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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Kammer neue Stücke aus der Erinnerung niederzuschreiben, die wir uns auf keine andere Weise zu schaffen wußten. Ich hatte keine Ahnung, daß ich damit einen literarischen Diebstahl begehe. Keiner von den Directoren der umherliegenden größeren Theater konnte begreifen, auf welche Weise die miserable Kremser Truppe in den Besitz der Stücke: Alpenkönig und Menschenfeind, der Bauer als Millionär etc. gekommen war, da Niemand auf die Idee kommen konnte, daß ein Mensch derlei aus dem Kopfe niederzuschreiben im Stande sei, und doch war es so, und noch jetzt bin ich überzeugt, daß mein Manuskript von dem Original nicht viel abgewichen sein wird. Meine nähern Freunde wissen, in welcher Weise mir selbst jetzt, in sehr vorgerücktem Alter, mein Gedächtniß treu bleibt.

Die Ausstattung dieser Zauberstücke war ebenfalls ein Unicum in der Theaterwelt. Wir hatten eben nichts, gar nichts dazu denn da die Direction „außer Schulden“ nichts von Werth besaß, so konnte nicht einmal das dringend Nöthige beschafft werden, und unsere Ausführungen hatten viel Aehnlichkeit mit jenen aus den Uranfängen der Schauspielkunst, wo eine Tafel den Schauplatz ankündigte, auf welcher es hieß: „Dies ist ein Zimmer“, später: „Dies Zimmer ist jetzt ein Wald.“ So erinnere ich mich, daß mir die Aufgabe geworden, den Rappelkopf, welcher vor den andringenden Fluthen sich auf einen Baum retten soll, ohne Baum und ohne Fluthen zu spielen, was sich allerdings bei den Worten: „Das Wasser steigt mir bis an den Hals“ komisch genug gemacht haben mag. Auch der Luxus des mit Gemsen bespannten Wagens, auf welchem der Alpenkönig den Menschenfeind „auf sein krystallnes Schloß durch die Lüfte führt“, verschmähten wir, der Fürst der Lüfte führte mich in sein glänzendes Reich bescheiden zu Fuß ein, der fallende Vorhang gab der Phantasie der Zuschauer hinlänglich Zeit, sich dieses Schloß „auf des Gletschers kühnstem Eis, das der Sterne Antlitz schaut“, so brillant als möglich – zu denken.

Wie Alles in der Welt ein Ende nimmt, so für mich auch diese opfervollste, schlimmste, hungrigste Zeit meines Lebens. Ich hielt treu aus, als schon die Direction und der letzte meiner Collegen durchgegangen waren, am Abend nach der Abschiedsvorstellung, welche weder uns, noch dem Publicum das Scheiden schwer machte. Große Ovationen hatten wir nicht zu erwarten, und so zogen es denn die meisten Kunstjünger vor, sich, ihren Hauswirthen und anderen gläubigen Seelen gegenüber, den Schmerz der Trennung zu ersparen und über etwaige Rechnungsdifferenzen nicht mündlich zu verhandeln. Wie ist es möglich machte, meinem bis zur Stunde durchgeführten Grundsatz, keine Schulden zu machen, treu zu bleiben, weiß ich nicht mehr; genug, es geschah, und daß es geschah, lieferte nur ein glänzendes Zeugniß für die Dauerhaftigkeit meiner Magenwände, die zwar stets knurrten, aber nie einstürzten.

Ischl war der zweite Ort, an dem ich eine Anstellung fand. Der Director selbst, ein gewisser Bartsch, spielte mit vieler Routine erste komische Rollen und malte nebenbei recht hübsche Decorationen. Seine Leistungen als Schauspieler entbehrten zwar selbstverständlich aller Genialität, waren aber gute bürgerliche Hausmannskost für das zerstreuungslustige Badepublicum des eben emporkommenden Ortes, und für mich Vorbild genug, um mir etwas mehr Ruhe anzueignen. Die kleinen Gagen wurden pünktlich bezahlt, das Verhältniß, so winzig es sich gestaltete, war doch wohl organisirt und nach der durchgemachten Zigeuner-Wirthschaft für mich eine wahre geistige und leibliche Erholungsstation.

Inmitten dieses Stilllebens überraschte mich ein Schreiben des Theateragenten Adalbert Prix von Wien mit einer Engagementsofferte nach Wiener-Neustadt. Die Direction dort hatte der Schauspieler Eichwald übernommen. Derselbe war der Sohn des Wiener Kaffeehausbesitzers Neuner, dessen Etablissement eine Art von Merkwürdigkeit der Residenz bildete. Nicht nur die Tabletten, auf welchen die Getränke verabreicht wurden, sondern auch Tassen und Kannen, ja sogar die Thürdrücker und Halter waren dort von Silber. Hier versammelte sich die Elite des Wiener Künstlerthums, um ihre „Schale Schwarzen“ zu trinken und eine Partie Billard zu spielen. Grillparzer, der große, leider noch immer viel zu wenig gewürdigte deutsche Dichter von Gottes Gnaden, der witzige, stets heitere Bauernfeld, an dem die Jahre spurlos vorüber gegangen zu sein scheinen, der ernste hypochondrische Komiker Ferdinand Raimund, der einzige Mensch, der mit seinen Leistungen unzufrieden war, der heißblütige Ludwig Löwe, ein warmen Verehrer Raimund’s, schon damals der geniale Künstler und Liebling der Wiener, Castelli, der urkomische naturwüchsige Kanz, sie alle waren des Nachmittags hier zu treffen, Grund genug, das „silberne Kaffeehaus“ zu einem Sammelplatz des besten Publicums zu machen.

