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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

anregende Lehrer begeistert las er mit Begierde die Alten oder streifte mit gleichgesinnten Freunden auf der herrlichen Alb umher, in den anderthalb Erholungsstunden im Winter nach Tisch und weitern anderthalb Stunden an den Sommerabenden.

In einer Felsenspalte machte er sich eine Grotte zurecht und in träumerischem Sinnen regte sich in ihm das erste Wehen des Dichtergeistes. Nur zu schnell entschwand diese Zeit, nach den üblichen vier Jahren ging’s nach Tübingen. Was Vischer in seinem „Schartenmeier“ von einem Theologen singt:

„Wie ein Ochs vor seiner Mulde
Stand er dort vor seinem Pulte
Und studirt das Testament
Und was sonst für Bücher send.

Das galt von unserm Mörike nicht, die Classiker und jetzt auch unsere deutschen Meister, später auch Shakespeare galten ihm mehr, als die altlutherische Orthodoxie, der Umgang mit Vischer, Strauß, Zimmermann, Waiblinger diente auch nicht dazu ihn zu einer Kirchensäule zu gestalten, doch bestand er das theologische Examen und zu Kleversulzbach bei Weinsberg treffen wir ihn als wohlbestallten Pfarrer. Doch nicht lange blieb er im Pfarramt, wenn er auch das Pfarrleben in reizender Idylle beschreibt; bald nach seiner Verheirathung zog er sich in das romantisch gelegene Hall zurück, wo er in dichterischer Muße den größeren Theil seiner Schöpfungen, einen Roman „Maler Nolten“, eine „Idylle vom Bodensee“ und eine Sammlung Gedichte herausgab. Später berief ihn König Wilhelm als Professor der deutschen Literatur an das Katharinenstift, eine höhere weibliche Lehranstalt, nach Stuttgart, eine Stellung, die seiner Neigung völlig zusagte und wo seine Schülerinnen besonders durch seine hinreißende Gabe im Vorlesen der classischen Meisterwerke entzückt wurden. Nach längerer erfolgreicher Thätigkeit machten es ihm Gesundheitsumstände unmöglich sein Amt weiter zu bekleiden, und so lebt er denn jetzt in dem anmuthigen Remsthal, zu Lorch, am Fuß des Staufen in der Nähe des sang- und liederreichen Gmünd.

War so sein Leben ein mehr innerliches, durch äußere Schicksale wenig bewegtes, so auch seine Dichtung. Abgesehen vom Dramatischen, zu dem alle Dichter der schwäbischen Schule wenig Zug und Neigung haben, überließ er das Feld der Romanze und Ballade, der vaterländischen Sage und Geschichte einem Knapp, Krais, Schwab, Uhland; die politischen und religiösen Kämpfe, welche den Letztern zum Einstehen für „das alte gute Recht“ in die Schranken riefen, einem Pfizer glühende Worte gegen die Tyrannei der heiligen Allianz eingaben, den Geisterseher Kerner für die Polen entflammten, Herwegh zur Theilnahme an der badischen Revolution trieben und seine Freunde Vischer, Strauß, Märklin gegen die Pietisten in’s Feld riefen, berührten ihn nicht. Desto tiefer aber versenkt er sich in sein eigentliches Gebiet, die lyrische Dichtung und die Idylle, und neben dem Inhalt entzückt uns auch die vollendete Form. Reine Form freilich allein macht noch keinen großen Dichter, denn die Form ist ja nur, so zu sagen, ein gewandtes Roß, der Gaukler tummelt es im Circus zu eitlem Spiel, aber den Feldherrn trägt es auf dem Feld der Ehre zu großen Thaten. Betrachten wir uns einige Gedichte Mörike’s näher.

Eines seiner frühesten aus dem Künstlerroman „Maler Nolten“, einem Buche voll herrlicher Einzelheiten und des reinsten, tiefsten Gemüthslebens, aber zu phantastisch und schauerlich und unserer klaren Zeit nicht ganz mehr genießbar:

Das verlassene Mägdlein.
Früh, wann die Hähne kräh’n,
Eh’ die Sternlein verschwinden,
Muß ich am Herde steh’n,
Muß Feuer zünden.

5
Schön ist der Flammen Schein,

Es springen die Funken;
Ich schaue so drein,
In Leid versunken.
Plötzlich da kommt es mir,

10
Treuloser Knabe,

Daß ich die Nacht von Dir
Geträumet habe.
Thräne auf Thräne dann
Stürzet hernieder!

