Seite:Die Gartenlaube (1868) 771.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

klopfendes Herz. „Mein armer Otto!“ sagte sie kummervoll, „mein armer, geliebter Mann!“

„Nie hätte ich’s für möglich gehalten – verzeih’s ihm Gott, daß er sich, daß er seinen Kindern Das thun konnte – aber fort mit diesem marternden Gedanken, jetzt gilt es vor Allem, die Ehre zu retten, die auf dem Spiele steht!“

„Was denkst Du zu thun?“ rief Elisabeth besorgt.

„Der Oberbürgermeister schreibt mir, daß er mit den beiden Beamten, die allein Mitwisser der unseligen Angelegenheit sind, dahin übereingekommen sei, dieselbe der Oeffentlichkeit zu entziehen, im Falle ich Willens und im Stande wäre, den Defect baldmöglichst zu decken, daß aber im entgegengesetzten Falle seine Pflicht erheische, die Sache zur Anzeige zu bringen und einen Proceß gegen die Erben des Schuldigen anhängig zu machen. Ich habe bereits von Stein aus zwei Briefe in dieser Angelegenheit abgesandt. Natürlich antwortete ich dem Oberbürgermeister, daß ich für die Summe einstehe und ihm dieselbe in kürzester Frist ganz oder in Raten zur Disposition stellen würde. Du wirst begreifen, Elisabeth, daß ich keine ruhige Stunde haben kann, bis der letzte Heller dieser Sündenschuld abgezahlt ist! Allerdings wird es schwer halten, mir das Geld zu verschaffen, es handelt sich um keine Kleinigkeit – die Totalsumme beläuft sich auf fünfzehnhundert Gulden. Nur mit großen Opfern wird sie zu erhalten sein – ich habe keine Garantien zu bieten als meinen künftigen Erwerb, und es fragt sich noch, ob sich ein Darleiher findet, welcher sich mit meinem Ehrenwort und der Chance, daß ich am Leben bleibe, begnügen wird. Im glücklichsten Falle stehen uns Jahre der äußersten Einschränkung bevor.“

„Wenn Du es willst, kannst Du das Geld augenblicklich erhalten,“ sagte Elisabeth schüchtern. „Du weißt, meine Tante würde mir eine Bitte dieser Art nicht abschlagen.“

„Nein, mein Kind!“ erwiderte Schaumberg energisch, „dazu kann ich meine Zustimmung nicht geben. Erinnere Dich, wie empfindlich Deine Tante war, als wir den jährlichen Zuschuß ablehnten, den sie Dir zugedacht hatte, wie unwillig namentlich gegen mich, denn sie weiß wohl, daß Du hierin nur meinem Wunsche nachgegeben hast. Nun, kaum drei Monate nachher, eine so bedeutende Summe zu fordern und den Grund dafür nicht angeben zu können, wäre zu auffallend – Du fühlst, daß das nicht angeht! Laß nur – ich hoffe Rath zu schaffen. Ich habe einen Baireuther Collegen brieflich ersucht, morgen oder übermorgen hierher zu kommen und mich für ein paar Tage zu vertreten; sobald er eingetroffen ist, gehe ich nach Bamberg, um dort die nöthigen Schritte zu thun.“

„Darf ich Dich begleiten?“ fragte Elisabeth flehend.

„Wozu, Kind? Was solltest Du dort, wo ich, durch die unerquicklichsten Geschäftsgänge in Anspruch genommen, Dich doch allein lassen müßte?“

„Das fragst Du?“ rief die junge Frau, „fühlst Du denn nicht, daß mich hier die Angst verzehren würde? Ich will mit Dir gehen, weil ich Dich liebe, weil ich Dich nicht lassen kann, während Du solche Lasten auf der Seele trägst – ich bitte, ich flehe Dich an, nimm mich mit Dir!“

„In Gottes Namen,“ sagte Otto traurig. „Ich will es Dir nicht abschlagen, wenn es Dich beruhigt. Muß ich doch, statt des Glückes, das ich Dir bereiten wollte, so bald schon Kummer und Leid in Dein junges Leben bringen! – Richte Dich ein, vielleicht morgen schon zu gehen, und vor Allem, mein armes Kind, richte Dich auf trübe, freudlose Tage ein, für lange Zeit!“




Elisabeth saß einsam in einem Zimmer des Hotels zum Bamberger Hofe; seit einer Stunde hatte sie den Platz am Fenster nicht mehr verlassen; sie erwartete Otto’s Rückkehr von einem entscheidenden Gange.

Es war Sonntag; auf dem Marktplätze drunten wimmelte ein buntes Leben; vor der Martinskirche, deren letzter Gottesdienst, die sogenannte elegante Messe, eben beendigt war, standen geschmückte Damen jeden Alters in dichten Gruppen, um Neuigkeiten auszutauschen und Pläne zu Nachmittagspartieen zu besprechen. Die Musik der Chevauxlegers marschirte mit klingendem Spiel vorüber, um unter den Bäumen des Paradeplatzes die herkömmlichen sechs Stücke vorzutragen. Das Wetter war schön, die Gesichter, die einander auf den Straßen begegneten trugen meistens einen vergnügten, sonntäglichen Ausdruck, und die halbe Stadt schien unterwegs zu sein.

