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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

oder die gesetzliche Pension angeboten wurde. Hierauf erwiderte Lette mit aller Ehrfurcht, aber auch im Gefühle seiner Manneswürde: daß er, so schmerzlich es ihm auch falle, den von hoher Seite ausgesprochenen Wunsch nicht erfüllen könne, theils mit Rücksicht auf seine Verhältnisse, hauptsächlich aber wegen seiner Ehre, die er seinen Kindern unangetastet hinterlassen wolle, die aber in der allgemeinen Meinung befleckt erscheinen müsse, wenn er nach der Art und Weise, wie er aus dem Staatsrath und Landes-Oekonomie-Collegium entfernt sei, nun freiwillig von seinem Amte zurückträte, was einem Geständniß seiner Schuld gleichkommen würde. Diese offene und entschiedene Sprache machte selbst auf die reactionären Minister von Westphalen und Simons einen so günstigen Eindruck, daß sie von jedem weiteren Schritte abstanden und dem Könige in diesem Sinne Bericht erstatteten. Seit Eintritt der neuen Aera ist Lette in keiner Weise mehr angegriffen oder mit Anklagen belästigt worden.

Für diese Widerwärtigkeiten entschädigten vielfache Beweise der Liebe und Anerkennung von Seiten des Volkes, dem er nach wie vor seine Thätigkeit als Abgeordneter und Vorsitzender der meisten Berliner gemeinnützigen Gesellschaften widmete. In der Kammer, in der er seit 1858 ununterbrochen sitzt, hat er an der Mehrzahl der wichtigeren Gesetze über die ländlichen Verhältnisse und an den Anträgen wegen der Reform der Kreis-Ordnung den größten Antheil, während er im Norddeutschen Reichstag in allen Fragen mit der national-liberalen Partei stimmt. Seine größte und segensreichste Wirkung aber entfaltet er auf dem Gebiete der socialen Praxis. Außer den genannten Instituten verdanken ihm noch die bekannte „Pestalozzi-Stiftung“, der große Berliner „Handwerker-Verein“, der „Frauen-Verein für Fröbel’sche Kinder-Gärten“, der „Central-Darlehn-Cassenverein“, der „Verein für Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts“ und noch viele andere wohlthätige Anstalten entweder ihre Gründung oder ihr Fortbestehen unter seiner Leitung. Mit einer Aufopferung ohne Gleichen verbindet Lette ein seltenes Organisations-Talent, den feinsten Tact, die genaueste Kenntniß der Personen und Zustände, so daß er in der That zum Vorsitzenden geschaffen scheint, indem er die Debatte mit Würde zu leiten, die Gegensätze durch seine Milde zu versöhnen und das Gute durch seine unermüdliche Ausdauer zu fördern weiß.

Wenn man in Berlin der Sitzung irgend eines wohlthätigen Vereines für das Gedeihen und die Fortbildung des Volkes beiwohnt, so wird man gewöhnlich auf dem Ehrensitze des Präsidenten einen älteren, kleinen, elastisch beweglichen Herrn erblicken, dessen faltenreiches intelligentes Gesicht einen hohen Grad von liebenswürdiger Gutmüthigkeit und herzgewinnender Humanität bekundet.

Das ist der Präsident Lette, unser Präsident, wie man allgemein in Berlin ihn nennt; denn er ist geliebt, geachtet und im schönsten, besten Sinne „populär“ bei Hoch und Niedrig, bei Arm und Reich, im Palast seines Königs und in der Werkstätte des Arbeiters.

Das ist unser Präsident Lette, der als Greis noch hält, was er als Jüngling einst gelobt hat, für die Einheit des Vaterlandes und das Wohl des Volkes zu leben und zu wirken.

Max Ring.




Das Erkennungszeichen.
Von A. Godin.
(Schluß.)

Mit bebender Hand ergriff Helene das Päckchen, welches Schaumberg ihr entgegenbot, riß es auf und durchflog mit glühendem Blicke die drei Briefe, welche er dem Etui beigelegt hatte. Eine flammende Röthe bedeckte ihr Gesicht. „Und diese Briefe,“ rief sie, kaum des Wortes mächtig, „diese Briefe glauben Sie von mir geschrieben?“

Es lag ein solcher Ausdruck empörten Gefühls in ihren Worten, daß Schaumberg betroffen zusammenzuckte.

