Seite:Die Gartenlaube (1868) 810.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Haus stand öde und leer da, – nur die Hauskatze saß noch ganz gemüthlich auf der Thürschwelle des oberen Stockwerks, zu dem eine Treppe von außen führte. Der Pfarrer hatte sich so eben wehmüthig nach dem Hause gewendet, an dessen dicken Steinmauern sich die Lavablöcke immer höher aufdämmten, – er betrachtete das Heimwesen, in dem er, seit er Priester geworden, gewohnt und gewaltet hatte, mit tiefer Trauer im Ausdrucke, zum letzten Male. – Neben dem Hause stand ein schöner, junger Feigenstamm, – in wenigen Minuten mußte ihn die Lava zerstören, – ich wollte ihn lieber als Andenken mitnehmen. „Ist’s erlaubt?“ fragte ich. „Heute ist Alles erlaubt!“ antwortete er mit einem trüben Lächeln auf die Lava deutend. Während ich den Stamm abschnitt, fiel des Pfarrers Blick auf die Katze: „Rettet das arme Thier!“ rief er einem der Leute zu; – dieser eilte die Treppe hinauf, die Katze aber, durch das fremde Gesicht erschreckt, lies rasch in’s Innere des Hauses hinein, und in demselben Augenblicke stürzte die an dem Hindernisse der Steinmauern thurmhoch aufgedämmte Lava mit furchtbarem Gekrach nach vorne über und überschüttete das flache Dach des Hauses mit einem Feuermeere. Der Mann auf der Treppe sprang mit einem lauten Schrei hinab, der Pfarrer und die Umstehenden bekreuzten, sich, – aus den leeren Fensterhöhlen drangen dicke, qualmende Rauchwolken, – noch einige Minuten und das ganze, große Pfarrhaus war spurlos verschwunden, an seiner Stelle wälzte sich ein hoher Wall von glühenden Lavablöcken weiter vorwärts.

Wir gingen jetzt, durch Weinberge und Obstgärten kletternd, immer nur der Grenze des Lavadammes folgend, die ganze Breite des Feuerstromes hinab, nachdem wir den Hohlweg, in welchem wir zum Pfarrhause hinaufgestiegen, auf dem Rückwege schon mit Lava ausgefüllt und überdeckt gefunden hatten. Auf diesem langen und mühsamen Wege starrte, uns überall dasselbe traurige Bild der Vernichtung und Verwüstung entgegen; in einer Besitzung war das elegante Casino so eben unter dem Drucke der Lavablöcke zusammengestürzt, aber die feurige Masse schien, aus unbekannten Ursachen, auf diesem Punkte Rast zu halten und nicht vorwärts gedrängt zu werden, denn die Trümmer des Casino’s wurden nicht überdeckt und vor der Lava eingeschlagene Holzpfähle, die dem Besitzer als Warnungszeichen dienen sollten, standen unverletzt da. Diese momentane Rast war für die Besitzer des Casino’s ein großes Glück, denn sie waren noch damit beschäftigt, aus den etwa fünfzig Schritte zurück gelegenen Wirthschaftsgebäuden ihre bewegliche Habe zu entfernen und den Wein aus den Kellern in Fässer zu gießen, deren einige, bereits gefüllt, fortgeführt wurden. Jede Stunde Galgenfrist war für die Leute ein wahrer Gewinn und sie suchten auch jede so gewonnene Minute bestens zu benützen.

Wir waren nun schon fünf Stunden, ohne Halt, nach allen Richtungen umhergewandert und hatten einen genügenden Ueberblick des Terrains gewonnen, – die Sonne neigte sich zum Untergange, – wir waren müde, matt, hungrig und durstig, und so kehrten wir an den äußersten Punkt der Lavafluth zurück, lagerten uns dort auf einen Hügel und hier – vor uns den donnernden und qualmenden Vesuv und den San Salvatore mit der Wallfahrts-Capelle, zu unseren Füßen die krachende und prasselnde Lavafluth im langsamen Vorrücken, hinter uns das Meer und die in dasselbe hinabsinkende Sonne, während die Mondsichel schon hell am Himmel stand, – in Mitte dieser großartigen Rundschau labten wir uns an dem mitgebrachten Proviante und dem köstlichen Wein. – Indessen wurde es dunkler, wie denn hier die Nacht ohne Dämmerung eintritt, und der Führer fragte: ob er für den Rückgang eine Fackel kaufen solle? – „Was eine Fackel koste?“ fragte ich. Wieder dieselbe ausweichende Antwort: „Sie wird nicht viel kosten.“ Ich winkte, – er und sein Begleiter gingen und kehrten bald mit zwei Fackeln wieder. „Was eine solche Fackel koste?“ fragte ich jetzt scheinbar hingeworfen meine Reisegefährten. „Zwei Francs!“ platzte der eine Führer unvorsichtig heraus, und jetzt begriff ich, daß es auf eine Prellerei abgesehen war. Ich rief die beiden Bursche zu mir: „Ich will jetzt wissen, was Du für Deine Mühe verlangst, – den Andern habe ich nicht bestellt und nicht angenommen. Also kurz und klar! was verlangst Du?“ – Neue Ausflüchte, – wiederholt die Redensart: „Was Eccellenza geben wollen!“ – als ich aber nicht nachließ und kategorisch eine Summe zu wissen verlangte, meinte der Führer: „er habe wohl fünfzehn Francs verdient und seinem Cameraden sollte ich geben, was ich glaube.“ „Seid Ihr toll oder glaubt Ihr, daß ich verrückt bin?“ fragte ich ihn und nun begann eine Debatte, die eine volle Stunde währte, in der ich Argument gegen Argument, Sophism gegen Sophism zu setzen, die Appellationen an meine Großmuth und Generosität gegen so „poveri Diavoli“ mit der Erklärung, daß ich selbst kein „Inglese“ und nicht reich sei, abzuweisen hatte. Mit dem Neapolitaner, der ein geborener Advocat und Plaideur ist, muß man eben plaidiren, nie die Ruhe verlieren und etwa heftig werden, und die ganze Debatte immer im heiteren, scherzhaften Tone führen. So bot ich ihnen denn fünf Francs für Beide zusammen und setzte ihnen auseinander, wie viele Macaroni und wie viele Bottiglias guten Posilippoweines sie für die fünf Francs kaufen“ könnten, worauf sie endlich auf zehn Francs für Beide Herabstiegen. Allein ganz einig konnten wir nicht werden, und so rückte ich jetzt mit dem kräftigsten Argumente vor und proponirte, den Fall dem Brigadier einer der jetzt zahlreich den Berg heraufkommenden Gensdarmerie- Patrouillen zur Entscheidung vorlegen zu wollen. – Das wirkte; die Bursche wurden kleinlaut und acceptirten mein Gebot, jedoch mit der Bitte: Eccellenza möge doch Jedem noch eine Bottiglia (Trinkgeld) geben. Ich gab ihnen nun die fünf Francs und jedem einen Franc Bottiglia, und sie zogen mit vielen „Mille grazie, Excellanza, auf Wiedersehn!“ mit ihren Fackeln ab.

