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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

von unmäßigem Umfange besetzt, desgleichen seine Schuhe. Die ganze Toilette zeigte eine übertriebene Nachäffung der Tagesmode. Er wollte sich höflich zeigen und übertrieb seine Verbeugungen; seine ersten Worte waren gespreizte und ziemlich gewöhnliche Complimente.

Mirabeau schildert uns das neue Regiment in scharfen, aber nicht ungerechten Zügen. Der König war in den Händen des Sachsen Bischoffswerder und des Preußen Wöllner, die ihn mit sanfter Mystik zu verdummen begannen; seine Geliebte war damals ein Fräulein von Voß; die Intriguen, die ihr die zweifelhafte Ehre einer morganatischen Ehe verschaffen sollten, nehmen einen nicht geringen Theil der Berichte des Franzosen ein. Mit den französisirenden Einrichtungen, mit den Monopolen und Verpachtungen Friedrich’s des Zweiten wurde auch sehr viel Gutes über Bord geworfen, durch die Bevorzugung seiner Landsleute machte Bischoffswerder sich und den König verhaßt. Ein Regiment, dem man einen sächsischen Grafen Totleben als Major zuschickte, „um den Dienst zu lehren“, schrieb zurück: „Hat man uns den Herrn von Totleben geschickt, um uns zu unterrichten, so ist dies eine Erniedrigung, die wir nicht verdient haben und nicht ertragen werden; soll er aber sich unterrichten, so kann er nicht als Major eintreten!“ Vor dem geheimnißvollen Treiben der Geistesumnebler konnten die ehrlichen Feldsoldaten der vergangenen Zeit nicht Stand halten, sie fielen sämmtlich in Ungnade. Ja, es kam so weit, daß selbst in bürgerlichen Kreisen der große Todte klein gemacht wurde. Der französische Spion Mirabeau lehrt diese Deutschen deutsch denken, indem er ausruft: „O, wenn seine großen Augen, mit denen er nach dem Belieben seiner Heldenseele verführte oder schreckte, sich einen Augenblick wieder öffneten, – hätten sie den Muth, vor Scham zu sterben, diese unsinnigen Götzenanbeter!“

Dem gewandten und geistreichen Sendlinge gelang es bald genug, sich Freunde und Gönner zu erwerben. Besonders begünstigte ihn der Prinz Heinrich, der Oheim des Königs, und machte ihn zu einem Vertrauten aller kleinen Zurücksetzungen, die er erleiden mußte und die den alten Herrn tief kränkten. Mirabeau nahm die Freundschaft und Gastlichkeit des Prinzen gern an, wenn er aber des Abends spät in seiner Wohnung ankam, so setzte sich er hin und machte sich in einem Berichte an seine Auftraggeber über den Ehrgeiz im Kleinen und andere Schwächen seines Protectors lustig.

Eine wichtigere Bekanntschaft machte er in dem Herzog von Braunschweig, von dem er schon auf seiner Herreise in Braunschweig selbst freundlich aufgenommen worden war. Da der Herzog aber für’s Erste selbst ein Mann von Geist war und zweitens in seinem Einflusse bei dem Könige durch Wöllner und Bischoffswerder verdrängt wurde, so konnte Mirabeau von ihm nicht die Vortheile ziehen, die er wünschte. Immerhin vernahm er genug, um seiner Regierung nicht unwichtige Andeutungen geben zu können; der Herzog war jedem Kriege in den gegenwärtigen Verhältnissen entgegen und machte aus dieser Ansicht kein Hehl; da er der einzig mögliche Heerführer war, so hatte seine persönliche Meinung doppeltes Gewicht.

Mehrere Male kam Mirabeau mit dem Könige, Friedrich Wilhelm dem Zweiten, zusammen, der den Grafen nicht ungern sah. Dieser durfte es sogar wagen, ihm einmal über gewisse Maßregeln der Administration Vorstellungen zu machen. Unter den Monopolen, die fallen sollten, war auch das der Tuchfabrication, das sich in den Händen eines gewissen Smits befand. Mirabeau gab dem Könige zu verstehen, ehe man das alte Haus niederreiße, müsse man wissen, wo man sein Haupt hinlegen könne, bis das neue fertig sei.

„Ah,“ sagte der König lächelnd, „Smits ist Ihr Bankier!“

„Allerdings,“ erwiderte der Graf, „aber er hat mir von dem Gelde, das ich durch ihn erhalten, nichts geschenkt.“

Ein andermal wurde Mirabeau zur Abendtafel geladen, an welcher auch Fräulein von Voß erschien. Der König hatte von einem Mitgliede der französischen Akademie ein Buch über die Hazardspiele erhalten nebst einer sehr schmeichelhaften Dedication „an den ersten Fürsten, der durch Verbot und Abschaffung des Lotto den Vortheil seiner Cassen dem der Bevölkerung nachgesetzt habe“! Es war nun fatal, daß diese Abschaffung des Lotto in der That eine schöne Fabel war, die dem französischen Gelehrten irgendwer aufgebunden haben mußte; Mirabeau wußte indessen den König zu beruhigen, indem er hervorhob, daß schon der bloße Wille, den Wilhelm geäußert, höchst lobenswerth sei, worauf der König wieder heiter und zufrieden wurde und entschuldigend anführte, daß ja zudem mehrere Institute, wie z. B. die Militärschule, auf den Ertrag des Lotto angewiesen seien.

