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Scharfrichter herbeizuholen. Während aber letzterer sich hartnäckig weigerte, dem Bürgermeister zu folgen, benutzten die Verurtheilten klug die dadurch gewonnene Frist. Sie credenzten dem Sieger den großen Rathspocal mit ihrem Besten, und diese Aufmerksamkeit soll Tilly so menschlich gestimmt haben, daß er Allen Begnadigung verhieß, wenn Einer unter ihnen den Pocal auf einmal zu leeren vermöge. Der Altbürgermeister Nusch war der Mann, welcher sich den gewaltigen Trunk zutraute, er setzte das Gefäß tapfer an und trank es mit „Gottes Hülfe“ leer bis zur Nagelprobe. Dieser Pocal wird noch heute aufbewahrt, er hält zwölf Schoppen bairisch gut, aber „es schadete dem Altbürgermeister nichts“, sagt die Chronik. Die Freudenbotschaft traf den Bürgermeister Bezold unterwegs, und die Gasse, wo dies geschah, heißt seitdem bis diesen Tag das Freudengäßchen. Eine leidliche Brandschatzung war Alles, was die Stadt nach dem schweren Schrecken zu tragen hatte. – Nahe am Ende des Krieges, 1645, eroberten auch noch die Franzosen den nach all den Drangsalen endlich arm und hinfällig gewordenen „festen Platz“.

Wie das gesammte Volksthum in Deutschland lag insbesondere das reichsstädtische Leben nach jenem Kriege eines ganzen Menschenalters zum Erbarmen darnieder und sank immer tiefer in eine für uns kaum noch faßbare politische Erbärmlichkeit. Rothenburg machte davon keine Ausnahme, und die Grade seines Sinkens bezeichnen zwei kriegerische Vorfälle: im spanischen Erbfolgekriege wurde es sogar von der Reichsarmee erobert, und im siebenjährigen Krieg genügte die Keckheit eines preußischen Husarencornets, um an der Spitze von fünfundzwanzig Mann und einem Trompeter und mit dem alleinigen Aufwand einiger Pistolenschüsse dieser alten Heldenstadt eine Brandschatzung von vierzigtausend Gulden abzuängstigen! – Dennoch dürfen wir nicht verschweigen, daß diese Versunkenheit weniger in den bürgerlichen und unteren Volksschichten, als in den oberen Kreisen und den aus ihnen hervorgegangenen Behörden grassirte; auch dafür lieferte Rothenburg noch im letzten Jahre des vorigen Jahrhunderts den Beweis. Als des französischen Generals Moreau flinke Schaaren damals über den Oberrhein brachen, von Sieg zu Sieg zogen und selbst das unbezwingliche Hohentwiel von seinem Commandanten ohne Schuß übergeben wurde, erschien auch vor Rothenburg ein französisches Streifcorps. Schon war der Rath abermals bereit zu capituliren und Brandschatzung zu bezahlen, als die Bürger sich mannhaft dazwischen legten und den Feind mit Mistgabeln von den Thoren verjagten.

Wenige Jahre später und noch vor dem Untergange des alten deutschen Reichs ging Rothenburg’s Selbstständigkeit unter, Stadt und Gebiet wurden 1808 Baiern einverleiht. Seitdem verscholl ihr einst so ehrenvoller Ruf, sie ging auch in der Bevölkerung mehr zurück als vorwärts, und da keine Eisenbahn sie in ihrem Tauberthal aufsuchte, so war es nicht zu verwundern, daß die norddeutschen Soldaten, welchen der Donner der Kanonen von den Gefechten des Jahres 1866 an der Tauberlinie voraus ging, dort das herrlichste Stuck deutschen Mittelalters für alle deutschen Alterthumsfreunde und Jünger der architektonischen Kunst gleichsam neu entdeckten. Bereits hat ihre Wallfahrt dorthin begonnen, und wir können nur wünschen, daß dieselbe sich fort und fort mehre, daß aber auch die Bewohner von Rothenburg den Schatz ihrer alten Bauwerke als ein deutsches Kleinod vor jedem Eingriff der Zerstörungs- und Modernisirungssucht hüten mögen. Die Befestigungs- und Prachtbauwerke Rothenburg’s verdienten unter nationalen Schutz gestellt zu werden.

Um unseren Abbildungen einige Bemerkungen beizufügen, kehren wir noch einmal in die Stadt zurück. Dem Wink der beiden höchsten Thürme folgend gelangen wir zur St. Jacobskirche, einem Prachtbau im reinsten gothischen Style. Die Entstehungszeit desselben fällt in die Jahre von 1373 bis 1443. Im Innern wird der Kunstfreund ganz besonders auf die meisterhaften Holzschnitzereien, die Glasmalereien und die Gemälde von Dürer, Wohlgemuth und Herrlein aufmerksam gemacht. Diese Kirche ist neuerdings durch Heideloff in allen beschädigt gewesenen Theilen wiederhergestellt worden. Auch die St. Wolfgangskirche und die zu St. Johann bieten Sehenswerthes. Ehedem besaß die Stadt zehn Kirchen; davon sind jedoch nur sieben, fünf für den protestantischen und zwei für den katholischen Gottesdienst, erhalten. Von den weltlichen Gebäuden zeichnet das neue Rathhaus sich durch Reichthum und Geschmack der Architektonik aus. Bürgerwohnungen, die durch ihren reinen mittelalterlichen Charakter den Blick des Sachverständigen fesseln, bietet jede Straße und jedes Gässchen. Auch der hundert Fuß hohe Wasserthurm ist der Beachtung werth; ein Mönch legte im fünfzehnten Jahrhundert die Wasserkunst an, die durch Druckwerke aus der Tauber verschiedene Brunnen die Stadt speist.