15
So kommt der Tag heran –

O ging er wieder!

Dieses Gedicht drückt in tief zum Herzen greifenden Tönen den öden Schmerz des verlassenen Mädchens aus.

Wie herrlich ist sein: „Mein Fluß“.

O Fluß, o Fluß im Morgenstrahl!
Empfange nun, empfange
Den sehnsuchtsvollen Leib einmal
Und küsse Brust und Wange!

5
Es schlüpft der gold’ne Sonnenschein

In Tropfen an mir nieder,
Die Woge wieget aus und ein
Die hingegebnen Glieder; etc.

Wer je schon in der Morgenfrische in einem Fluß gebadet hat, nicht in einem Badkasten, auch nicht in einer Schwimmanstalt, sondern in Gottes freier Natur unter Uferweiden und Erlen, beim Flüstern des Schilfs, umgaukelt von bunten Libellen, der versteht die ganze Naturwahrheit dieses Gedichtes, das sich in mancher Hinsicht neben Goethe’s Fischer stellen kann.

Und dann, welch’ köstlichen Humor, welch’ neckenden Scherz hat unser Dichter; ich greife nur heraus

Der Liebhaber an die heiße Quelle zu B.
Du heilest Den und tröstest Jenen,
O Quell, so hör’ auch meinen Schmerz;
Ich klage Dir mit bittern Thränen
Ein hartes, kaltes Mädchenherz.

5
Es zu erweichen, zu durchglühen,

Dir ist es eine leichte Pflicht;
Man kann ja Hühner in Dir brühen,
Warum ein junges Gänschen nicht?

An die Art Heine’s, aber ohne die ätzende Lauge dieses Dichters, erinnert: „an Philomele“. Er beginnt in antikem Versmaß eine Ode an die Sängerin:

O Sängerin, Dir möcht’ ich ein Liedchen weih’n
Voll Lieb und Sehnsucht!

Aber plötzlich fallt er in die derbe, schwäbische Wirklichkeit:

Verzeih! Im Jägerschlößchen ist frisches Bier
Und Kegelabend heut; ich versprach es halb
     Dem Oberamtsgerichtsverweser,
          Auch dem Notar und dem Oberförster.

Wie herrlich passen die schwäbischen Titel in’s antike Metrum, kein Philolog wird an dem „Oberamtsgerichtsverweser“ einen falschen Versfuß finden können.

Und so noch eine Reihe von gleich anziehenden Dichtungen, nur kurz möcht’ ich noch ein größeres erwähnen, in der „Herbstfeier“ verklärt der Dichter die schwäbische Weinlese in antiker Art, wie umgekehrt Hebel in seinem Statthalter von Schopfheim einen biblischen Stoff in die Sitten und die Anschauungsweise allemannischer Bauern übertragen hat.

Auf! Im traubenschwersten Thale
Stellt ein Fest des Bachus an!

Weiter heißt es dann:

Braune Männer, schöne Frauen
Soll man hier versammelt seh’n,
Greise auch, die ehrengrauen,
Dürfen nicht von ferne steh’n,

5
Und daß er vollkommen sei,

Treten zögernd auch die stillen
Mädchen unserm Kranze bei.

Auch das unschuldig naturalistische Element fehlt nicht:

Laßt mir doch den Alten machen,
Der sich dort zum Korbe bückt
Und den Krug mit hellem Lachen
Kindisch an die Wange drückt!

Solche Auftritte, mitunter stark rembrandtisch gefärbt, kann der Fremde, namentlich Sonntags, in Schwaben in Menge sehen.

Zum Schluß heißt’s:

Stimmet an die letzten Lieder!
Und so, Paar an Paar gereiht,
Steiget nun zum Fluß hernieder,
Wo ein festlich Schiff bereit.
Auf dem vordern Rand erhebe

5
Sich der Gott und führ’ uns an,

Und der Kiel mit Flüstern schwebe
Durch die mondbeglänzte Bahn!

Der Fluß ist aber weder Ilissus, noch Tiber, sondern unser vaterländischer Neckar, jene Brücke mit kühnem Bogen ist bei Untertürkheim, der Thurm, der dort mit vier Erkern in die Lüfte ragt, ist weder das Capitol noch das Parthenon, sondern der Pfarrthurm von Mettingen, und die Fahrt geht nicht gen Rom oder Athen, sondern nach Eßlingen oder Stuttgart, und auf den Rebhügeln prasselt’s von Schwärmern und Raketen und die schönen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_710.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)