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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


Die Kinderwelt in Bild und Lied.
Mit Abbildung (S. 757).

„Für Kinder ist nur das Beste gut genug.“ Mit diesem Gedanken ging Georg Scherer schon vor Jahren an die Zusammenstellung eines „Illustrirten deutschen Kinderbuchs“, wie er es nannte. Er legte sich nicht darauf, durchaus Neues und Selbstgedichtetes den Kindern auftischen zu wollen, sondern er wählte mit demselben guten Tacte und frischen Sinn, der ihn bei der Herausgabe seines von uns im vorigen Jahrgang der Gartenlaube (S. 549) besprochenen illustrirten Volksliederbuchs leitete, aus dem Schatze unserer Kinderliedchen, Märchen, Fabeln, Sprüche und Räthsel das Beste aus und trat nur ergänzend mit eigener Poesie da ein, wo das Vorhandene eine leere Stelle ließ oder der Illustration sich nicht gehörig anschloß. Denn diese, ausgeführt von einer Anzahl bewährter Meister, wie Cornelius, Kaulbach, Pletsch, Neureuther, Frz. Graf Pocci, L. Richter, M. v. Schwind, A. Strähuber und Anderen, streitet mit dem Textantheile um die Oberhand in Schmuck und Werth des Buchs. Wie das Volksliederbuch ist auch dieses Kinderbuch in den Verlag von A. Dürr in Leipzig übergegangen, welcher demselben soeben einen zweiten Band angefügt.

Der Streit um die Oberhand, welcher im ersten Bande noch unentschieden ist, wendete in diesem zweiten sich sehr zu Gunsten der Illustrationen. L. Richter, A. Strähuber, Oskar Pletsch, G. Süs und unser Paul Thumann haben sich als so glückliche Belauscher der Kinderwelt erwiesen, daß das Durchblättern des Buchs zur Bilderschau allein schon eine außerordentlich erquickliche Lust ist und Jeden, der ein Herz für die Freuden im ewigen Paradiese der Kindheit hat, mit jedem Blatte weiter selbst mehr und mehr zum glücklichen Kinde werden läßt.

Gleich der erste Blick fällt auf das Lieblingsbild der ganzen Welt, das in der christlichen sogar zum Gegenstand anbetender Verehrung geworden ist: die junge Mutter mit dem angeschmiegten Kinde auf dem Schooße und am Herzen. „Kindes Heimath“ steht dabei; sinniger und schöner ist’s nicht zu deuten. Und nun geht’s gleich mitten in die köstliche Kinderei hinein. Wie, ganz und gar das liebe Aeffchen der Mama, das Mädchen sein Püppchen einschläfert! Es ist ihm wirklich eine rechte Sorge, daß das große Schreikind Ruhe hält, so ein ernsthaft Gesichtchen macht der kleine Schelm vor seiner Puppenwiege. „Das ist der Daumen, und der schüttelt die Pflaumen.“ Brüderchen und Schwesterchen sind ganz vertieft in diese Fingerspielreime. Und wie lustig sehen die „fünf Engelein“ aus, die dem Kindchen ein Süppchen kochen! Der das Pfännlein hält, hat seine Höschen vorsichtig hinaufgestülpt, und der das Wasser im Eimerchen eingießt, ist ein richtiges Hausknechtchen mit Lederhöschen und der weißen wackelnden Zipfelmütze. Auch als Musikanten sind die „Engele“ zu brauchen. Da spielen sie auf mit Geigen und Flöten, Hoboen, Trompeten und Pauken, daß die Sterne nur so um sie herumfliegen. Aber das müde schöne Mama’chen, das mit dem Kindchen im Schooß da am Uhrkasten eingeschlummert ist, wird es lieber haben, wenn die Engel mit den großen Flügeln das Kindchen einsäuseln – und mit herrlichen Blumen schmücken, während draußen die Aehren nicken. – Ei ei, was man erleben muß! Da ist das Püppchen bedenklich krank geworden. Das Mädchen sitzt sehr besorgt vor der Wiege und davor steht der ernsthafte Herr Doctor mit des Vaters hohem Cylinder und großem Knopfstock. Es ist nur gut, daß ihm ein Arzneiglas mit dem langen Papierstreif aus der Tasche des Jäckchens guckt; da kann doch gleich geholfen werden.

– „Eins, zwei, drei, – hicke, hacke, Heu“ – und „Hoppe, hoppe Reiter, wenn er fällt, so leit er“ – lassen ihre betreffenden Bildchen errathen, – der „Frühling“ bietet einen prächtig gelungenen Jubel, – eine spaßigere Gesellschaft giebt es jedoch ganz gewiß nicht, als Kinder und junge Hunde als Spielgenossen und gegenseitige Beobachter.