Zum Rückwege nach San Giorgio brauchte ich weder sie, noch die Fackeln, denn der Schauplatz hatte sich gegen Abend mit Hunderten von Fremden und Neapolitanern gefüllt, die alle von Fackelträgern begleitet waren, so daß man sich nur einer solchen Gesellschaft anzuschließen brauchte.

Ich erzähle diese kleine Episode, um nach mir kommende Reisende zu warnen, sich nie ohne vorher gemachten festen Accord hier auf Etwas einzulassen und in allen streitigen Fällen sich an die Gensdarmerie oder an die „Garde der öffentlichen Sicherheit“ zu wenden, die, meistens Piemontesen oder Toscaner, mit den prellerischen Neapolitanern kurzen Proceß machen.

Darüber war es nun Nacht geworden und das prächtige Schauspiel entwickelte sich vor uns. So weit das Auge reichte, war nun der ganze Lavastrom, der bei Tage schwarz ausgesehen hatte, ein glühendes Feuermeer, das sich langsam vorwälzte und von dessen haushohen Wogen sich fortwährend ungeheure, glühende Lavablöcke ablösten und mit Gekrach herabrollten. Rückte die Lava an einen Baum, so flammten seine von der furchtbaren Hitze gedörrten Blätter, wie tausend Lichter auf einem Christbaum, hellleuchtend auf, – dann wurde prasselnd der Stamm von den Flammen verzehrt und die Krone sank in das Gluthmeer. Dazwischen schlugen aus dem Lavawalle von Zeit zu Zeit ungeheure Flammensäulen mit donnerähnlichem Gepolter auf, wahrscheinlich in der Masse eingeschlossene Gase, die sich entzündeten, – dann wieder stürzte sich der glühende Strom in einen der vielen Brunnen, das Wasser darin wurde durch das Feuer verdrängt, es entwickelte sich mit einer Explosion eine Masse Wasserstoffgases und eine weiße Dampfsäule wirbelte zischend in die Luft empor.

Und dieses nicht zu beschreibende Schauspiel begleitete der Vesuv mit seinem lang rollenden unterirdischen Donner, in den sich das Krachen der Lava, das Knattern und Knistern der brennenden Bäume, die Donnerschläge der Gasentzündungen, das Geschrei der Obst-, Kuchen- und Weinverkäufer, die Rufe der Fackelhändler: „Holla, Fackeln für den Heimweg!“ und das in allen Sprachen ertönende Geplauder der Fremden und Neapolitaner mischte. Noch einmal: so Etwas läßt sich erleben und hinterläßt einen unauslöschlichen Eindruck, – aber beschreiben läßt es sich nicht. – Es waren, nach meiner Schätzung, einige Tausend Personen diesen Abend auf dem Berge, meistens Fremde, die auf die telegraphischen Nachrichten von Rom, Florenz, Livorno, Mailand, Marseille herbei geeilt waren und deren in den letzten Tagen einige Tausend hier eingetroffen sein sollen, so daß alle Hotels überfüllt sind.

Als wir um neun Uhr den Berg verließen und hinabstiegen, begegnete uns auf dem ganzen Wege eine unaufhörliche Procession von Gesellschaften mit Fackelträgern und auf der Straße von Portici bis Neapel fuhren uns fortwährend Droschke auf Droschke, Equipage auf Equipage, Alle der Lavafluth zueilend, entgegen. – Unser Kutscher fuhr uns, wie ein Wahnsinniger jagend, in gestrecktem Galopp nach Hause, – da, vor Portici, ertönt ein gellender Schrei und ein Pferd mit einem Wägelchen, in dem ein

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_810.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)