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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Wittwe,“ sprach der Freund unbeirrt, „fünfundzwanzig Jahre, reich, interessant, Freier so viel wie Penelope selig, wählerisch wie jede verwöhnte Göttin, und gerade darin ganz dazu geschaffen, das vollauf Gebotene bei Seite zu schieben, um die Hand nach dem Monde auszustrecken. Du bist ein Glückspilz, dem der goldene Apfel direct aus dem Lande der Hesperiden in den Schoß fällt!“

„Wenn Du ausgefabelt hast, dann nimm Dir eine frische Cigarre und rede Vernunft,“ warf Otto in trockenem Tone ein. „Gehen wir noch in den Club, oder willst Du meine frugale kalte Küche mit mir theilen?“

„Du wünschest einen andern Discours, wie ich merke! Aber mir gefällt mein Stoff, mir gefällt die schöne Wittwe, es ist ein Thema, bei dem man gern bleibt.“

„Dann würde ich an Deiner Stelle versuchen, für immer dabei zu bleiben! Man mag seit einiger Zeit mit Dir vom Großmogul sprechen, oder von gut Wetter und Regen, immer findest Du Mittel, wieder bei Deiner schönen Wittwe anzukommen. Schlage ihr in Gottes Namen vor, Frau von Marbach zu werden, und damit gut!“

„Geht nicht an, geht leider nicht an,“ sagte der Assessor klagend. „Sie ist zu anstrengend für mich. Wenn sie so reizend aussieht, wie ein blonder Dämon es nur irgend fertig bringen kann, dann flattere ich mit ausgebreiteten Flügeln auf sie los, so wie sie aber anfängt über Himmel und Erde zu schweifen und mich armen Kerl in wirbelnder Geschwindigkeit mit sich irrlichteriren zu lassen, dann merke ich, es geht nicht an, ich würde mit einer so anstrengenden Frau nach acht Tagen schon in Atome zerstieben.“

„Eine Phantastin also, oder gar eine Art von Blaustrumpf? Das hätte ich der hübschen Frau nicht zugetraut, sie hat eher etwas Kindliches im Ausdruck.“

„Sie hat ein ganzes Repertoire von Ausdrücken, mein Junge. Ich werde Dich bei nächster Gelegenheit einmal vorstellen, dann kannst Du bessere physiognomische Studien machen, als von Deinem Fenster aus.“

„Das laß bleiben,“ entgegnete Schaumberg kalt. „Du weißt, ich verlange überhaupt nicht nach Damenbekanntschaften, und was sollte ich mit einer excentrischen Frau anfangen, oder sie mit mir!“

„Excentrisch ist Helene Dalen nun gerade nicht, nur ungewöhnlich. Die kleine Frau hat ja auch schon manchen Scenenwechsel durchgemacht, da färbt immer etwas ab, hier oder dort. Du hast sicher gehört, daß sie ein Jahr über die vergötterte Prima-Donna des Mannheimer Theaters war, noch blutjung damals, ein Mädchen aus gutem Hause, unter den Flügeln der Mutter die Theatercarriere verfolgend. Sie verließ von dort aus die Bühne, um sich an einen reichen Mann zu verheirathen, eine Art von Allerweltsgelehrten, der aus dem Kinde seine Puppe machte und sie mit Literatur, Astronomie und allem Teufelszeug vollpfropfte, bis sie aus einem liebenswürdigen Weibchen zu dem zurecht gemacht war, was man, horribile dictu! eine geistreiche Frau nennt. Der Mann starb, und die schöne Wittwe ließ sich, mit einer komischen alten Cousine als Ehrenwächterin, hier nieder, weil ihr die Gegend gefiel, meine ich. Sie hat jedenfalls das Verdienst um die Stadt, die Zungen zu beschäftigen, die ihr beim besten Willen zwar nichts Schlimmes nachsagen können, aber ihren ganzen exotischen Habitus als pikantes Futter fleißig verarbeiten. Ich bin nur begierig, ob sie ihre Freiheit noch ferner so standhaft vertheidigen wird, wie bisher.“

„So gilt keiner ihrer Bewerber als bevorzugt?“ fragte Schaumberg flüchtig.

