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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Otto war zu dem jungen Mädchen getreten und sagte ihr ein paar artige Worte des Willkomms in der Heimath. Sie sah nicht auf, erröthete aber von Neuem und antwortete so undeutlich und befangen, daß der junge Mann, von ihrer Schüchternheit angesteckt, sich es zum Vorwurf machte, in die für Fremde gewiß nicht berechnete Scene hineingerathen zu sein.

In diesem unbehaglichen Gefühl wollte er sich nach ein paar Minuten empfehlen, Andlau erhob aber dagegen energischen Einspruch, und der Gast fand sich wider Willen in das Zimmer des Oberförsters entführt und dort etablirt, ehe er sich recht besonnen hatte.

„Lassen wir das Kind drunten mit ihren Rotznäschen wirthschaften,“ sagte er, die gewaltigen Glieder streckend, „und plaudern wir hier, bis der Rehziemer gar ist. Ich lasse Sie heut nicht fort, Doctor! Mein Mädel hat mir nun einmal weis gemacht, Weihnachtsabend sei etwas Absonderliches, da wollen wir Zwei ein paar Flaschen Würzburger Leisten mit einander ausstechen. Was sagen Sie zu der Kleinen? Ist wirklich ein Prachtmädel geworden in dem Jahr, seit ich sie nicht mehr gesehen. Und einen Trotzkopf hat sie, sag’ ich Ihnen! Mit der Lisett’ ist’s nichts, Elisabeth muß ich sie rufen, das hat sie schon durchgesetzt in den acht Tagen, und ihren Christbaum auch! Was denken Sie, Doctor – hat mir das Kind wirklich zugemuthet, ich solle mir heute von ihr bescheeren lassen, wie ein kleiner Junge in Pumphöschen, und wie ich mich auf solchen Schnickschnack nicht einlasse, beschwätzt sie den Gehülfen, daß er ihr den schönsten Tannenbaum im Revier schlägt, geht hin, liest sich ein halb Dutzend Bettelkinder zusammen, und richtet ihren ganzen Kram drunten so schmuck her, daß es mir selbst Spaß gemacht hat und ich mich jetzt ärgere, der Kleinen kein Präsent gemacht zu haben.

„Aber nun sagen Sie mir, Doctor, was Teufels sind Sie die ganze Zeit weggeblieben? Bscht – brauchen gar nichts zu antworten, ich weiß schon, daß Sie allen Unterröcken aus dem Wege gehen! Vor meinem Mädel brauchen Sie sich aber nicht zu scheuen, die ist kein solches Kräutchen Rührmichnichtan, wie ich mir vorstellte, lachen kann sie, daß Einem selber das Herz im Leibe lacht, in Wind und Wetter geht sie mit mir hinaus, und kann Einem den Stuhl und die Pantoffeln so gut zurechtrücken, daß es Einem ordentlich wohl dabei wird. Und ein Leben ist in dem Mädel, sag’ ich Ihnen! Das trillert den ganzen Tag wie eine Lerche, Trepp auf, Trepp ab, das springt wie ein Eichhorn und kann schmeicheln wie ein Kätzchen!“

Ergötzt hörte Schaumberg der Suada des alten Herrn zu, dessen herzinnige Freude an der Tochter, im Gegensatze zu dem Mißvergnügen, mit dem er sie erwartet hatte, im Stillen seine Heiterkeit hervorrief.

Als zum Essen gerufen ward, freute er sich darauf, das schöne Gesicht wiederzusehen, welches ihn wirklich von Neuem frappirte. Die lebhafte Färbung, die es vorhin gezeigt, war nun verschwunden, kaum ein Anflug von Röthe deckte die Wangen, nur die frischrothen Lippen erhöhten den warmen Ton ihres Teints. Elisabeth’s größter Reiz war ein eigenthümlich rascher Aufschlag der dunkeln, von langen, etwas gebogenen Wimpern beschatteten Augen. Unwillkürlich wandten Otto’s Blicke sich, magnetisch angezogen, ihr immer von Neuem zu, obgleich seine wiederholten Versuche, sie in ein Gespräch zu ziehen, wenig Erfolg hatten.

Elisabeth gab sich sehr schweigsam, von der heiteren Lebhaftigkeit, die ihr Vater so laut gerühmt, zeigte sich keine Spur, sie erschien dem Gast sogar auffallend befangen.

Dennoch, so wenig des Mädchens überaus melodisches Organ in das Ohr Schaumberg’s erklungen war, begleitete es ihn auf dem Heimwege wie das Echo des angenehmsten Eindrucks, und er gestand sich, selten eine wohlthuendere Gastlichkeit genossen zu haben. –

