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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Zeit ihre verderbliche und doch auch wieder so segensreiche Macht auch an ihr bewährt haben wird, wird auch sie freundlich an uns denken – wenn dann auch das Grab sich über uns geschlossen hat. Wir Beide, ich und Ihr, Funkenhauser-Bäuerin, wir sind wohl die Nächsten an dem ernsthaften Schritt … drum haben wenigstens wir Frieden gemacht. Wir sind nicht mehr Feinde, und wenn wir uns einmal in der Ewigkeit wiedersehen, so werden wir wohl auch wieder Freunde werden.“

Die Funkenhauserin sah ihr ernsthaft und bewegt in’s Gesicht. „Werden wir uns denn wiedersehen in der Ewigkeit?“ fragte sie dann.

„Ich verstehe, was Ihr meint!“ rief Frau Schulze entgegen; „aber habt deswegen keine Sorge! Wir sehen uns wieder in der Ewigkeit.“

Die Bäuerin erwiderte nichts; sie nahm die dargebotene Hand der Scheidenden und stand noch eine Weile regungslos, als Beide schon aus dem Haine getreten waren und den Seeweg hinunterwandelten. Erst nach einigen Augenblicken wandte sie sich und schritt tiefsinnig dem Pfade nach, den Tonerl vor ihr eingeschlagen hatte. Als sie bei der Capelle ankam, traf sie Tonerl auf der Betbank knieend, die Arme aufgestützt und das Antlitz in den gefalteten Händen verbergend, durch deren Finger sich einzelne Tropfen hervorstahlen.

„Hast sie verstanden, Mutter?“ sagte sie leise, als diese neben ihr niederkniete. „Weißt, für wen die Frau Schulze und das Fräul’n Trauer anhaben?“

„Wie kann ich das wissen?“ entgegnete die Bäuerin. „Hab’ sie auch nit fragen wollen. Aber errathen kann ich’s leider Gottes!“

„Mutter, ich weiß’s,“ sagte Toni, indem sie sich gefaßt die Thränen abtrocknete. „Ich g’spür’s inwendig auch ohne Fragen. Du hast jetz nix mehr vor mir voraus wegen dem Ledigbleiben.“

Die Bäuerin erwiderte nichts; sie schien zu beten, und ihre Augen hingen an dem Heiland, dessen kunstloses Bild in der Capelle dargestellt war, wie er, das Kreuz schleppend, mühselig unter der Last desselben zusammenbricht. Er wendete das Antlitz nach den Betern hin, und es war, als ob sein Blick mit gramvoll flehender Bitte auf ihnen hafte. Die Funkenhauserin weinte nicht; aber auch sie schlug die Hände vor das Gesicht und verharrte noch einige Augenblicke schweigend, der Blick mahnte sie wie strafend an eine frühere Stunde. Plötzlich erhob sie sich, auch Tonerl stand auf; Beider Blicke trafen sich und hingen mit einer unausgesprochenen und doch von Jeder verstandenen Frage fest in einander. Von der Stelle, wo sie standen, konnten sie den Weg gewahr werden, der sich am See hinzog, und sahen das Fräulein, von der sorglichen Mutter geleitet, langsam auf demselben dahinwandeln.

Einen Augenblick schien die Bäuerin noch mit sich zu kämpfen; ihre Lippen bewegten sich in stillem Selbstgespräch; bald aber ging es in Murmeln und dann in laute Worte über. „Und meinetwegen kann er sagen, was er will,“ rief sie dann. „Ich kann einmal nit anders … Tonerl, Du hast junge Füß’. Geh’ voraus nach’m Hof! Ich will noch einmal hinunter in’s Dorf – ich hab’ was vergessen.“

Toni trat vor die Mutter hin und sah ihr mit feuchten Augen und herzinnigem Lächeln in’s Gesicht. „Was hast denn vergessen, Mutterl?“ fragte sie. „Ich glaub’, das kann ich noch besser errathen, als das wegen dem Kloster!“

„Wenn Du’s errathen kannst,“ sagte ihre Mutter rasch, „nachher mach’, daß Du heimkommst! Ich will Dir’s nur eingesteh’n: ich bring’s nit über’s Herz, daß das arme, kranke Fräul’n, das vielleicht noch ein paar Wochen zu leben hat, so von uns fort soll. Ich bin vor der Frau Schulze dag’standen, wie Ein’s, das ein schlecht’s G’wissen hat, und hab’ die Augen nit aufschlagen können. Das ist mir in meinem Leben noch nicht passirt. Ich hab’ sie selbigesmal in den Funkenhauserhof aufg’nommen, und es ist mir nit schwer worden. D’rum will ich mein gut’s Werk, wenn’s eins ist, nit halb thun, sondern will’s durchführen, wenn’s auch ein Bissel Beißen braucht … Richt’ die gute Stuben her auf ’m Hof, Tonerl! Ich will der Frau Schulze und dem Fräul’n nach; ich will ihnen sagen, sie sollen auf’m Funkenhauserhof bleiben, so lang sie wollen – wir wollen d’ Freundschaft nit auf die ungewisse Ewigkeit verschieben.“

