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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

eine heftige Attake auf d’Israeli losgelassen; vielleicht sind in Tottenham Court Road oder sonst wo eine ganze Reihe Häuser eingestürzt, gerade als sich die Bewohner derselben zur Ruhe gelegt hatten. – Ereignisse, wie sie während der Londoner Saison fast allwöchentlich sich zutragen, die brühwarm nach Dublin und Glasgow gemeldet werden müssen, wo sie das Publicum bereits beim Frühstück zu genießen wünscht. Was dem Telegraphenbureau nach Mitternacht zugeht, das ist unfehlbar allemal von Wichtigkeit, denn unbedeutendere und uninteressantere Mittheilungen werden nach elf Uhr nicht mehr expedirt.

Besitzt der Telegraphist die gehörige Geschicklichkeit, so befördert er hundertundzwanzig Worte in sechszig Secunden und schlägt so auf der vierhundert englische Meilen langen Rennbahn zwischen London und Glasgow Mutter Zeit um eine Minute – in Berücksichtigung des Längenunterschiedes der beiden Orte. Der Correspondent, welchem das Referat einer späten Rede, der Bericht von der großen Feuersbrunst oder dem herzbrechenden Begebniß, von dem geheimnißvollen Vorfall oder dem brutalen Anfall auf eine vornehme oder gar „hohe“ Person obliegt, sitzt neben dem Telegraphisten am Apparat und schreibt seine rührenden oder erschreckenden Mittheilungen mit Hochdruckgeschwindigkeit nieder. Sobald er eine Seite gefüllt hat, reicht er sie dem Telegraphisten zu, um sie dem Drahte zu übermitteln, so daß, während Seite Zwei auf das Papier geworfen wird, Seite Eins bereits ihre Bestimmung erreicht hat, und so fort, bis die ganze Geschichte telegraphirt ist. In Glasgow hat die Redaction auch ihren Beamten auf dem Telegraphenbureau stationirt, der Seite für Seite in Empfang nimmt und in die Druckerei befördert. Auf diese Weise ist in vier Minuten, nachdem der Reporter in London seine Arbeit beendet hat, schon die Ueberschreibung der Depesche in Glasgow bewerkstelligt, eine Stunde darauf steht der Bericht gedruckt, und mit den Morgenzügen der Bahnen geht die Zeitung, welche ihn enthält, in die Welt hinaus. Drängt die Zeit noch mehr, so dictirt der Berichterstatter seinen Artikel unmittelbar dem Telegraphisten und mittelbar einem Collegen, der vierhundert englische Meilen davon in Glasgow oder Edinburgh „in stiller Mitternacht“ am Arbeitstische Wacht hält.

Aus diesem Allen scheint hervorzugehen, daß die Redactionen in Schottland und Irland nichts weiter zu thun haben, als das ihnen von London aus zugehende Manuscript in die Druckerei zu schicken und dafür zu sorgen, daß es rechtzeitig und so correct wie möglich in die Presse kommt. Das würde jedoch eine sehr irrige Annahme sein. Wie sorgfältig die verschiedenen Artikel auch in London verfaßt sind, wenn sie nach Glasgow oder Edinburgh oder Dublin kommen, befinden sie sich meistens in einem Zustande, für welchen man in England den technischen Ausdruck „Pie“ (Pastete) zu gebrauchen pflegt, durch die lange Reise oft völlig durcheinander geschoben und aus dem Zusammenhange gerissen; Sätze sind ausgelassen, Ueberschriften und Rubriken fehlen und das Ganze ist ohne Anordnung und ohne Interpunction. In London sind zwar die Mittheilungen in einzelnen Abschnitten, Satz für Satz expedirt worden, allein in Edinburgh oder Glasgow langen sie in einer endlosen und ungeschiedenen Masse an; ein Gegenstand mischt sich mit dem andern, und die Unterredacteure, in deren Departement dies Geschäft fällt, haben in der Regel die größte Mühe und müssen allen ihren Scharfsinn aufbieten, das Chaos zu entwirren und den Text in die rechte Verfassung zu setzen. Börsenschlußcourse der Fonds; gefühlloses Benehmen eines Waliser Pfarrers; Tod eines Cabinetministers; Gerücht vom Abgang des Premiers; Verzeichniß der Fastenprediger; Brutalität in Whitechapel; Einsturz eines Theils der Themseeinfassung; verwegener Straßenraub; Schiffbruch in Cornwallis; Hinrichtung in Preston – so läuft es wild durcheinander, gleich den Phantasien eines Fieberkranken, und der geplagte Unterredacteur in seinem dicht neben dem Setzersaale gelegenen Bureau hat kaum eine halbe Stunde Zeit, das tolle Durcheinander zu lichten und die gehörige Ordnung herzustellen!

