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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Werk, und wenn wir sogar Mädchen in den Reihen der jungen Bursche und Männer fest den Haken führen sehen, so ist das ein Zeichen, daß sie dort dem starken Geschlecht näher stehen, als sonst wo. Ist der Brand vollbracht, so bildet die zurückbleibende Asche dann den Dünger für den Boden, auf dem es nun während der nächsten drei Jahre wieder möglich ist, Korn oder Hafer zu bauen, um nach deren Verfluß dieselbe wilde Arbeit mit der Flamme von Neuem vorzunehmen.

Will der Mann aber sein Holz verwerthen, so steht ihm meistens kein anderes Transportmittel zu Gebot, als der Bach, der jedoch fast nirgends Wasser genug hat, um darauf flößen zu können. Deshalb sind überall sog. Schwellwasser angelegt – teichartige Wasseransammlungen, die mit Schleußen versehen sind – aus denen dann der Bach gespeist wird.

Wer an einem Sommernachmittage eine jener einsamen Schluchten im oberen Kinzigthale hinaufschreitet, von denen die wilde Schappach eine der romantischsten ist, der findet oft plötzlich weit oben in dem fast wasserlosen felsigen Bachbette ein gegen tausend Fuß langes Floß liegen, vorne nur sechs Balken breit, mit einem breiten nach oben gerichteten Kiele an der Spitze versehen, um über etwaige Hindernisse wegzugleiten. Das erste Glied wird mittels eines daran befestigten Balkens vom zweiten aus gelenkt, die folgenden Glieder werden dann breiter und länger, und gegen das Ende zu finden sich oft die längsten und schwersten Stämme. Erstaunt sehen wir das Ding an und wundern uns, wie es vom Platze kommen soll. Da nahen sich uns ein halbes Dutzend Männer mit langstieligen Beilen, die wir schon vorher, langsamer als wir schreitend, das Thal herauf kommen sahen. Ernst und ohne Gruß gehen sie vorbei, längs des Flosses hinauf und verschwinden im Wald. Bald darauf kommt auf einem leichten, von zwei Pferden gezogenen Wagen ein Mann in schlichter Arbeitertracht, aber ein intelligenteres Gesicht und feineres Wesen zeichnen ihn aus vor den Gesellen, denen wir vorher begegneten – es ist der Steuermann, der Mann, in dessen Hände das Schicksal des werthvollen Flosses und das Leben seiner Gefährten während der nächsten gefahrvollen Stunde gelegt ist, denn er ist der Lenker des ersten Gliedes, das, nur wenige Zoll zu weit rechts oder links, eine Secunde zu früh oder zu spät gewendet, Mann und Floß in’s Verderben stürzen kann. Wohl sind durch eine besondere Casse die Krüppel, Wittwen und Waisen einigermaßen gedeckt, aber die Aussicht, möglicherweise in der nächsten Viertelstunde durch die sich mit Blitzesschnelle kreuz und quer sperrenden, sich hoch aufbäumenden und splitternden Balken an einen Stamm oder Fels geschleudert zu werden, bleibt darum nicht minder schreckhaft. Das spiegelt sich denn auch auf den Gesichtern der Betheiligten, namentlich dem des Steuermanns ab, denn er ist ernst und bleich. Aber leicht und gewandt springt er vom Wagen, dem Matador gleich, der die Arena betritt, er grüßt mit feiner fast weltmännischer Miene und läd’t uns ein, dem Abgange des Flosses, der alsbald erfolgen werde, beizuwohnen. Dann steigt er hinab, untersucht mit prüfendem Blick, ob Alles in Ordnung sei, und bleibt unbeweglich auf einem Felsen neben der Floßspitze stehen.

Mittlerweile hat es unter den Balken angefangen zu rauschen und ein Wasserstrahl schießt darunter hervor, der sich bald vergrößert und reißend zunimmt. Wie mit einem Zauberschlage ist das stille friedliche Thal von dem wilden Gebrause der tosenden Fluth erfüllt, die sich in weißem Schaum immer toller daherwälzt. Jetzt kommen auch die Männer mit ihren Beilen, welche die Schleußen der Schwellwasser geöffnet hatten, in wilder Hast durch den Wald herunter, stellen sich an die Stämme, an denen das Floß mittels starker sogenannter Wieden festgelegt ist, und stehen schlagbereit mit erhobenem Beile, auf das Zeichen des immer noch unbeweglich nach oben blickenden Steuermanns harrend. Jetzt hebt sich das Floß, seine Balken ächzen und es beginnt in der rasenden Fluth sich zu wiegen – ein Wink – und mit zwei Hieben sind die Wieden durchhauen, mit einem gewaltigen Sprunge steht jeder auf seinem Platz in dem unheimlichen Fahrzeug und haut das Beil vor sich ein, um sich daran zu halten. Mit raschem Sprunge war auch der Steuermann auf dem zweiten Gliede, mit beiden Händen den starken Lenkbalken erfassend, und fort geht’s der Windsbraut gleich, daß den Männern Bart und Haare zurückgeweht werden, unter einem wahrhaft höllischen Lärmen von Wassergebrause, Balkenächzen und dumpfem Poltern über die Felsblöcke.

