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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

und Kränze, keine Fahnen und was sonst noch Alles zu dem Schwindel gehört. Heute sollte ja die Königin kommen, wie geht das zu?“

„Sie ist eben nicht gekommen. Prinzeß Mathilde hat die Masern, und so brachte schon gestern Abend ein Telegramm die Absage. Ist Dir denn heut keine Zeitung zu Gesicht gekommen?“

„Nicht hineingeguckt. Das ist ja eine verfluchte Geschichte! Was wird denn aus dem Balle morgen?“

„Einfach nichts. Die Stadt ist froh genug, ihr Geld zu sparen, sämmtliche junge Damen packen ihre Kränze händeringend wieder ein und gewisse Herren haben umsonst correspondirt.“

„Correspondirt? Und das sagst Du mit dem bekannten pfiffigen Zug um die Nase, der nur bei großen Gelegenheiten zum Vorschein kommt. Wer hat correspondirt?“

„Keine überflüssige Heuchelei, mein sehr verehrter Freund und Briefsteller auf rosa Seidenpapier! Zum ersten Male in meinem Leben habe ich den Ausfall eines Balles bedauert, auf dem der schlechteste Witz, den Eure Ehren jemals ausgeheckt, Bankerott gemacht haben würde.“

„Will ich doch jede Tochter des Landraths heirathen, sogar die, welche Verse macht, wenn ich eine Silbe von Deinen Anzüglichkeiten verstehe! Du machst mich so neugierig, wie eine Elster! Wenn es sich um rosenfarbene Briefe handelt, ist das Thema an sich schon interessant, werden aber dabei Sokrates dem Jüngeren, der über solche Allotria weit erhaben ist, die Backen so roth, wie ich dies eben vor Augen sehe, so prickelt es mich in allen Gliedern! Auf Ehre, Schaumberg, ich weiß nichts von einem Briefe, der sich auf den projectirten Ball bezieht. Und jetzt beichte!“

„Sonderbar,“ murmelte Otto, indem er die Cigarre fortwarf und den Arm aufstützte. „Ich war überzeugt, die Sache ginge von Dir aus – pah! was ist es weiter – hat wirklich eine Dame den Brief geschrieben, so ist diese Species jedenfalls nicht nach meinem Geschmack! Du kannst das lächerliche Schriftstück lesen, wenn wir nach Hause kommen.“

„Und das soll gleich geschehen,“ rief Marbach, lebhaft aufspringend. „Allons, aufgebrochen! Seh’ mir einer den Duckmäuser an! Damenbriefe! Laß mich das corpus delicti nur untersuchen, als ein Mann von Praxis find’ ich Dir schon die Fährte heraus!“

Plaudernd und einander neckend durchwanderten die jungen Männer die Stadt nach ihrer ganzen Länge, Schaumberg’s Behausung zu. Als sie noch etwa hundert Schritte vom Spital entfernt waren, prallte, bei der mangelhaften Beleuchtung jener Stadtgegend, ein Mann gegen sie an. Es war der Briefträger. Um Entschuldigung bittend, sagte er: „Da Sie es sind, Herr Doctor, so darf ich vielleicht einen Brief, den ich noch hinaufbringen müßte, gleich hier abgeben, und spare den Weg.“

Schaumberg nahm den Brief und hielt ihn noch nachlässig in der Hand, als der in den Localitäten des Studierzimmers unseres jungen Gelehrten völlig heimische Assessor bereits Licht angesteckt hatte.

„Halloh! abermals rosa, bei meinem Wort!“ rief Marbach jubelnd. „Die Sache wird interessant – rasch, gieb mir das erste Capitel des Romans und untersuche Deinerseits das zweite.“

Schaumberg sagte kein Wort; mit dem ersten Blick hatte er erkannt, daß der eben erhaltene Brief allerdings aus derselben Hand zu stammen schien, wie jener erste, vor acht Tagen empfangene, und ein gewisses Gefühl des Verdrusses, von demselben gesprochen zu haben, überkam ihn mit plötzlicher Verstimmung. „Ich wollte, Du dispensirtest mich,“ murmelte er, ohne aufzublicken.

„Warum nicht gar!“ lachte der Assessor. „Versprechen macht Schulden – überdies hast Du mich in falschem Verdacht gehabt, und ich verlange dafür Genugthuung. Nimm nur nicht Alles so schwerfällig, alter Junge! Beruhigt es Dein zartes Gemüth, so gelobe ich Dir mit deutschem Handschlag Discretion und Schweigen in allen Sprachen. Und nun rücke heraus mit dem ‚lächerlichen Schriftstück‘, wie Du es draußen titulirtest.“

„Laß mich wenigstens erst lesen, was ich eben erhielt,“ sagte Schaumberg, schob dem Freunde eine Zeitung hin und löste dann, in die Sophaecke zurückgelehnt, die Oblate des dünnen Blättchens. Ein eigenthümlicher Zug ging über sein ausdrucksvolles Gesicht, als er nach einigen Minuten das Blatt zusammenfaltete, einsteckte und schweigend ein paar Mal auf und ab ging.

