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bewährt, glaubte? So wird der Leser fragen, und er wird ein Recht auf eine Antwort haben.

Vergegenwärtigen wir uns zunächst noch einmal die Aufgabe, welche der ersten deutschen Nordpolexpedition gestellt war. Mit den beschränkten Mitteln, welche Petermann, dessen kühnem Vorgehen wir ja diese Expedition allein zu danken haben, zu Gebote standen, konnte nur ein kleines Segelschiff von etwa achtzig Tonnen ausgerüstet werden. Allerdings ersetzten die ausgezeichneten Eigenschaften der Führer, des Capitains Koldewey, des Obersteuermanns Hildebrandt und des freiwillig beigetretenen Untersteuermanns Sengstacke aus Holstein, wie die Tüchtigkeit der Mannschaft Vieles, was dem Schiffe an Größe, an Gewandtheit und Festigkeit abging. Immerhin aber durfte man ein so schwaches Fahrzeug nicht in die sturmbewegten Wogen des hohen Meeres hinaussenden. Man mußte ihm sicherere Fahrstraßen im Schutze der Küsten, zwischen dem gefürchteten Treibeisgürtel und dem festen Landeise anweisen, und man hoffte, daß es diese an der Ostküste Grönlands finden werde. Längs dieser grönländischen Küste also sollte der Versuch gemacht werden, so weit als möglich gegen den Pol vorzudringen.

Gründer und Führer der ersten deutschen Nordpolexpedition.
     Capitain Carl Koldewey.  A. Petermann.      Obersteuermann Richard Hildebrandt.

Um aber dahin zu gelangen, mußte freilich erst jener breite Treibeisgürtel durchbrochen werden. War dies nicht möglich, dann sollte die Expedition sich nach Spitzbergen hinüberwenden und dort das im Osten dieser Inselwelt gelegene, noch fast gänzlich unbekannte Gillisland zu erreichen suchen. Keine dieser Aufgaben ist nun in Wirklichkeit von der Expedition erfüllt worden. Weder ist es ihr gelungen die grönländische Ostküste zu erreichen, noch den Treibeisgürtel zu durchbrechen, noch endlich zum Gillisland vorzudringen. Daß die Expedition gleichwohl nicht als eine mißlungene betrachtet werden kann, das beweist der glänzende Empfang, der den Rückkehrenden von den Seestädten an der Wesermündung bereitet wurde, wie der begeisterte Eifer, mit dem man bereits die Ausrüstung einer neuen großartigeren Expedition für das kommende Jahr betreibt.

Um die Erfolge der Expedition richtig beurtheilen zu können, wollen wir sie auf ihrer müh- und gefahrvollen Fahrt begleiten.

Es war am Nachmittag des 24. Mai, als die „Germania“ den Hafen von Bergen verließ. Bis in die Nähe der Insel Jan Mayen war die Fahrt rasch und gut. Hier aber brach am 30. Mai ein heftiger Sturm von Osten her los; die See ging hoch, und die Luft war so dick vom Regen, daß man kaum eine Seemeile weit sehen konnte. Die Temperatur fiel allmählich unter den Gefrierpunkt und der Regen wurde zu spitzigen Eisnadeln, während das Segelwerk sich mit einer Eiskruste überzog. Aber das Schiff hielt sich wacker und trieb unter dichtgerefften Segeln in voller Sicherheit durch den Sturm. Man hatte eine nordwestliche Richtung auf Grönland zu eingeschlagen, und bald zeigten sich die ersten Anzeichen des nahen Eises, dichte Nebel, durch welche man zwei Tage lang, eine Strecke von zweihundert Seemeilen, sich durcharbeiten mußte. Am 5. Juni drang man unter 74° 50' nördlicher Breite und 10° 38' westlicher Länge von Greenwich zuerst in das Eis ein. Nach dreitägiger angestrengter Arbeit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 789. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_789.jpg&oldid=- (Version vom 15.12.2021)