Athemlos blicken wir nach, bis in wenigen Minuten Alles hinter der finstern nächsten Waldecke in die Schlucht hinab verschwunden ist. Wenige Minuten später, und die Wassermenge läßt eben so rasch nach, wie sie gekommen war, fast betäubt von dem Lärme erwachen wir wie aus einem Traume, erstaunt sehen wir zu unseren Füßen das spärliche Wasser dahin rieseln, das wir angetroffen hatten, und wir hören das Rauschen der Zweige und den Gesang der Vögel wieder, als ob nichts vorgefallen wäre.

Die Männer aber sind hinabgefahren gen Wolfach. Ihr Floß hat glücklich die letzte gefahrvolle Wendung, an welche das Schild des Wirthshauses „zum letzten Gestöhr“ (Floßglied) mahnt, hinter sich und in weniger als einem Viertel der Zeit, welche der Fußgänger braucht, legen sie den Weg zur großen Kinzig zurück. Dort werden die Balken wieder in anderer Weise zusammengestellt, um zum Rheine gebracht zu werden, auf dem sie die stattlichen Flöße bilden, welche nach Holland gehen und dort meistens zum Schiffsbau verwendet werden.

Mühsam, hart und gefahrvoll, wie die Benützung von Feuer und Wasser, sind alle Arbeiten dieser Gebirgsbewohner, und man darf sich nicht wundern, wenn sie, so mancher gegentheiligen poetischen Auffassung zum Trotz, ihre Heimath gern verlassen und ein geträumtes angenehmeres Loos jenseits des Oceans suchen.

Indessen stellt sich die Liebe zur Heimath oft wieder im Alter nach erlangtem Besitz ein, wo dann plötzlich ein ergrauter Mann im Thale erscheint, den Niemand mehr kennt. Er frägt nach Diesem und Jenem; „todt!“ ist die lakonische Antwort, die er erhält. Aber der alte Schmiedjörgli ist ihm beobachtend nachgegangen – jetzt hat er’s heraus, es ist des Nachbars Toni, der vor vierzig Jahren mit seinen Eltern nach Amerika ausgewandert war und den er jetzt, trotz dessen eleganterem Rock, mit seinem Spitznamen von ehedem anredet. Der Toni, der sich im Thal ankaufen will, um sein Leben in seiner Heimath zu beschließen, nimmt ihn mit in’s Wirthshaus, wo das Wiedersehen der beiden alten Männer mit einer Flasche guten Markgräflers gefeiert wird. Dort erzählt er ihm dann, wie bei dem Schiffbruche, den sie auf der Ueberfahrt hatten, die Eltern ertranken und er mit wenigen Uebrigbleibenden sich auf einem losgerissenen Maste nach der nahen Küste rettete; wie es ihm dann gar kümmerlich erging, bis es ihm endlich durch unermüdete Thätigkeit gelang, sich ein Vermögen zu erwerben, das er, familienlos, seiner Heimathgemeinde vermachen wolle. Und war es denn nicht möglich, daß der rettende Balken, dem er sein Leben verdankte, die gleiche Heimath hatte wie er? Wer weiß, ob es nicht die große Fichte nahe bei seines Vaters Hof war, die er als Knabe schon bestiegen, um Vogelnester auszuheben, in deren Schatten er oft geschlafen, die er fällen und fortführen sah und die ihn dann unerkannt als Mast eines geborstenen Auswandererschiffes aus den drohenden Fluthen nach dem sichern Ufer trug.

Carl Roux.


Blätter und Blüthen.


„Holz – für die Armen!“ waren die letzten Worte, die Dr. Andreas Zelinka, Bürgermeister der Residenzstadt Wien, im Todeskampfe stammelte. Es sind nur ein paar Worte, aber vor Gott gelten sie als Gebet, und wer es auf dem Sterbebette spricht, wird auch ohne den Segen eines Erzbischofs in geweihter Erde schlafen.[1]

Er war ja ein Vater der Armen und hatte gar viele Kinder, die mit den wärmsten Thränen der Dankbarkeit die Erde weihen, die ihn deckt. Er war ein Mann des Volkes in der schönsten Bedeutung des Wortes, und zwar nicht blos in Wien, sondern in ganz Oesterreich, soweit es an dem Kampf und Drang nach Freiheit und Fortschritt Theil nahm; ja, er war der treue Mann seines Volkes, für das er gelebt und gewirkt, – der allezeit ohne Scheu vor seinem Kaiser mit schlichtem deutschem Wort für das Recht und die Wohlfahrt seiner Bürger eintrat und unter den Opferwilligsten stets der Opferwilligste, von welcher Seite immer der Nothruf erklang.

Man kennt unzählige Züge von Herzensgüte des dahingeschiedenen Menschenfreundes; wir erinnern uns vorzugsweise an einen, der bis jetzt noch nicht den Weg in die Oeffentlichkeit gefunden.

Der Mantelritter-Minister Dr. Bach hatte mit seiner Politik das


  1. Auf das Bittgesuch des Magistrats ließ Seine Eminenz der Cardinal Rauscher erwidern, daß er, der rauhen Witterung wegen, nicht in der Lage sei, die Leiche des Bürgermeisters in der Kirche einzusegnen.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_783.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2021)