Elisabeth sah nichts von all’ dem Treiben, das sich vor ihr bewegte, ihr Herz war schwer und traurig. Umsonst hatte Otto gestern wiederholte Versuche gemacht, um die erforderliche Summe aufzunehmen, überall hatte man achselzuckend nach einer Sicherheit gefragt, die er nicht bieten konnte. Eben jetzt that er den letzten Gang in dieser Angelegenheit; Marbach, dem er sich vertraut hatte, ohne ihm jedoch den Anlaß zum Bedürfniß des gesuchten Geldes mitzutheilen, hatte noch eine Quelle ermittelt, die Aussicht gab, die Summe wenigstens theilweise zu erhalten. Mit der Mittagspost wollten dann die Gatten nach Berneck zurückkehren.

Elisabeth seufzte bei dem Gedanken an die Heimkehr in das liebe Haus, wo sie bis vor Kurzem so glückselige Tage verlebt. Wie hatte so plötzlich eine dunkle Wolke alle die sonnigen Freuden überschattet, ach, und wie machtlos fühlte sie sich dem Schlage gegenüber, der ihren geliebten Otto betroffen! – Sie sann über seine Weigerung nach, die reichen Mittel ihrer Verwandten in Anspruch zu nehmen. Mit ihrem einfachen, warmen Herzen, das keinen Werth auf äußere Güter legte, das selbst so gerne gab, hatte sie kein Verständniß dafür, warum er in Sorgen und Ruhelosigkeit dahin leben wollte, statt einen Beistand in Anspruch zu nehmen, der willig, ja mit Freuden gegeben worden wäre. Aber kein Vorwurf mischte sich in ihre Verwunderung darüber. Sie liebte ihn! Er stand für sie hoch über allen andern Menschen; was er beschloß, was er ergriff, mußte das Richtige sein – und war denn der Stolz, der sein Liebstes so allein, ohne Zugabe haben wollte, nicht voll des süßesten Gefühls für sie? und war denn das Zartgefühl, das jede Verletzung fast krankhaft scheute, nicht eine der schönsten Blüthen seines sonst so männlichen Charakters?

Sein reizbares Zartgefühl – bei dem Gedanken daran zuckte wieder ein scharfer Schmerz durch ihre Seele! Die neue Sorge war ja nicht Alles, was sie drückte, war für ihr tiefstes Herz nur ein Schatten der Last, die auf ihm lag – der Last ihres eigenen Geheimnisses!

Wenn nun das häusliche Leben wieder begann, wenn die gegenwärtige Aufregung Otto’s sich gemäßigt haben würde, wenn nicht mehr der eine Gedanke an seine bedrohte Ehre alles Uebrige verschlang – mußte nicht dann jener Augenblick zwischen ihnen zur Sprache kommen, wo sie sich vor ihm einer Schuld angeklagt?

Und was sollte sie dann thun? Sie wußte, daß er von seinem Weibe unbedingte Hingebung erwartete, daß ihr Schweigen ihn tief kränken würde und doch, konnte, sollte sie sprechen? Bei welchem Entschluß hatte sie mehr zu fürchten für ihre Liebe? – Plötzlich zuckte ein Gedanke durch ihre Seele, ihr Auge leuchtete auf. Noch einen Augenblick stand sie sinnend, dann hatten die eben noch so erregten Züge einen festen, ruhigen Ausdruck gewonnen. Sie kleidete sich zum Ausgehen an, schloß das Zimmer ab und verließ das Hotel.

Als sie nach einer Stunde zurückkehrte, fand sie Otto ihrer harrend. „Entschuldige mich,“ sagte sie innig, „ich habe mich in Deiner Abwesenheit doch entschlossen, meine alte Schulfreundin auf einen Augenblick zu besuchen – sie würde mir’s allzu übel genommen haben, wenn sie unsern Namen in der Fremdenliste gelesen hätte. Da wir heute reisen, brauchte ich nicht lange zu bleiben.“

„Ich redete Dir ja schon gestern zu, es zu thun,“ erwiderte Otto zerstreut. Er sah elend und zerfallen aus. Elisabeth legte den Arm um seinen Hals. „Es ist Dir nicht geglückt?“ fragte sie beklommen.

„Nur mit großer Mühe und durch Marbach’s Bürgschaft ist es mir gelungen, fünfhundert Gulden aufzutreiben. Der ersten Nothwendigkeit ist damit allenfalls Genüge geschehen. Wo ich den Rest hernehme, muß die Zeit lehren. Habe Geduld mit mir, Elisabeth, wenn ich Dir jetzt vielleicht nicht sein kann, was ich möchte – zu viel, allzu viel ist in mir erschüttert – zu viel habe ich eingebüßt von meinem Glauben an die Menschheit an die eigene Kraft sogar! Dich faß’ ich, Dich halt’ ich noch, wo mir Alles untergeht,“ rief er mit ausbrechender Leidenschaft, indem er sie an sich zog – „Elisabeth, wirst Du mir bleiben?“




Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_771.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)