Die Arbeit wird dadurch noch mehr erschwert und verwickelt, daß von Zeit zu Zeit Privatmittheilungen, insbesondere von hervorragenden politischen Persönlichkeiten, auf die man Rücksicht zu nehmen hat, einlaufen und sofort zum Abdruck kommen müssen. So läßt vielleicht Gladstobe oder Bright, mitten in der Hitze einer Debatte, dem betreffenden Londoner Subredacteur plötzlich den Wunsch ausdrücken, „für ihn zwei Columnen Petitsatz“ behufs Erörterung dieser oder jener eben auf dem Tapete befindlichen Frage „offen zu lassen“, und somit bleibt das endgültige Arrangement des Blattes suspendirt, bis seine Darlegung eingelaufen ist. Langen im Londoner Telegraphenzimmer Nachrichten an von mehr als gewöhnlichem Interesse, so wird die Depesche, mit deren Beförderung man soeben beschäftigt ist, ohne Weiteres unterbrochen und zunächst die wichtigere Mittheilung telegraphirt. Demgemäß kommt es öfters vor, daß die Ankündigung einer Ministerkrisis oder der Bericht eines Unfalls, durch welchen zwanzig Menschen das Leben verloren haben, oder die Anzeige vom Tode eines regierenden Hauptes und dergleichen mitten aus einem Referate über das Wetter und die Ernte oder über die letzten Wollmärkte herausgeschält werden müssen.

Während der Parlamentstagung haben die Specialdrähte wahrhaft Unglaubliches zu vollbringen. Gar oft müssen sieben Columnen Debatten im Verlaufe eines Abends in Westminster stenographirt, dann umgeschrieben, hierauf nach dem in der City in Threadneedlestreet – derselben Straße, wo sich die Bank von England befindet – gelegenen Telegraphenbureau gesandt, hier telegraphirt, in Glasgow oder Edinburgh übergeschrieben, für die Presse zurecht gemacht, gesetzt, corrigirt und gedruckt werden, um in der nächsten Morgenausgabe des Blattes erscheinen zu können. Zu dieser Zeit ist der Telegraphensaal der Schauplatz von Angst, Aufregung und Spectakel. Die Verhandlungen im „Hause“ haben vielleicht bis tief in die Nacht hinein gewährt und Haufen von Manuscript fluthen bis zum Thorschluß ins Bureau, zum Theil in unleserlichem Gekritzel. Der Bote, welcher die erste Rede in der Tasche hat, ist saumselig und erscheint erst eine Stunde später als der zweite Bote mit der zweiten Rede; drei Seiten aus dem wichtigsten Theile der wichtigsten Rede des Abends fehlen ganz; neue Boten müssen danach ausgesandt werden, und dazwischen regnet es Telegramme von Glasgow und Edinburgh, daß dort die Setzer warten! Den Beamten an den dreißig Apparaten läuft der Schweiß von der Stirn; die Unterredacteure sind in Verzweiflung; Manuscriptbündel in der einen Hand, die Abendblätter in der andern, den Bleistift hinter den Ohren, das Federmesser im Munde – so rennen sie von einem Telegraphisten zum andern, roth von Hitze und Aerger, streichen hier ein paar Sätze, fügen dort welche hinzu, lassen plötzlich mitten in einem Telegramm pausiren, um geschwind ein anderes zu entsenden, und verwünschen, während das Klappern der Instrumente und das Klingeln der Glocken die Ohren betäubt, den Telegraphen als eine Erfindung der Hölle. So geht es fort, bis mit dem grauenden Morgen London erwacht und die armen Telegraphisten, ohne der Wunder zu achten, die sie vollbracht, müde und matt nach Hause und zu Bette schleichen.

Ist das Parlament aber vertagt, jagen seine Mitglieder auf den schottischen Mooren oder lungern sie am Seestrande, steht Belgravia verödet, haben die Clubs sich entleert, schweigt die Politik, alsdann hat der Specialdraht ein paar Monate gute Zeit. Selbst in dem großen Verkehrsstrom von London beginnt dann das Meer der Neuigkeiten zu ebben. Dennoch wird dem Telegraphen nicht völlige Ruhe gegönnt; die armseligste Nachricht aus den Londoner Abendblättern muß der „Special“ nach Irland und Schottland tragen. Und so geschieht es, daß häufig Mittheilungen Hunderte von Meilen gesandt und der Ehre des Druckes gewürdigt werden, die man, wären sie ohne Kostenaufwand in Edinburgh oder Glasgow selbst den Redactionen zugegangen, einfach in den Papierkorb geworfen hätte. Was thut es? – man hat doch seinen „Specialdraht“!