Selbstverständlich erweckte die wenn auch noch so geringe Begünstigung Mirabeau’s den Neid der Höflinge. Als wenige Zeit nachher der König beim Spiele fragte: „Wo bleibt denn der Graf von Mirabeau? Ich habe ihn seit tausend Jahren nicht mehr gesehen!“ da entgegnete man ihm: „O, das ist leicht begreiflich, er bringt sein Leben bei Struensee mit Biester und Nikolai zu!“ Biester und Nikolai waren aber arge Feinde der Dunkelmänner, wie sie ja auch mit dem eingebildetsten der Lichtauslöscher jener Zeit, mit Lavater, in Streit geriethen, und daher beim Könige gar nicht gut angeschrieben.

Unter all den kleinen Intriguen und Eintagswichtigkeiten waltete Mirabeau seines Amtes. Mit schweren Kosten wußte er sich eine Copie der sehr geheim gehaltenen so eben vollendeten topographischen Karte Sachsens zu verschaffen; ebenso ließ er insgeheim einen Kataster des Kurfürstenthums, welcher ein genaues und eingehendes Verzeichniß der Hülfsquellen aller Art bot, abschreiben; Beides Dinge, die damals überall fremden Augen möglichst entzogen wurden. Ueber die politische Lage im Norden, namentlich Kurlands, arbeitete er mehrere Denkschriften aus, die an tiefen Wahrheiten und vortrefflichen Räthen überreich sind – und nicht gelesen wurden. Seine eingehenden Studien über Preußen hat er nachher in sieben Foliobänden der Öffentlichkeit übergeben, die freilich zum wenigsten seine eigene Arbeit sein sollen. Daneben erfreute er die Minister mit manchen piquanten Geschichtchen, zu denen Hof und Stadt reichlichen Stoff lieferten.

Eine nicht sehr willkommene Unterstützung erhielt er in einer abenteuernden Dame, die, nachdem sie in Paris ihre Rolle ausgespielt hatte, sich nach Deutschland wandte und mit großem Gefolge gekommen war, mit der ausgesprochenen Absicht, den König zu erobern. Empfehlungsbriefe brachte sie nur Einen mit: den an ihren Bankier. Im Gefühle der Seelenverwandtschaft schloß sie sich sogleich eng an den Grafen Mirabeau, beehrte ihn mit ihrem Vertrauen, das er „gern zum Teufel geschickt hätte“, und bot ihm ein gegenseitiges Schutz- und Trutzbündniß an. Es war für unsern Helden eine fatale Lage; er wollte sich die Donna nicht zum Feinde machen, weil man doch nicht wissen konnte etc.; denn bei Gott und den Fürsten war kein Ding unmöglich – so verschaffte er ihr denn den Zutritt am Hofe, verwahrte sich aber ernstlich gegen jede Verantwortlichkeit. – Die holde Schöne erhielt denn auch wirklich eine Audienz beim König und schied nicht ohne Hoffnung, denn Ihre Majestät waren sehr leutselig gewesen und hatten sich bitterlich über das Ennuyante ihres Metiers beklagt. Doch war sie allzu bekannt in der galanten Welt, um ernstlich auf Erfolg rechnen zu können. Nachdem sie noch einige Wochen lang die Berliner durch ihr tolles Wesen geärgert, verschwand sie zur großen Freude Mirabeau’s; sie ging nach Warschau, um dort ihr Glück zu versuchen.

So verstrich ein Monat um den andern; immer mehr fühlte der Graf das Schmähliche seiner Stellung. Bereits dämmerte in ihm der Gedanke auf, daß er sich vielleicht geirrt habe, als er die erste Staffel der Ruhmes- und Aemterleiter zu besteigen glaubte. Auf die dringendsten Anfragen erhielt er keine Antwort; die lebhaftesten Vorstellungen wurden nicht beachtet. Da begann er immer mehr für sich zu intriguiren.

Sein nächstes Augenmerk richtete er auf den Gesandtschaftsposten in Berlin. Manche seiner Briefe wimmeln förmlich von Invectiven, von feinen und groben Sticheleien auf den damaligen Gesandten Esternon. Das Kleinste weiß er zu einer ungeheueren Kugel aufzublasen, die er diesem in den Weg wirft, damit er darüber stolpere. – Eines Abends war durch ein Mißverständniß der russische Gesandte an den Spieltisch der Königin, der französische aber nebst den Andern nur an den der Prinzessin Friederike gekommen. Das war natürlich eine schwere Beleidigung; Graf Esternon wies die ihm zugedachte Ehre in harten Worten zurück, erklärte, daß er heute nicht spiele, und ging im Bewußtsein gekränkter Unschuld nach Hause. Hierauf großes diplomatisches Kunstboxen; der englische Gesandte beeilte sich zu erklären, daß er zwar vor Keinem den Vortritt verlange, o gar nicht; daß er aber nie, nie dulden werde, daß ihm Jemand vorangehe. Aehnlich

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