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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Der Katzen-Raphael.


Gottfried Mind.

Wenn wir in den Blättern der Kunstgeschichte nachschlagen und etwa vom dreizehnten Jahrhunderte an alle die hervorragenden Künstler an unserm Auge vorüberziehen lassen, die als ritterbürtige durch ihre Werke in den großen Galerien vertreten sind, so können wir in absteigender Linie drei deutlich gesonderte Classen von Existenzen unterscheiden. In der ersten, die wir das Herrenhaus der Malerei nennen wollen, begegnen wir jenen großen Malerfürsten, die nicht nur auf dem Gipfelpunkte der Kunst, sondern auch auf der Sonnenhöhe des äußern Lebens standen, um deren Gunst sich weltliche und kirchliche Fürsten bewarben, denen Kaiser die Pinsel aufhoben, Könige die höchsten Ehrenämter übertrugen und welche mit den feinsten Cavalieren ihrer Zeit an äußerem Glanz, ritterlicher Tugend und höfischer Bildung wetteiferten. – In dem Hause der Gemeinen stoßen wir auf die gut bürgerlichen Künstler, die fern von der Hofluft in ihrer Malerstube ihre Welt finden, die Kunst wie ein Gewerbe betreiben, das einen goldenen Boden hat, und die in Friede und Freude zu hohem Alter, hohem Ruhme und behäbigem Besitz gelangen. – Weitab von diesem Reich der goldenen Mittelstraße liegt noch eine Gesindestube, wo jene Künstler vergraben sind, deren Glücksstern weniger glänzend war, als ihr Genius, auf deren Leben des Dichters Wort als Grabschrift dienen könnte:

„Im engen Kreis der Menschheit Loos erfüllen“,

deren Ruhm ein erst nach des Künstlers Tod entstandener war, und die als Kärrner und arme Tagelöhner mit der Noth und der Beschränkung eines kargen Lebens rangen. Zu dieser letzteren Classe bescheidener Existenzen gehörte auch Gottfried Mind von Bern, der in der Kunstgeschichte unter dem Namen des Katzen-Raphael’s bekannt ist.

Mama Mietze mit Familie.
Aquarelle von G. Mind.

In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts war ein armer Tischler und Formschneider aus Ober-Ungarn auf seiner Wanderschaft bis nach der Schweiz gekommen und hatte sich endlich im Dorfe Worblaufen bei Bern häuslich niedergelassen, weil die dortige Papierfabrik ihm lohnende Beschäftigung gab. Dieser Tischer war der Vater unsers Gottfried. Ein schwächliches, kränkliches, geistig und körperlich unentwickeltes Kind, wuchs der letztere ohne Schulunterricht und fast ohne Aufsicht auf, wie hundert andere arme Kinder auf dem Dorfe, fast immer im Freien, weil seine Eltern, wohl nicht mit Unrecht, von diesem Zigeunerleben die sicherste Abhärtung und Stärkung seines Körpers erwarteten. Einstmals erhielt der Besitzer der Papiermühle, für welche der alte Mind arbeitete, den Besuch eines deutschen Malers, Namens Legel, der nach dem schöngelegenen, von prachtvollen Wäldern umgebenen Worblaufen in die Sommerfrische kam.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_741.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2017)