Obwohl die Botschaft den Frauen unerwartet und überraschend kam, klang sie ihnen doch sehr willkommen und wurde besonders von Alwinen mit Entzücken aufgenommen. Ein Widerschein der Rosen, die einst auf ihren Wangen heimisch gewesen, erblühte auf Augenblicke wieder, einmal, als sie die Nachricht vernahm, und dann, als sie nach langsamer, beschwerlicher und sorgfältiger Fahrt den Funkenhauserhof erreicht hatte. Trotz ihrer Schwäche eilte sie von ihrem Wohnzimmer auf den Gang hinaus, der wie eine Altane sich an dem Hause hinzog, und breitete die Arme dem ihr entgegenlachenden Landschaftsbilde zu begeistertem Gruße entgegen. „O Dank, Dank,“ rief sie, „daß ich wieder hier bin! Dank dem Himmel und den guten Herzen Dank, durch die ich es erreichte! O diese Luft! Sie ist so balsamisch und weich, als käme sie über die Blumen des Paradieses. Von diesem Orte möchte ich mich nicht wieder trennen; hier möchte ich bleiben!“

Es währte nur wenige Tage, so war auf dem Hofe unter dessen Bewohnern und Gästen das frühere trauliche Verhältniß hergestellt, und wer sie so ruhig und freundlich mit einander verkehren sah, hätte es nicht für möglich gehalten, daß noch vor kurzer Zeit ein so ernstes Zerwürfniß zwischen ihnen bestanden, daß sogar verwandtes Blut zwischen ihnen geflossen und vergossen worden. Das Meiste trug dazu bei, daß die Gäste aus Klugheit, die Bewohner aus richtigem Gefühl auch nicht mit einer Silbe des Vorgefallenen gedachten; es war, als ob Ambros nie gelebt und im Hause nie eine Stelle gehabt hätte. Den Dienstboten wurde in der Stille auf’s Strengste eingeschärft, niemals und in keiner Weise seiner Erwähnung zu thun und ebenso Alles zu vermeiden, was sich auf den Sohn und Bruder der Gäste, auf Günther, bezog. So kam es, daß der Name desselben von Seite der Hofbewohner unausgesprochen blieb, während die Anderen dasselbe thaten, um hinwieder keine Erinnerung an Ambros hervorzurufen. Es folgte sich eine Reihe stiller Tage, nicht vom hellen Sonnenglanze der Freude erfüllt, wie früher, aber warm beleuchtet von einem schönen Abendroth derselben, friedlich und angenehm.

Die einzige und bitterste Störung brachte der Zustand Alwinens in den kleinen Kreis; denn so sehr in den ersten Tagen die unerwartete Erfüllung ihres Lieblingswunsches und der Einzug auf dem Hofe ihre Lebensgeister angefrischt und den Funken ihrer Kraft zu neuen Flammen angehaucht hatte, zeigte sich doch nur zu bald, daß dieser neuen Flamme der Stoff fehlte, um auszudauern, daß, je heller sie brannte, sie nur um so schneller den Rest desselben aufzehrte und dem Erlöschen immer näher zuflackerte.

Es war bald völlige Gewißheit, daß auch ihr letzter bei der Ankunft ausgesprochener Wunsch sich erfüllen werde: es sollte ihr vergönnt sein, an dem Lieblingsorte, von dem sie Genesung gehofft, die Heilung für immer zu finden und sich von der geliebten Gegend nicht mehr trennen zu müssen. Frau Schulze war davon auf’s Tiefste ergriffen und litt um so schmerzlicher, als sie ihre Besorgniß vor Alwinen, die, als ob sie das Bedenkliche ihres Zustandes nicht ahne, immer gleich heiter und liebenswürdig blieb, hinter einem stets lächelnden Antlitz verbergen zu müssen glaubte. Sie schrieb viele Briefe; andere kamen an und gaben ihr erwünschten Anlaß, vom Krankenbette der Tochter, das sie sonst nur selten verließ, wegkommen und ungestört sich ausweinen zu können. Niemand störte sie dabei; kein Mensch kümmerte sich, wohin die Briefe gingen und woher sie kamen; die Funkenhauserin beobachtete sie wohl, aber sie schwieg und litt mit der braven Frau, die, wie sie glaubte, den einzigen Sohn verloren hatte und nun in so kurzer Zeit ganz kinderlos werden sollte.

Der Einzige, der mit den Vorgängen auf dem Funkenhauserhofe nicht zufrieden und einverstanden war, war der Cooperator. Schon in den nächsten Tagen, als die unglaubliche Mähr sich im Dorfe verbreitete, die Preußen, die lutt’rischen Leut’, die in früheren Jahren auf dem Funkenhauser Hofe gewohnt, seien wieder gekommen und von der Bäuerin eigens zu sich hinaufgeholt worden, kam er ganz gegen seine sonstige Art in finsterer Hast herangeschritten. Die Bäuerin war eben beschäftigt, für Alwinen auf der Hausbank vor dem Hofe einen bequemen Ruhesitz aus Kissen zurecht zu machen, und die sonst so entschiedene Frau konnte sich einer leichten Befangenheit nicht erwehren, als sie den jungen Mann mit dem ernsten, streng blickenden Antlitz auf sich und auf das Haus zukommen sah. Dennoch war sie schnell wieder gefaßt, geleitete den dunklen Gast mit ehrerbietigen Bücklingen in’s Haus und wollte ihn an der großen Gesindestube, vor deren offenem Fenster sich draußen die Gröd mit der Bank hinzog, vorüber nach

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_690.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)