„Doch. Da ist ein Major von Feldheim, dem sie wenigstens mehr Rechte einräumt, als den Anderen. Man sagt, er sei schon früher, als ihr Mann noch lebte, mit der Familie befreundet gewesen. Er wird viel mit ihr gesehen; hätte er aber wirklich die Chancen auf Erfolg, die man ihm zuspricht, so sehe ich nicht ein, warum die Verbindung verzögert werden sollte, und deshalb glaube ich nicht daran. Der Major könnte übrigens ihr Vater sein, gilt für einen Flattergeist in Beziehung auf das schöne Geschlecht, und denkt vielleicht gar nicht an die Heirathspläne, die ihm zugeschrieben werden.“

„Und nun ist Dein interessantes Thema doch wohl erschöpft, wenigstens für heute,“ lächelte Otto, als Marbach schwieg; „vielleicht ist’s jetzt erlaubt, die brennende Frage unseres Abendbrods noch einmal in Anregung zu bringen. Ich denke, wir gehen doch nach dem Club, die Andern erwarten Dich heute.“

Marbach nickte einverstanden, Beide brachen auf, und Schaumberg gab sich an diesem Abend mit ungewohnter Lebhaftigkeit dem allgemeinen Gespräche hin.

Als er spät in der Nacht den einsamen Weg nach Hause zurückgelegt und die Eingangspforte aufgeschlossen hatte, stand er noch einen Augenblick unter dem sternhellen Himmel und blickte zu den dunkeln Fenstern des Hauses gegenüber auf.

„Sie heißt also Helene,“ flog, mehr gedacht als ausgesprochen, über seine Lippen. „Ob ich je erfahren werde –“ der Gedanke ward nicht zum leisen Wort des Selbstgespräches. Mit rascher, fast heftiger Bewegung trat der junge Arzt ein, zog die Thür hinter sich zu und verschwand in seinem Zimmer.

(Fortsetzung folgt.)




Aus der schwäbischen Dichterwelt.

Wer im September auf der Eisenbahn oder in den abgelegeneren Gegenden Württembergs auf dem Postwagen gegen Stuttgart reist, dem wird eine eigenthümliche Reisegesellschaft bald auffallen. Junge Bürschlein von vierzehn bis sechzehn Jahren, ängstlich und verzagt aussehend, von sorglichen Müttern oder von Vätern begleitet, deren Aeußeres den behäbigen Decan, den kinderreichen Landpfarrer oder den gedrückten Schulmeister verräth. Zuweilen trifft man auch Trupps von acht, zehn bis fünfzehn solcher jungen Leutchen, beaufsichtigt von einem Manne, dem wir im Gespräch eine wissenschaftliche Bildung anmerken, über den wir aber nicht ganz klar sind, ob er ein Oekonom oder ein weiter gebildeter Volksschullehrer ist. Die Anrede: „Herr Präceptor“ zeigt uns seinen Stand. Auf die Frage: „Wohin mit den jungen Leuten?“ heißt es kurzweg: „Sie werden eingeliefert!“ Betroffen fahren wir zurück: sollten diese unschuldigen, flachshaarigen Jünglinge Verbrecher sein, die in eine Strafanstalt gebracht werden? Auf nähere Nachfrage berichtet man uns, nächster Tage sei in Stuttgart Landexamen, und man ist höchlich erstaunt, daß wir da draußen in der Welt von dieser ganz Württemberg durchzitternden Kunde nichts wissen.

Als bei der Reformation Herzog Christoph die Kirchengüter einzog, ließ er fünf Klöster mit ihren bedeutenden Geldmitteln bestehen und verwandelte sie in Bildungsanstalten für protestantische Theologen. Kost, Wohnung, Unterricht ist frei, ja sogar ein Taschengeld wird gegeben. Natürlich ist der Zudrang zu diesen Anstalten ein gewaltiger, bis gegen zweihundert Bewerber sammeln sich in Stuttgart, aber Viele sind berufen, nur vierzig auserwählt. Wir sagen den Leuten Lebewohl, wünschen viel Glück und hoffen sie in Stuttgart wieder zu sehen. Dort gehen wir in die bekannte Restauration „Stotz“, ungeachtet der engen Straße ein beliebtes Haus für „kleine Leute“, um mit Hackländer zu reden. Es ist gegen fünf Uhr Abends. Bei trefflichem Stoff mustern wir die Umgebung und erkennen manche unserer älteren Mitreisenden, da treffen sich alte Bekannte, Universitätserinnerungen werden ausgetauscht, man bespricht das Examen und die Möglichkeit, ob Sohn, Neffe, Zöglinge, Bekannte durchkommen; Studenten in rothen Mützen, der Tübinger Königsgesellschaft angehörig, „Roigel“ geheißen, erwarten Brüder und Freunde und suchen Füchse zu „keilen“.

Jetzt strömen die jungen Leute aus dem Examen, siegesfroh oder niedergeschlagen. Furchtbar schwer waren die Aufgaben, denn Professoren aller Württembergischen Anstalten bilden den Prüfungsausschuß, entsetzliche Argumente, anderswo lateinischer Stil genannt, werden ersonnen, „scheußliche“ Sätze aus den Classikern, hier zu Land „Perioden“ geheißen, aufgegeben. Endlich wird das Ergebniß verkündet, die Namen der vierzig Glücklichen erschallen im

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