. Sie beschränkte sich auf ein paar Beweise von höflicher Theilnahme und verlor ihn alsbald aus den Augen. Levin machte es nicht besser, er absolvirte das Gymnasium bei seinen guten Anlagen sehr rasch und zog als lustiger Student gen Heidelberg und München. Die reichen Wechsel aus dem Vaterhause ließen ihn vergessen, daß es ein Brodstudium gebe, er studirte statt dessen mehr die schönen Künste, die Literatur der Meistersänger und Troubadoure wurde schon damals sein Steckenpferd.

Da blieben plötzlich die Wechsel aus, denn im Vaterhaus war ein Wechsel eingetreten!

Schücking der Vater stammte aus einer sehr angesehenen und gelehrten Familie, drei Generationen aufwärts waren schon Schriftsteller; sein Großvater hatte eine Abhandlung über Polen Friedrich dem Großen gewidmet und dafür ein Antwortschreiben von demselben in so höflichem Stil erhalten, wie heutzutage wohl keine Widmung mehr beantwortet wird.

Die Stelle eines hannöverischen Amtmanns, welche Schücking der Vater bekleidete, gehört jetzt der Vergangenheit an, sie war beinahe von derselben Bedeutung wie die eines französischen Präfecten. Die Macht und das Ansehen dieser Beamten waren so groß, daß sie fast einen ähnlichen Einfluß wie kleine Fürsten auf die Gegenden ausübten, in denen sie ihren Wohnsitz hatten. Eine gebildete Amtmannsfamilie civilisirte auf Generationen hinaus die Umgegend. Schücking und seine reizende poetische Gattin Katharina wohnten in einer der ödesten Gegenden des Herzogthums Aremberg, in welchem Hannover die oberhoheitlichen Rechte der Anstellung von Beamten ausübte. In dem fürstbischöflichen Schlosse Clemenswerth hatte Schücking als Amtmann eine stattliche Dienstwohnung. Es ging hoch her unter dem regierenden Herrn Amtmann, die benachbarten adligen Gutsbesitzer genossen die Gastlichkeit des Schlosses Clemenswerth und freuten sich des gebildeten Umgangs; sie behandelten den Amtmann ganz wie ihres Gleichen, was für die damalige Zeit eine Seltenheit war, sie hielten seine Kinder über die Taufe, wodurch unser Dichter den westphälischen Adelsnamen „Levin“ empfangen hat, sie spielten, tranken und jagten mit ihm und er hielt sich Livreediener, Pferde und Weinkeller, um ihnen nicht nachzustehen. Dabei übersetzte er den Seneca und trieb belletristische Studien mit seiner Katharina. So lange diese ihm zur Seite stand, blieb der Haushalt im Gleichgewicht, trotz des großen Aufwandes; aber sie starb und schon bei ihrem Begräbniß konnte man bemerken, daß von nun an keine sorgende Hand mehr die Bilanz halten würde. Der Aufwand des Hauses nahm zu nach ihrem Ableben, das durch den baldigen Einzug einer Stiefmutter den Kindern noch schmerzlicher gemacht wurde. Ein völliger Bankerott brach aus, der Amtmann verlor Stelle und Vermögen, der Sohn mußte seine Studien unterbrechen und womöglich auch noch den Vater ernähren.

Ein so jäher Wechsel des Geschicks rief natürlich die allgemeinste Theilnahme wach, auch Annette von Droste erinnerte sich des Sohnes ihrer tief betrauerten poetischen Freundin und berathschlagte mit ihm über die Gestaltung seiner Zukunft. Ein paar Monate eisernen Fleißes genügten dem jungen Manne, um nachzuholen, was er auf der Universität am Fachstudium durch gelehrte Allotria versäumt hatte, er meldete sich zum juristischen Examen bei den Behörden in Münster, da er in Hannover nicht Dienste suchen mochte, wo sein Vater, obwohl allerdings nicht ohne Veranlassung, sehr rücksichtslos verabschiedet worden war. Aber siehe da, er galt in Preußen als Ausländer und wurde nicht zugelassen zum Dienstexamen. Da erhielt er den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_686.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)