Helene bebte an allen Gliedern. „Der Glaube, daß ich diese Briefe geschrieben, war es also, der Sie damals zu mir geführt? – nein, mein Herr! ich gebe Ihnen Wort und Eid, daß diese Blätter und ihr Inhalt mir fremd sind und waren – und nun, verlassen Sie mich!“

„Vergebung, Helene, Verzeihung für eine Anmaßung, die, ich fühle es, Ihnen unerhört erscheinen muß, für die ich keine Erklärung, keine Entschuldigung habe, als – daß einst –“

„Sprechen Sie es nur aus!“ sagte die junge Frau, und ihr Auge blitzte vor Leidenschaft – „sprechen Sie es aus, daß mein Benehmen gegen Sie mit diesen Briefen, gleichen Schritt gehalten! Aber vergessen Sie dabei ihre eigene Haltung nicht! Wenn, ehe ich Sie noch kannte, mein Auge zuweilen zu Ihnen hinüberirrte, so traf es stets das Ihrige, und als ich Sie kennen lernte, lag da nicht von der ersten Stunde an in Ihrem Blick, in Ihrem Ton eine Wärme – freilich sahen Sie in mir schon damals die Frau, die Ihnen rücksichtslos entgegengekommen war! Warum es leugnen,“ rief sie plötzlich, und ihre sprechenden Züge strahlten ein inneres Feuer aus – „ich habe Sie geliebt, mit der ganzen Kraft meines bis dahin stummen Herzens geliebt, das sich’s nicht träumen ließ, nur der geringgeschätzte Spielball geschmeichelter Eitelkeit zu sein!“

„Nicht weiter, Helene!“ fuhr Otto heftig auf. „Sie dürfen, Sie sollen mich nicht tiefer demüthigen, als ich verdiene! Daß ich mich, allzu leichtgläubig, einem Irrthum hingab, der Ihr Selbstbewußtsein tief verletzen muß, empfinde ich ätzend genug, mein Gefühl für Sie lasse ich aber nicht in den Staub ziehen! Auch ich habe Sie geliebt, habe mit leidenschaftlicher Gluth an Ihrem Bilde gehangen, und Niemand weiß, was es mich gekostet hat, mich von Ihnen loszureißen, nachdem die Ueberzeugung sich in mir befestigte, daß ich der Mann nicht sei, Ihr dauerndes Glück zu begründen. Nie, der Himmel sei mein Zeuge – habe ich gering von Ihnen gedacht; was ich bei einer Andern mißbilligt hätte, das erhielt, von Ihnen ausgegangen, eine Weihe, denn ich kenne Ihre große, makellose Seele, Ihre weite, von allem Kleinen befreite Auffassung des Lebens und seiner Güter! Nie habe ich Ihrer anders gedacht, als mit Ehrerbietung und Wärme – lassen Sie mich nicht jetzt von Ihnen gehen mit dem Bewußtsein, daß Sie mir zürnen, daß Sie sich von der Erinnerung an mich unwillig abwenden werden!“

Helene blieb stumm. Sie raffte das Etui und die Briefe auf und reichte sie Schaumberg hinüber, ohne ihn anzublicken.

„Muß ich Sie verlassen, ohne Ihre Vergebung mit mir zu nehmen?“ sagte Otto weich, indem er die Hand gegen sie ausstreckte.

Ein heftiger Kampf wogte in Helenens Brust, ihr Athem flog, endlich wandte sie sich Otto zu und sah ihn an – es war der alte Blick der Liebe, sie faßte seine Hand und ließ sie wieder nach leisem Druck, indem sie flehend sagte: „Gehen Sie jetzt – vergessen werden wir uns nicht!“

An der Thüre wandte sich Otto noch einmal nach ihr um; sie lächelte ihm traurig zu.

Am Abend desselben Tages umschloß das Postpacket jenen am Morgen geschriebenen, an den Major von Feldheim adressirten Brief. Helene hatte ihn einige Stunden nach Schaumberg’s Besuch geschlossen; eine Thräne war auf das heiße Wachs gefallen.




Als sich der Wagen dem Posthause näherte, sah Schaumberg seinen Schwiegervater mit großen Schritten vor demselben auf und ab gehen. Dies Zusammentreffen erschien ihm in seiner gegenwärtigen Stimmung nichts weniger als angenehm; er wußte, daß er, von dem wortreichen Manne begrüßt, so bald nicht loskommen werde, und er sehnte sich unbeschreiblich nach Hause, nach Elisabeth.

Als ihn jedoch der alte Herr beim Aussteigen in Empfang nahm, mußte schon das Unvermeidliche mit guter Miene aufgenommen werden; Andlau schob seinen Arm unter den des Schwiegersohnes und sagte in seiner gewöhnlichen polternden Art: „Ich habe hier auf Euch gewartet, ehe ich den Heimweg antrete; Ihr

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_794.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)