Maibach unterbrach das Stillschweigen nicht und sah mit lächelnder Spannung dem Wechsel, ja dem stillen Kampfe zu, der in den Zügen des Freundes arbeitete. „Nun ja,“ sagte Letzterer endlich, indem er den Schreibtisch aufschloß und das darin verwahrte Blättchen herausnahm, „ich will Dir die beiden Briefe mittheilen, dann kannst Du mir sagen, ob sie nur meinem Einsiedlerauge so befremdend vorkommen, oder ob dergleichen in Eurer bunten Welt vielleicht zu den Alltäglichkeiten gehört. Doch mußt Du mich entschuldigen, wenn ich Dir den ersten Brief nicht ganz mittheile.“

Mit kaum unterdrückter Aufregung las Otto nun denselben vor, indem er die Bezeichnung und Beschreibung des Erkennungszeichens überschlug. Der zweite Brief, den er darauf dem Freunde gab, lautete so:

„Ein wohlwollendes Geschick hat mir die Strafe für den Leichtsinn erspart, der meinen früheren Brief an Sie dictirte. Seit ich ihn in Ihren Händen weiß, habe ich mir schon unzählige Male gesagt, daß Ihre Geringschätzung Alles sein dürfte, was dieser unweibliche Schritt mir eintragen würde, und doch hätte ich vielleicht nicht die Kraft gehabt, dem Ihnen vorgeschlagenen Zusammentreffen selbst auszuweichen. So danke ich denn dem Himmel, daß es sich ohne mein Zuthun anders fügte, und schreibe diese Zeilen nur, um Ihnen zu sagen, daß ich es für immer aufgegeben habe, dem Geschick abtrotzen zu wollen, was es nicht freiwillig gewährt. Sie werden nie wieder von mir hören; fühlen Sie sich aber im Laufe der Tage oder Jahre jemals einsam, dann sei es für Sie ein freundlicher Gedanke, daß ein Herz warm für Sie schlägt und bis zu seinem letzten Athemzuge Ihr Bild festhalten wird.“

Marbach’s Gesicht hatte, während er las, den spöttischen Ausdruck verloren, mit dem er begonnen. „Und Du hast keine Ahnung?“ sagte er aufblickend.

„Nein,“ entgegnete Otto, während doch eine verrätherische Gluth bis zu seinen Schläfen aufstieg.

„Hm!“ meinte der Assessor, indem er ein Lächeln unterdrückte, „was haben wir denn für Anhaltspunkte? Man hat Dich seit längerer Zeit beobachtet – das könnte also nur eine Spitalpatientin oder eine Nachbarin sein, denn in unserem Club wird die liebenswürdige Schriftstellerin Dich schwerlich beobachtet haben, und sonst sieht man Dich ja nur wie eine Figur der camera obscura, auf Deinen Spaziergängen. Daß sie den gebildeten Classen angehört, sagt uns der zweite Brief mehr als der erste, dessen Romantik allenfalls noch einer durch Leihbibliotheken gebildeten Putzmacherin entsprechen würde. Dieses Genre reicht aber doch nicht in die Scala des Ausdrucks hinauf, den wir hier vor uns haben. – Als echter Ritter bist Du wohl entschlossen, das rosa Band oder die blaue Blume des Erkennungszeichens um keinen Preis zu verrathen?“

„Nein,“ sagte Schaumberg schroff.

„Nur piano, mein Sohn, ich setze Dir keine Pistole auf die Brust, aber ganz entrinnen sollst Du mir nicht, ein Examen mußt Du aushalten. Wie ist es mit der Spitalpatientin?“

Otto lachte. Die Gestalten all’ der alten und jungen Gesichter, die ihn täglich aus großen Hauben anblickten und ihre Leiden klagten, im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Gesprächsstoff zu bringen, erschien ihm doch allzu grotesk. „Warte, mein Schatz,“ sagte er mit gutmüthigem Spott. „Nächster Tage nehme ich Dich einmal mit in meinen ‚Damenkrankensaal‘, da kannst Du Dir unter den vorhandenen Figuren den Typus einer Romanheldin heraussuchen. Du wirst vortreffliche Modelle finden, nur schade, orthographisch schreiben können sie gewöhnlich nicht.“

„Eine Nachbarin also,“ entgegnete Marbach, ohne eine Miene zu verziehen, und schritt dem Fenster zu. Ein unwilliger, fast zürnender Ausdruck glitt hinter seinem Rücken über die Stirn des Freundes und glättete sich nicht, als der Assessor, der mit einem Scherzwort den Fensterflügel geöffnet hatte, plötzlich abbrach und lauschend stehen blieb. Aus dem Hause drüben klang der Gesang einer vollen Altstimme herüber. Deutlich erkannten die Freunde die mächtige Melodie des Liedes: Am Meer, von Schubert.

Als die Sängerin geendet, schloß Marbach leise das Fenster und sah Otto mit eigenthümlichem Blick in die Augen. „Duckmäuser,“ sagte er halb ernst, „Deine nächste Nachbarin wäre denn ohne Zweifel die schöne Wittwe.“

„Welche Albernheit!“ fuhr Schaumberg auf. – „Eine schöne

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 707. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_707.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)