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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

sehr betrübt wieder abziehen, als im rechten Augenblicke, wie ein deus ex machina, der freundliche Wirth erschien, den beredten Kellner eiligst entließ und uns Alles, was unser Herz begehrte, so gut es angehe, verhieß. Denn obwohl sein ganzes Haus von oben bis unten voll von Verwundeten stecke, wolle er uns doch etwas Brod und Butter und ein kleines Zimmer verschaffen, das augenblicklich leer sei, weil die dort einquartiert gewesenen Verwundeten heute früh entlassen worden seien.

Höchlichst erfreut über diese tröstliche Verheißung folgten wir dem freundlichen Manne eine Treppe hinauf auf einem Gang, wo er uns in ein kleines, völlig leeres Zimmerchen wies, das durch ein einziges kleines Fenster hoch oben spärlich erhellt wurde.

Doch müde und hungrig waren wir, daß es eine Art hatte, und nachdem wir ein mächtiges Butterbrod verzehrt hatten, machten wir es uns bequem, hingen Rock und Weste an den Nagel und streckten uns gemächlich auf die reinlichen Strohbündel nieder, welche uns der freundliche Wirth bereit gemacht hatte.

Draußen war es schwül und dunstig; am Himmel hatten sich dunkle Wolken zusammengezogen und die ersten, großen Tropfen schlugen klatschend an das kleine Fenster. In dem Zimmerchen war es still, heimlich still. Nur vom Gange herüber tönten bisweilen hastige Schritte, und der Regen und der Wind sangen und klopften zusammen ihre alte, monotone Melodie.

Jugend und Müdigkeit wollten ihr Recht, Einer nach dem Andern schlief ein, es ward ruhig in dem Gemach und nur die ruhigen Athemzüge störten die tiefe Stille.

So mochten wir über eine Stunde ruhig geschlafen haben, als ich plötzlich erwachte, weil es mir war, als wäre Jemand in’s Zimmer getreten und stände vor uns und sähe uns an. Schlaftrunken richtete ich mich etwas in die Höhe und rieb mir die Augen. Denn ich glaubte, ich schlafe noch und was ich sähe, wäre nur ein Traum.

Vor uns in der stillen Kammer standen zwei junge, hübsche Mädchen, stille, freundliche Gesichter mit klaren, guten Augen. Und die blauen Augen lagen mit so einem lieben Ausdruck voll Mitleid und Erbarmen auf uns, daß ich mich kaum getraute, in ihren Glanz zu schauen. Und hinter den beiden Mädchen, halb noch in der Thür, standen zwei ältliche Herren, die ich auch ohne die feierliche, weiße Binde um ihren Hals sogleich für Pastoren erkannt haben würde. Auch ihre Augen ruhten voll Freundlichkeit und Theilnahme bald auf uns, bald auf den beiden Mädchen vor ihnen.

Mir ward immer seltsamer. War es denn nur ein Traum? Was hatte das zu bedeuten? Was wollten die alten Herren, die jungen Mädchen? Waren sie vielleicht Engel, die uns zu besuchen kamen? Doch nein! Trugen denn die Engel weite, bauschige Kleider und moderne Hütchen? Oder trugen sie gar schwarze Hüte und weiße, feierliche Binden?

Leise stieß ich meine schlafenden Cameraden an. Auch diese richteten sich auf, suchten sich zu ermuntern und schauten ganz curios und verwundert auf die seltsame Gruppe.

Da endlich brach eines der jungen Mädchen das Schweigen. „Ach, lieber Vater,“ sagte sie, und ihre Stimme klang weich und mild und der Ton zitterte ein wenig, wie von Bewegung, „ach, Vater, sieh nur die armen Verwundeten! Bitte, bitte, wir wollen ihnen Etwas geben, den armen Leuten!“ –

Hatten wir vorher verwundert dreingeschaut, so wußten wir jetzt erst recht nicht, was wir thun sollten. Den armen Mädchen ihre Illusion nehmen? Uns als flotten Bruder Studio entpuppen? Nimmermehr! Denn Alles wäre lächerlich geworden, und das wollten wir nicht, um der Mädchen willen, denen es so ernst zu Muthe war. Das Beste also war, zu schweigen.

Der alte Herr, an den die Bitte gerichtet war, sah sein Kind und dann uns an, die wir freilich etwas kriegerisch und verwildert in dem halbdunklen Zimmer ausgesehen haben mögen. Dann zog er einen nichtigen Geldbeutel aus der Tasche und reichte seiner Tochter einige Geldstücke.

Diese trat an uns heran, neigte sich zu uns herab, und mit einem Blick, so voll Güte und Mitleid, daß es uns ganz seltsam um’s Herz ward und wir uns beinahe selbst für Verwundete hielten, drückte sie Jedem von uns eine Silbermünze in die Hand.

Uns ward immer ängstlicher – jede Minute drohte der Augenblick zu kommen, wo wir uns zu erkennen geben mußten. Doch es ging vorüber. Der alte Herr sagte: „Kommt, Kinder, die armen Leute bedürfen der Ruhe!“ Dann ging er mit seinem Begleiter. Die jungen Mädchen folgten ihm; aber an der Thür wendeten sie sich noch einmal und warfen noch einen engelsguten, lieben Blick auf uns zurück, – auf die armen Verwundeten.