Von da ab kehrte Schaumberg oft und öfter im Forsthause ein, und er konnte und wollte sich nach einiger Zeit selbst nicht mehr verleugnen, welcher Magnet ihn dahin zog. Täglich ward ihm klarer, daß er in Elisabeth einer Natur begegnete, die zu der seinen stimmte, wie ein Doppel-Accord. Sie waren einander so sympathisch, daß Alles, was sie in der Unterhaltung berührten, ein Licht über die Dinge auszuströmen schien. In Elisabeth’s Nähe wurde jede Fähigkeit des jungen Mannes erhöht, gesteigerte Lebensfrische brachte er von ihr in sein Haus, zu seiner Berufsthätigkeit zurück; ihr strahlendes Bild begleitete ihn überall hin und war nirgend zu viel, nirgend störend. Ein lebhafter, ja feuriger Geist verrieth sich in jeder Aeußerung, jedem Thun des Mädchens, und während Otto sie von Herzen liebte, gefiel sie ihm auch in Allem, was sie sprach und vornahm. Der Einfluß, den sein Urtheil, seine Ansichten unverkennbar auf sie übten, that dabei seinem Selbstgefühl sehr wohl. Während Elisabeth im Verkehr mit den wenigen jungen Männern Bernecks, die sich eifrig um das schöne Mädchen bemühten, die harmloseste Heiterkeit zeigte, trat die Befangenheit, welche Schaumberg schon bei dem ersten Zusammentreffen an ihr aufgefallen, ihm gegenüber noch oft hervor und gab der glänzenden Erscheinung einen veilchensüßen Reiz. Wenn er in’s Forsthaus kam, war ihr Empfang stets freudig und zutraulich, im Gespräch kam es aber oft plötzlich über sie, wie ein Hauch von Verschüchterung; dann wechselte sie ohne sichtlichen Grund mit einem Mal die Farbe, stockte und verstummte, und jedesmal bedurfte es in solchen Augenblicken einiger Zeit, bis sie ihre Unbefangenheit und Munterkeit wieder gewann. Schaumberg sann oft über diese Eigenthümlichkeit nach, er konnte nicht herausfinden, was sie, offenbar im Zusammenhang mit einem von ihm gesprochenen, ihm gänzlich unwesentlichen Worte, wieder beunruhigt hatte.

Unmerklich war es Frühling geworden. Schon deckte sich der ganze Abhang des Schloßberges mit weiß und blauen Fliedersträußen, die ihre Düfte weithin in die junge Welt hinaus hauchten. Auch in den Bergen begann es sich zu regen; sind gleich die Stollen und Schachte, in denen man hier früher nach Gold, Alaun und Kupfer gegraben, nun zerfallen und unzugänglich, so werden doch heute noch Erze aus beutereichen Gruben an’s Licht gehoben. An Sonntagen fehlen die Bergknappen in ihrer originellen Tracht selten unter dem fröhlichen Völkchen, das sich im Tanze schwenkt, meist im Freien, und am liebsten vor der besuchten Schenke des Dorfes Goldmühl. Dies hübsche Dörfchen ist zugleich das Lieblingsziel der auswärtigen Gäste, die sich mit den ersten Primeln und Schneeglöckchen in Berneck einzufinden beginnen, und der Mittelpunkt für ein reges industrielles Leben und Treiben. In dem lieblichen Goldmühlthale sind zwischen üppigen Wiesen und Feldern, neben wohlhabenden Bauerngütern, zahlreiche Mühlen und Hammerwerke angelegt, die viel rührige Hände in Bewegung setzen.

Auch die Perlenmuscheln werden nun aus ihrer Winterruhe aufgestört und müssen Rechenschaft ablegen, was sie in der langen Ruhezeit gefördert. Schaumberg, der sich für diese in unseren deutschen Gauen immerhin seltene Industrie interessirte, hatte den Revierförster gebeten, ihn zu benachrichtigen, sobald der Perlenfischer den Bach zum ersten Mal begehen würde. Da auch Elisabeth wünschte, diese Erinnerung ihrer Kinderzeit aufzufrischen, so ward eine gemeinschaftliche Partie verabredet. An einem schönen schönen Maitage fanden sich die drei heiter gestimmten Menschen in Neidhard’s Mühle zusammen, um dort erst den Kaffee einzunehmen, dann den Perlenbach zu begehen und gegen Abend nach Amt Stein zu wandern, wohin ein Geschäft den Revierförster rief.

Während der Perlenfischer in das klare, schwach strömende Wasser des Baches hinabstieg, eine der rauhen unscheinbaren Muscheln nach der andern aus dem Kies grub und mit seiner kleinen Zange die Schale vorsichtig öffnete, um zu untersuchen, ob sie Perlen umschlossen, berichtete Andlau seinem jungen Freunde, in welcher Weise der Fiscus die Perlenfischerei organisirt hätte, und durch welchen Zufall im vorigen Jahrhundert von einem Dorfrichter dieser Hort des Baches entdeckt worden sei.

Elisabeth hörte lächelnd zu. „Glauben Sie kein Wort davon!“ sagte sie lebhaft zu Schaumberg. „Die Geschichte war ganz anders, der Perleninspector weiß auch nicht Alles! Das Muschelweibchen war dabei im Spiel, mir hat’s die alte Frau drüben in der Mühle erzählt, deren Urgroßmutter zu der ganzen Sache den Anlaß gab!“

Freundlich sah Otto in das leuchtende Gesicht des Mädchens. „Erzählen Sie mir Das!“ bat er. „Die Naturgeschichte der Perlen kenne ich jetzt zur Genüge; ich weiß, daß sie, wie wir Menschenkinder auch, in der Jugend rosig und im Alter grau aussehen. Da ist’s weit interessanter, zu erfahren, wer das Muschelweibchen war. Was meinen Sie, Herr Revierförster, dürfen wir langsam vorausgehen, nach Stein zu?“

„Meinetwegen,“ brummte Andlau, „ich brauch’ Euch nicht, und die dummen Ammenmärchen mit anzuhören, fehlte mir gerade noch. Uebrigens komm’ ich bald nach, es giebt heute nicht viel Rares zu inspiciren.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_754.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)