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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 46.   1868.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Das Erkennungszeichen.
Von A. Godin.
(Fortsetzung.)


3.

Es ist der erste Sonntag im Mai. Die Sonne lacht strahlend vom wolkenlosen Himmel hernieder, als wolle sie das Frühlingsfest, das alljährlich an diesem Tage in Bamberg gefeiert wird, begrüßen. Wie Pilger zu einem Wallfahrtsort wandern von des Morgens an Schaaren von Spaziergängern den Pfad entlang, der zur Höhe der Altenburg führt; die dienenden Classen, wo es ihnen nicht gelungen war, sich den Nachmittag frei zu bitten, schon um vier Uhr früh, um sich von dem Pächter, der die Gartenanlagen pflegt, ein gutes Frühmahl bereiten zu lassen und dem fröhlichen ersten Morgenconcerte beizuwohnen. Gegen acht Uhr nimmt die herbeiströmende Menge schon einen gewählteren Charakter an. Selbst die beau monde, deren jüngerer Theil namentlich, dem Tage zu Ehren, heut ungewöhnlich zeitig das Lager verlassen hat, mischt sich jetzt, im frischesten Frühlingsputze, unter die Bürgersleute, denn um neun Uhr sollte dort oben der Gottesdienst im Freien beginnen, eine Frühlingsfeier, wie ein andächtiges und für die Poesie der Natur empfängliches Herz sie nicht schöner wünschen kann.

Bald nach acht Uhr trommelte der Finger des Assessors an die Scheiben des Freundes, der die erste Morgenrunde bereits beendigt und sich für ein paar Stunden frei gemacht hatte. Mit Genuß wanderten die beiden jungen Männer in den himmelblauen, sonnengoldenen Morgen hinein, durch die alte, charaktervolle Stadt den engen Schluchten zu, die sie, langsam aufsteigend, durchschritten, oft genug vom Reize des Landschaftsbildes gefesselt, das sie bei mancher Wendung plötzlich anlachte, wie die vereinzelte Strophe eines schönen Gedichtes, dessen vollen Genuß freudig ahnen lassend.

Nachdem der letzte ziemlich steile Theil des Berges überwunden und ein von Bäumen besetztes Plateau erreicht war, fesselte die volle Pracht der Aussicht in der That Fuß und Auge Beider, so oft sie den Ausblick auch schon genossen hatten. Eine weite, lachende Thalebene dehnt sich dort in aller Mannigfaltigkeit eines reich angebauten Landes aus und bildet in ihrer sanften Färbung eine Folie für die Stadt, deren Anblick um so malerischer erscheint, als ihre schönsten Kirchen, ihre bedeutendsten Gebäude hochgelegen sind. Die reiche Ebene, von sanft ansteigenden Bergen amphitheatralisch begrenzt, von dem lebendigen Flusse erhellt, wird durch einen dichten Föhrenwald um so effectvoller schattirt, als ein dem Forste nahegelegener klarer See wie ein Thautropfen auf einem Blatte funkelt und mitten aus dem Walde die weißen Mauern des hübschen, mit vier Thürmen geschmückten Schlößchens Seehof hervorleuchten. Manche Bergcapelle giebt, von den Höhen herabgrüßend, der Landschaft die locale katholische Färbung, während die Thürme der zahlreichen Kirchen, besonders des schönen byzantinischen Doms, ein hochgelegenes Klostergebäude, ein weitläufiges Residenzschloß, dem kundigen Blick leicht verrathen, daß er in der Stadt selbst einen Bischofssitz vor sich liegen sieht. Wohl fünfzig Ortschaften sind rings umher ausgestreut, manche Burg beschirmte oder bedrohte das flache Land, als ihre jetzt zerbröckelten Mauern noch stolz emporragten. Die großartigen Trümmer der Feste Giech scheinen das Pendant zu dem stattlichen Bergschlosse Banz zu bilden, das, ein ehemaliges Kloster, jetzt hell von der Morgensonne beschienen wird; dieselbe Sonne tanzt spülend und hüpfend auf der muntern Regnitz und scheint ihr zu ihrer Vermählung mit dem Main, der blau herüber schimmert, den Segen zu geben.

Die Freunde schritten weiter, der Altenburg entgegen, wo sich an der mit jungem Rasen bekleideten Brustwehr, welche den Schloßgraben abgrenzt, eine wogende Menge in lebensvollen Gruppen bewegte. Denn hier war der Punkt, von wo aus sich der bevorstehende Hauptmoment der heutigen Feier am besten genießen ließ. Bot der Anblick von Hunderten festlich geschmückter und gestimmter Menschen ein Allegro frischen Lebens, so glich der Schauplatz, dem sie entgegenblickten, dem Adagio einer lieblichen Idylle. Auf der Wiesenfläche jenseits des Grabens steht ein schmuckloser, in weißem Sandstein ausgehauener Altar; drei Crucifixe, welche Christus und die beiden Schächer in mehr als Lebensgröße tragen, erheben sich hinter demselben und treten einfach, aber wirkungsvoll aus dem Hintergrund einer Gruppe alter Buchen hervor. Wiesen und Bäume füllen in allen Schattirungen von Frühlingsgrün die Schlucht aus, die sich von dort bis zur Ebene hinzieht, und, wie ein Ei im Neste, liegt tief unten im Grunde ganz lauschig und einsam das Dörfchen Wildensorge.

Immer neue Gruppen strömen, da es in wenigen Minuten neun Uhr war, über die hölzerne Brücke, die aus dem Burgthor über den Graben führt, der unmittelbaren Nähe des Altares zu, und sowohl diesseits als jenseits des Grabens, bis tief in den grünen Thalgrund hinab, war bald jedes Plätzchen besetzt. Das Glöckchen des Meßners erklang, und aus dem Schatten der Bäume hervor trat der Priester mit seinen Chorknaben an den heute mit Teppichen und Blumen reich ausgestatteten Altar. Mit allen Ceremonien des katholischen Cultus ward nun, mitten im Grün,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_721.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)