Damit aber die Kinder der Gartenlaubenleser auch Etwas von diesem sie betreffenden Artikel haben, stehen zwei der Bildchen drüben. Wer noch nicht weiß, was ein Maienregen für das Wachsthum der Kinder zu bedeuten hat, dem sagt es hier das Bild und das schwäbische Liedchen:

Maierege, mach’ mi groß,
I bin e kleiner Stumpe,
G’hör unter d’ Lumpe.
Bleib i als e Stumpe stehn,
Will i lieber in’s Himmele gehn.

Und nun betrachtet Euch den kühnen Ritter Melcher, den Prachtburschen! Er will ein Reiter werden, und er wird’s auch, nur ist sein Roß ein Ziegenbock, seine Reiterstiefel sind Wassereimer und Dörner seine Sporen, eine Ofengabel ist sein Schwert, ein Topf sein Helm und die Küchenthür sein Reitermantel. „Reit, Melcher, reit!“

Was nun den dichterischen Theil, den Text, betrifft, so finden wir manches altbekannte und beliebte Stück von guten Dichtern, manches hübsche Volksliedchen, viele Spielreime, selbst Schnaderhüpfl und sogar unschuldige Gassenhauerchen herbeigezogen, davon Vieles in süddeutschem Dialekte. Wie die Kinder ja immer die Alten nachahmen, so sind hier umgekehrt Lieder der Alten in’s Kindliche übertragen. Diese ausgewählten Sachen können sich größtentheils neben den Illustrationen sehen lassen. Was aber die einem unbekannten Dichter des siebenzehnten Jahrhunderts entnommenen Verschen zu dem sogenannten A B C mit Flügeln betrifft, so würde G. Scherer diese weit besser selbst neugedichtet haben; sie allein machen den Wunsch guter Besserung für die Zukunft rege. Dagegen freuen wir uns der völlig reinen Bilderlust, bis zum letzten Pünktchen des lieben lustigen Buchs.

F. H.




Gutes Wasser und gute Luft!

Während des noch warmen vorigen Herbstes brach unter den durchweg gebildeten Bewohnern eines der schönsten und vollkommensten Häuser im eigentlichsten Geheimrathsviertel Berlins eine wüthende Revolution aus. Die Bewohner sind fast alle echte, wirkliche Geheimräthe mit vier- bis achthundert Thalern Miethe, natürlich im Keller mit den üblichen Bierverlegern, Käsehandlungen, Drehrollen, und unterm Dache Waschfrauen, Schlafburschenmüttern und dergleichen nicht geheimräthlichen Familien. Aber sonst Alles sehr fein, Portierverschluß, kleiner Vorgarten, sogar – welch’ ein Wunder! – ein kleiner Hintergarten, breite Treppen mit gemalten Fenstern, Doppelfenster, große, hohe Zimmer und – der Wunder größte – echte Waterclosets! Was kann der wirklichste Geheimrath Vollkommneres in Berlin verlangen? Und doch mußten sie, wie fast alle gebildeten Berliner, bei dieser Hitze im vorigen Juni und Juli fliehen. Fliehen vor wem? Nun, vor den Hausdrachen, die ihre mörderischen Rachen von den Senkgruben unten giftathmend durch die vollkommensten Closets hindurch bis mitten in jede Achthundertthalerwohnung streckten. Auswege für die von ihnen gelieferte Luft gab es blos durch die Zimmer. Natürlich streckt auch der Hauptdrache jedes Berliner Hauses seinen Boa-Constrictorleib unter dem Hausflure hin und sendet seine Miasmen ununterbrochen die prachtvollen Treppen hinauf, von wo die Luft keinen Ausweg findet, so daß sie durch die Eingangsthüren und Corridors ebenfalls wieder in die Zimmer gepreßt wird. Kein Wunder, daß auch in solchen vollkommensten Häusern die Geheimräthe Unrath merkten. Sie flohen also während der hitzigsten Herrschaft und Fortpflanzung dieser Drachenbrut und glaubten zu Ende August in eine bessere Luft zurückzukehren; aber es war schlimmer, viel schlimmer, durchaus nicht zu ertragen! Also Revolution und Sturmpetitionen an den ausnahmsweise nachgiebigen Wirth. Dieser sollte die Herrschaft der Hausdrachen brechen und sie womöglich ganz exmittiren. Aber wie das anfangen? Selbst in Häusern voller Geheimräthe ist hier guter Rath theuer. Allein der Wirth ließ den Ungethümen jeder Etage und Wohnung wenigstens Auswege bahnen, nämlich Dunströhren aus den Closets in den Schornstein, von wo sie nun zwar zuweilen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_758.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)