Der alte Neuner war gestorben, und sein Sohn, der sich gegen den Willen der Eltern unter dem Namen Eichwald dem Theater gewidmet hatte und an kleinen Bühnen vegetirte, wußte nichts Eiligeres zu thun, um die ererbten Tausende schleunigst an den Mann zu bringen, als in Wiener-Neustadt eine Theaterdirection „in großem Stil“ zu entriren. Sein Vorhaben gelang auch so vollständig, daß bald von dem ganzen großen Erbtheil nichts als eine verhältnißmäßige Schuldenmenge übrig geblieben war. Der Director war ein schöner und stattlicher Mann, mit kräftigem Organ, der die Leidenschaft des Komödiespielens bis zum Exceß cultivirte. Da ihn seine mäßige Begabung auf das Fach der brüllenden Helden vorzüglich hinwies, so bildeten diese fast allein unser stehendes Repertoire. Kaspar der Thoringer löste Götz von Berlichingen ab, Wendelin von Höllenstein wechselte mit Carl Moor. Am wohlsten war meinem guten Eichwald, wenn er in prachtvoller Rüstung, ein mächtiges Schwert an seiner Seite, auf der Bühne herumrasseln und das Gewieher des Galleriepublicums hervorrufen konnte. Da war er in seinem Element, das durfte Tausende kosten! Die Mitglieder behaupteten, ihr Director habe sich eine „Nachtrüstung“ machen lassen, in welcher er zu Bette ginge. Von einer Wirthschaft konnte bei der Wirthschaft nicht die Rede sein. Offene Tafel, Spazierfahrten, Ausflüge nach Wien und Oedenburg per Extrapost füllten die freie Zeit aus. Zum Ueberfluß hatte sich Eichwald einen Jugendfreund, einen banquerotten Kaufmann, als Cassirer mitgebracht, welchem er unbedingtes Vertrauen schenkte und der die gutmüthige Blindheit Eichwald’s zu den gröbsten Betrügereien mißbrauchte.

Wir Mitglieder wußten längst, wie viel die Glocke geschlagen, denn bei Benefizen, wo nach damaligem Gebrauch der Benefiziant oder eine Vertrauensperson desselben mit an der Casse saß, wiesen die Rapporte in der Regel die doppelte Summe der Einnahme aus, die an anderen Tagen bei gleich starkem Besuch angeblich erzielt worden war. Der seelensgute Eichwald lehnte jede Andeutung auf die Zustände um ihn her mit Entschiedenheit ab und so mußte man dem Verderben seinen Lauf lasten. Ich zog mich so viel als möglich zurück, spielte ohne Widerrede jede mir zugetheilte Rolle mit Fleiß und Eifer, und wurde dem Unternehmen zwar keine feste Stütze, aber eine verläßliche, beachtenswerthe Kraft. An Gehalt bezog ich die für die damaligen Verhältnisse sehr bedeutende Monatsgage von vierzig Gulden, während mir Director Carl einige Jahre später im Theater an der Wien zu der Zeit, als ich, freilich aushülfsweise, schon erste Rollen, z. B. „Rappelkopf“ in Raimund’s Alpenkönig und Menschenfeind, „Zwirn“ im Lampaci-Vagabundus u. s. w., zur Zufriedenheit des Publicums durchzuführen im Stande war, ein monatliches Einkommen von fünfundzwanzig Gulden – Alles in Allem – gewährte. Klingt das, den heutigen Forderungen der Schauspieler gegenüber, nicht komisch oder vielmehr unglaublich? –

Eichwald hatte nach Beendigung der Wintersaison in den Localitäten eines Gasthausgartens vor dem Thore der Stadt auf seine Kosten und mit dem Rest seines Vermögens eine Arena bauen lassen, wo er, vor meist leeren Bänken, unter Gottes freiem Himmel seine Leibrollen herunter polterte, bis er uns eines schönen Tages erklärte, daß er sein Vermögen eingebüßt habe und außer Stand sei, seinen Verpflichtungen ferner nachzukommen. Wenn wir uns entschließen wollten, den Rest des Sommers auf Theilung zu spielen, so wolle der Schauspieler Klein, der inzwischen ein kleines Vermögen geerbt hatte, die Contracte für die Wintersaison übernehmen und das Geschäft weiter führen. Die Behörden seien bereits von diesem Arrangement unterrichtet und mit selbem einverstanden. Was war zu thun? Uns alle dauerte der grundehrliche, aber leichtsinnig-blinde Eichwald, und wir willigten in Alles. Vielleicht zum Glück für uns Alle ging das ganze Theaterchen mit Garderobe und mühsam zusammengemalten Decorationen noch vor der ersten Klein’schen Aufführung in Flammen auf. Kurze Zeit vor dieser feurigen Lösung unserer Contracte mit Klein hatte Nestroy sechs Gastrollen in Wiener-Neustadt gegeben, und seine Anwesenheit hatte in unserm geselligen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_779.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)