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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

in den Lazarethen, nicht wenige vielleicht die Gefallenen und Schlafenden um ihr Loos beneidend.

Unterdessen bereitete sich das Ende der blutigen Episode des großen vorvorjährigen Krieges langsam, aber sicher vor; die Verhandlungen mit dem König von Hannover begannen, die Capitulation der tapfern hannoverischen Armee erfolgte; die Preußen nahmen die ihnen zugefallene reiche Beute an Pferden, Kanonen und Flinten in Empfang; die hannoverischen Soldaten wurden in ihre Heimath entlassen, nachdem sie Alles, was dem Krieger theuer ist, abgeliefert hatten. Auch König Georg rüstete sich zum Abzug von der Stätte des Unglücks, um in fremdem Land, zunächst bei seinen hohen Verwandten auf dem Jagdschlosse Fröhlichewiederkunft im Herzogthum Sachsen-Altenburg seine Wohnung aufzuschlagen.

Wie überall, so war auch in Jena, der kleinen thüringischen Universitätsstadt, Aller Erwartung auf den Ausgang dieses Alle greifenden Schauspiels gerichtet, und besonders die Jenenser Studenten nahmen regen und lebhaften Antheil an den Dingen, die sich zugetragen hatten und die da kommen sollten.

So konnte es denn nicht fehlen, daß, als am dreißigsten Juni frühmorgens die Nachricht nach Jena kam, der König von Hannover werde mit seinem ganzen Hofstaat nach Apolda kommen, um von dort aus nach dem Jagdschloß Fröhlichewiederkunft zu fahren, dieselbe unter dem Bruder Studio eine mächtige Aufregung hervorrief. Zudem war es ja Sonnabend, der uralt heilige dies academicus, den der Jenenser Student nicht gern durch profanes Arbeiten und Collegiengehen entwürdigt; ein schöner, frischer Sommermorgen lag goldig über den Jenenser Bergen und lockte zur fröhlichen Wanderschaft: was Wunder also, daß sich eine gute Anzahl Studenten auf den Weg nach der Eisenbahnstation Apolda machten, entweder stolz zu Fuß oder hoch zu Wagen das heißt, auf den seltsamen Fahrzeugen, die man zu Jena „Spritzen“ nennt und welche von jenen Rossen, vulgo Spritzgäulen, gezogen werden, welche, wahre Naturseltenheiten, ein charakteristisches Wahrzeichen Jena’s sind und gegen die, weiland Don Quixote’s treffliche Mähre Rosinante ein gar respektables Rößlein gewesen sein mag.

Auch ich und einige Freunde schlossen uns der Expedition nach Apolda an und fanden, als wir den Bahnhof der aufblühenden Fabrikstadt erreichten, schon viel Volks daselbst versammelt.

Unsere Geduld sollte auf keine lange Probe gestellt werden. Denn kurz nach unserer Ankunft, etwa gegen ein Uhr, traf der ersehnte Extrazug ein. Die Conducteure sprangen von ihren Sitzen, rissen die Wagenthüren auf, und die Reisenden stiegen aus. Der Zufall war mir günstig. Ich wurde an ein Coupé erster Classe gedrängt, aus welchem ein ältlicher, großer Mann in einfacher, dunkelblauer Uniform, fast der preußischen ähnlich, gestützt auf einen jungen Mann in weißer Uniform, gefolgt von zwei andern älteren Herren, ausstieg.

Waren auch nicht Aller Augen auf den stattlichen, aber gebeugt daherschreitenden Mann gerichtet gewesen, hätte ich auch nicht die trüben, großen, weit vor sich hin starrenden Augen des Mannes gesehen, ich hätte ihn doch erkannt, doch von Allen herausgefunden, den König Georg von Hannover. Wie unglücklich, wie müde, wie zerschmettert sah er aus, der arme Monarch, der so Viel erfahren, der so Viel verloren hatte! Mit auffälliger Besorgtheit strengte er sich an, den Weg selbst zu finden, mit peinlicher Sorgfalt suchte er zu zeigen, daß er der Führung des jungen Mannes in der hellen Uniform, des Kronprinzen, nicht bedürfe – und er zeigte dadurch doch nur, wie blind er war und wie nöthig er jene Führung hatte.

Und alle die Leute, die nur theilnahmlose Neugierde zusammengeführt und die noch vor wenigen Minuten den verblendeten König schonungslos verdammt hatten, sie Alle waren still und neigten ihr Haupt vor der Macht des Unglücks, die diesen Mann so schwer getroffen hatte, die sich auf diesem Antlitz so ergreifend spiegelte.

Während die Menge den angekommenen Hofstaat, die Uniformen der Officiere, die geschäftig umhereilenden Diener, das ganze Gefolge, und vor Allem die herrlichen Rosse des königlichen Marstalls betrachtete und bewunderte, saß der König in einem der Wartezimmer des Bahnhofs, einige Erfrischungen zu sich nehmend.