Aber kaum hörten wir ihre Schritte nicht mehr, als wir aufsprangen, in ein homerisches Gelächter ausbrachen, unsere erhaltene Gabe – ein blankes Zweigroschenstück – anblickten und vor Freude in dem Kämmerchen herumtanzten. Himmel, hätten die guten Leute jetzt die armen Verwundeten gesehen, was würden sie für Augen gemacht haben!

Während wir noch so tobten, kam der Wirth herein und konnte uns vor Lachen kaum erzählen, daß die Leute, Pfarrer aus der Umgegend mit ihren Töchtern, zu den Verwundeten gewollt hatten. Er hätte gerade viel zu thun gehabt und sie deshalb herauf gewiesen, mit dem Bemerken, daß oben überall Verwundete lägen. Nun seien sie gerade in unsere Kammer gerathen. Als sie wieder herausgekommen wären, habe er auf dem Gange gestanden und gleich das Mißverständniß geahnt. Denn die mitleidigen Leute hätten, nach unserer Kammer zeigend, bewegt gefragt, ob wir schwer verwundet seien, worauf er kaum ohne Lachen habe erwidern können, daß wir nur ganz leicht verwundet wären.

Mit unserem Schlafen war es natürlich vorbei. Wir zogen uns an und eilten unseren Wohlthätern nach. Doch, wie sehr wir auch suchten, wie gern wie sie wiedergefunden hätten, um das Mißverständniß zu lösen – alles Suchen war umsonst, und in ihren Augen sind wir noch heute leicht Verwundete. Sollten jedoch die braven Pfarrherren und ihre hübschen Töchter dieses Blatt zu sehen bekommen – denn die Gartenlaube findet ja ihren Weg allüberallhin im deutschen Vaterland – und es übel aufnehmen, daß wir sie nicht aufgeklärt und ich auch noch die Geschichte erzählt habe, so will ich ihnen die Hand hinhalten und will sagen: „Nichts für ungut, Ehrwürden und meine Dame! Es war freilich nicht recht, daß wir Ihnen nicht gleich damals sagten, daß wir nicht verwundet, sondern kerngesunde Jenenser Studenten waren, und daß wir uns auf diese Weise ein paar so liebe, schöne Blicke und auch noch baares Geld erschlichen haben. Aber wir bereuen es sehr! Und für den schönen Blick voll Güte und Liebe, den Sie an uns verschwendet haben und der uns gar nicht gehörte, sagen wir besten Dank. Ihre klingende Gabe aber haben wir bei Leibe nicht für uns behalten, und die ersten Verwundeten, denen wir begegneten, sind wahrlich nicht schlecht dabei weggekommen!“

So endete der Tag. Und als wir am Abend durch das stille, weite Land fuhren, über dem es langsam dunkelte, zog licht und klar der Mond am Himmel herauf und goß sein mildes Licht über die Erde und ihr Leid. Als wir aber an das düstere Festungsthor zu Erfurt kamen und Einlaß begehrten, da rief Einer von uns dem Wache habenden Soldaten auf die Frage, wer wir seien, zu? „Verwundete von Langensalza.“ Der Posten trat ehrfurchtsvoll zurück und salutirte. „Passirt,“ sagte er gravitätisch, und lachend rollten wir ein in die dunkelnde Stadt, die Verwundeten von Langensalza.




Blätter und Blüthen.

Sie sollen ihn nicht haben! Nicht gewissen liebenswürdigen, aber zuweilen etwas unruhigen, und jetzt anderweitig viel beschäftigten Nachbarn gilt heute die zündende Strophe des bekannten Rheinliedes von Becker: „Sie sollen ihn nicht haben!“ nein, einem Feinde im Lande, den keine Militärmacht zu besiegen braucht, den aber das ganze Volk, Männer, Frauen und Kinder anzugreifen bereit sein muß: nämlich dem grausamen Project der sogenannten Rheincorrectur.

Man will ihn uns nehmen, einengen und eindämmen, unsern königlichen freien Rhein, den herrlichsten aller Ströme, dessen Name in unser Ohr klingt, wie Glockengeläuts vom Thurm der Kirche unserer Heimath, der unzertrennlich ist von den schönsten Erinnerungen an die Märchen, die uns die Mutter erzählte, den Hort des Nibelungenschatzes, den Lieblingsaufenthalt aller Nixen, den Concertsaal der ewig jungen und ewig bezaubernden Hexe Loreley; – den Rhein, das Paradies aller Liebenden, den Stolz jener Jugend, die bei einer „Frau Wirthin“ einzukehren und allda nach gutem „Bier und Wein“ und „schönem Töchterlein“ zu fragen pflegt, – den Rhein, das Entzücken des Alters, das lebendigste Stück echter deutscher Poesie! In Ketten und Banden will man ihn schlagen, unsern stolzen Strom, mit seinen grünen Wellen und wechselvollen Ufern, alle Dichter und Maler, die je den Rhein und seinen Zauber in Liedern und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_703.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)