Das Erdbeben in Südamerika. Die Katastrophe an der Westküste Südamerika’s, deren die Gartenlaube bereits in Nr. 42 ausführlicher gedachte, hat auch eine große Anzahl deutscher Landsleute ihrer ganzen Habe beraubt und in namenloses Elend gestürzt. Ein Hülfscomité, bestehend aus den angesehensten Kaufleuten in Lima, wendet sich in einer warmen Ansprache an alle Deutschen mit der Bitte, den so plötzlich unglücklich gewordenen, deren Sympathieen für die alte Heimath bei allen Gelegenheiten, zuletzt bei den Sammlungen für die Verwundeten aus dem Kriege von 1866 sich so wacker bethätigten, hülfreiche Hand zu leisten, und durch Einsendung von Liebesgaben der schrecklichen Noth mit steuern zu helfen. Wir wollen nicht unterlassen, auch unsere Leser auf diesen Aufruf hinzuweisen, mit dem Bemerken, daß das Comité in Bremen, an dessen Spitze Herr S. M. Gildemeister (Firma J. Gildemeister u. Co.) steht, alle, selbst die kleinsten Gaben entgegennimmt und für schnellste Weiterbeförderung besorgt sein wird.

Kleiner Briefkasten.

L. B. in R. Eine ausführliche Antwort auf Ihre verschiedenen Anfragen können wir leider nicht abgeben. Ein Leitfaden zur Kenntniß der Mineralien ist von G. Ramann (in Arnstadt) erschienen, auch können wir Ihnen die dazu gehörigen Mineraliensammlungen in saubern Holzkästen sehr empfehlen, namentlich bei der herannahenden Weihnachtszeit für Schulen und Familien. Es existiren von diesen Sammlungen vier Ausgaben, achtzig Species zu 2 1/2 Thlr., hundert Species zu 4 Thlr. 3 Sgr., hundert Species größeren Formats zu 8 Thlr. und hundertundfünfzig Species zu 15 Thlr. Wenden Sie sich bezüglich Ihrer übrigen Anfragen an den Verfertiger dieser Sammlungen, Herrn G. Ramann in Arnstadt.

Den Herren E. F. Rh. in L., B. in Frankenberg, L. und G. E. in Esp. Die Erfindung, welche in dem Artikel „Ein Londoner Kummerhof“ nur beiläufig erwähnt ist, wird in einer der nächsten Nummern, so weit sie bis jetzt bekannt geworden, mit einigen anderen praktischen Rathschlägen mitgetheilt werden.

„Eine deutsche Frau“. Möchten Sie nicht dem Dichter, zur Beantwortung Ihrer Anfragen, Ihren Namen nennen?


Zur Beachtung.

Oefter vorgekommene Verwechselungen nöthigen mich zu der wiederholten Mittheilung, daß die meiner Zeitschrift zuweilen beiliegenden „Allgemeinen Anzeigen“ in durchaus keinem innern Zusammenhang mit der „Gartenlaube“ stehen und daß, während die „Gartenlaube“ mein alleiniges Eigenthum ist und von mir allein redigirt und herausgegeben wird, die „Allgemeinen Anzeigen“ Eigenthum des Herausgebers derselben, Herrn Robert Apitzsch in Leipzig sind, der diese Anzeigen der Gartenlaube unter denselben Bedingungen beilegt, welche für jeden andern Geschäftsmann maßgebend sind.

Leipzig, im October 1868.

Ernst Keil.

Inhalt: Das Erkennungszeichen. Von A. Godin. (Fortsetzung.) – Deutsche Wanderschaft. Gedicht. Von Emanuel Geibel. – Der Katzen-Raphael. Mit Abbildungen. – Aus dem Unterinnthal. Von Ludwig Steub. 1. Das Passionsspiel in Brixlegg. – Germain Colot, der Steinoperateur. Von George Hiltl. – Ein Kleinod aus deutscher Vergangenheit. Mit Abbildungen. – Blätter und Blüthen: Der Specialdraht. – Das Erdbeben in Südamerika. – Kleiner Briefkasten. – Zur Beachtung.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_752.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2023)