Rothenburg gehört zu den Orten unseres Vaterlands, die schwer darunter leiden, daß sie vom großen Weltverkehr ausgeschlossen sind. Die etwa fünftausend Bewohner der Stadt sind auf örtlichen Erwerb angewiesen, während ihnen Capital und Kunst- und Gewerbfleiß genug zu Gebote steht, um eine höhere Industriestufe einzunehmen und den alten rührigen Kampfgeist auf lohnenderem Felde zu bewähren.

Fr. Hfm.
Blätter und Blüthen.

Der Specialdraht. Welche gewaltige Umwälzung der elektrische Telegraph auch in unserer Tagespresse hervorgebracht hat, bedarf keiner Erwähnung; eine Zeitung ohne die Mitwirkung von Funken und Draht ist jetzt eben so undenkbar wie eine Zeitung ohne Setzer und Drucker; unbedeutend aber ist die Rolle, die unser deutscher Journalismus zur Zeit noch den Telegraphen anweist, den wahrhaft ungeheuerlichen Diensten gegenüber, welche die amerikanischen und englischen Zeitungen von ihm fordern. Die New-Yorker Blätter namentlich leisten in dieser Beziehung Erstaunenswerthes, insbesondere während der Session des Congresses. So lange derselbe tagt, befördert der Draht Tag für Tag den Inhalt von zehn bis zwölf enggedruckten riesenhaften Zeitungscolumnen von Washington nach New-York, d. h. die Reden der Haupttheilnehmer an den Debatten, die Briefe der verschiedenen Specialcorrespondenten und die Berichte von sämmtlichen Unfällen, Verbrechen, Gerüchten und sonstigen Neuigkeiten, die man erlangen kann.

England steht zwar hinter diesen Bravourstücken zurück, indeß sind die Anstalten, welche die großen schottischen und irischen Tagesblätter machen, um ihren Lesern alles, was tagtäglich in London Mittheilenswerthes passirt, mit Blitzesschnelle zur Kenntniß zu bringen, immer merkwürdig und wunderbar genug. In London, als dem großen geistigen, staatlichen und materiellen Centrum des Reichen, besitzen drei irische und vier schottische Organe ihre sogenannten „Specialdrähte“, mit andern Worten, einen Telegraphendraht zwischen London und Dublin, oder London und Glasgow, wie nun gerade der Fall ist, dessen Benutzung von sieben Uhr Abends bis drei Uhr nächsten Morgens ausschließlich dem betreffenden Blatte zusteht. Zu solchem Zwecke vermiethen die Telegraphencompagnien ihre Drähte zu einem bestimmten hohen Preis an die Zeitungen und liefern das nöthige Telegraphistenpersonal, übernehmen aber keine weitere Verpflichtung oder Verantwortlichkeit.

Die Eigenthümer der Zeitungen selbst unterhalten in London ein ganzes Corps von Beamten. Reporter, Unterredacteure, Leitartikelschreiber, Specialcorrespondenten, sie Alle haben in London ihr Hauptquartier und jeder sein besonderes Departement, und was sie an Nachrichten gesammelt und mitzutheilen haben, das blitzt allnächtlich der Telegraph nach Schottland oder nach Irland, damit das liebe Publicum es schon am nächsten Morgen in seiner Zeitung lesen kann. Während das Parlament zusammen ist, liefert, wie man sich denken kann, Westminster die Hauptausbeute für diese Nachtarbeit. Bei wichtigen Verhandlungen werden die Reden sogar wörtlich nachgeschrieben und telegraphirt, und es ist mehr als einmal vorgekommen, daß, wenn Gladstone oder d’Israeli eine lange Rede hielten, die Setzer in Edinburgh oder Glasgow schon den ersten Theil derselben in die Form brachten, während der letzte noch gesprochen wurde. Auch ist es geschehen, dass, als 1866 Russell’s Reformbill noch in der Wagschale schwankte, die Edinburgher Redacteure der Sitzung im Unterhause beiwohnten, ihren Leitartikel darüber schrieben und in der Nacht noch nach der schottischen Hauptstadt telegraphirten, so daß er im Morgenblatte des nächsten Tages gedruckt erschien!

Man kann also sagen, daß die vornehmsten schottischen und irischen Blätter ihrem wesentlichen Inhalte nach in London geschrieben und häufig auch redigirt werden. Arbeit, Sorge und Angst, welche dabei in’s Spiel kommen, sind weit größer, als das Publicum sich vorstellt, und Alles muß mit Dampfeseile abgethan werden; die Oekonomisirung der Zeit ist hierbei eben so sehr Lebensfrage wie die Oekonomisirung des Raumes auf einem Kriegsschiffe. Oftmals entscheiden Minuten; in den ersten Morgenstunden laufen Zeit und Telegraph gleichsam um die Wette. Die kritische Periode fällt zwischen Mitternacht und zwei Uhr früh; in diesen beiden Stunden strömt der größere Theil des im Laufe des Tages eingeheimsten und verarbeiteten Materials im Telegraphenzimmer zusammen, die Beamten kommen dann nicht mehr von den Apparaten hinweg. Vielleicht hat der Premierminister um halb elf Uhr eine große Rede beim Lord-Mayor-Bankett gehalten; vielleicht ist das Opernhaus in Feuer aufgegangen, nachdem die Vorstellung beendet war; vielleicht hat Bright gegen den Schluß einer langen Nachtsitzung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_751.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)