Unterdessen stolzirte der Kronprinz in eleganter Uniform, ein Glas im eingeklemmten Auge, lächelnd und bisweilen auch einige Worte hervorschnarrend, auf dem Perron des Bahnhofes einher, besah sich die versammelte Menge und widmete seine allerhöchste Aufmerksamkeit besonders den anwesenden Studenten, deren Farbenmützen ihn vor Allen und ausnehmend zu interessiren schienen, während sein Vater eine schwere Stunde, eine der schwersten durchkämpfte, die Stunde des Abschieds von seinen Generälen, von seinen treuen Dienern.

Wahrlich, uns Studenten und der versammelten Menge ging der arme König Nichts an, aber der Aermste und Geringste von Allen, die bei dieser Scene zugegen waren, war bewegter, als der Sohn des Mannes, der da eben heraustrat aus der Thür des kleinen Bahnhofs und seine zitternde Hand den treuen Generälen entgegenstreckte, die sie heiß und heftig drückten, des Mannes, der da eben Abschied nahm von Denen, die treu bei ihm gestanden hatten in guter und in böser Zeit und nun auch die letzte und schwerste mit ihm durchgemacht hatten und die er nun auf immer lassen mußte!

Ich sah ein paar Thränen aus den großen, lichtlosen Augen des Königs rinnen und langsam seine Wangen herabrollen. Dann stieg er, geführt von dem Kronprinzen und in Begleitung zweier Generäle, in den einfachen, zweispännigen Postwagen, der ihn weiter bringen sollte; dann grüßte er noch einmal, der Kronprinz nickte und dienerte – dann ging es fort – fort in die Fremde.

Nun fuhr auch der Extrazug mit des Königs Gefolge wieder ab, die Menge verlief sich, Lärm und Getöse verhallten; es ward wieder still auf dem kleinen Bahnhof. Doch nicht so schnell wie die äußere Ruhe stellte sich unsere innere wieder her; die aufgeregten Gemüther der jungen Leute waren noch lange nicht beruhigt, als draußen auf dem Bahnhof schon lange Nichts mehr von dem Tosen und Lärmen übrig war, das da vor Kurzem geherrscht hatte.

Da gab die Ankunft einiger jungen Doctoren aus Jena der Aufregung eine andere Bahn. Dieselben waren nämlich im Begriffe, mit dem nächsten Zuge nach Erfurt und von da nach Langensalza zu reisen.

Hurrah! das war eine Idee! das war ja ein prächtiger Einfall! Wer fährt mit nach Langensalza? hieß es, und nicht lange, so war eine Anzahl entschlossen, die Doctoren zu begleiten, und schnell, wie der Entschluß gefaßt war, wurde er ausgeführt. Der Zug brauste heran, die Billete wurden gelöst, fort schnaubte wieder die Locomotive und nach rasch verflogener Frist fuhren wir, eine Gesellschaft von etwa zehn Mann, vor Erfurt an, um von da nach Langensalza zu eilen.

Bei dem regen lebendigen Treiben in der Festungsstadt gelang es uns kaum, einen Wagen aufzutreiben, und wir waren herzlich froh, endlich einen Leiterwagen zu acquiriren, welcher die Verantwortlichkeit auf sich nehmen sollte, uns nach Langensalza zu bringen.

Früh bei guter Zeit, als eben über den Thüringer Bergen die Sonne aufging, fuhren wir denn nun auch auf einem mit zwei tüchtigen Braunen bespannten, mit Laub geschmückten Wagen, auf dem wir es uns, so gut es ging, bequem gemacht hatten, in den thaufrischen Morgen hinaus.

In den stillen Straßen der frühern alma mater regte sich Nichts, nur der holpernde Ton unsres Wagens störte die tiefe Stille; keine Gestalt zeigte sich an den verhangenen Fenstern, ruhig schlief noch Alles dem Sonntag entgegen. Auch wir waren still. Dachten wir vielleicht an die gestorbene alma mater, die nun Keiner mehr kannte, oder an die alten Studenten, die, jung und froh, wie wir, einst die Straßen durchwandelt und nach den Fenstern, grüßend nach den schönen Mädchen hinter den Scheiben, hinaufgeschaut hatten, stolze wackere Gesellen voll Jugendmuth und Lebenslust, von denen jetzt kaum einer noch am Leben?

Ueber den alten Dom mit den herrlichen Thürmen schossen die ersten Sonnenstrahlen herüber, spielten goldig um die funkelnden Thurmkreuze, und der Frührothschein huschte leise die hohen Treppen auf und nieder; der frische Morgenwind, der vom „Walde“ herüberwehte, fuhr hastig durch die Thurmluken und Schalllöcher und flüsterte mit den schlafenden Glockenreihen, die wie im Traume leise vor sich hinsummten.

Am Dom vorüber fuhren wir durch die gewaltigen Werke und zuletzt durch das große Thor der Festung hinaus in die weite, blaue, eben erwachende Welt, hinein in den schönen Sonntagmorgen, durch das fruchtbare, weite Land, durch friedliche Dörfer, die noch im Schlummer lagen, wogende Felder, duftende Wiesen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 701. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_701.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)