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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Ein anderes geheimnißvolles Gedicht ist von derselben Hand in der von hier aus bald erreichten Felsgrotte des Hermannsteins eingegraben. Nächst dem Eingange zur Grotte findet der aufmerksame Sucher rechter Hand, in Mundes Höhe, ein in die Felswand gehauenes S, das der Frau von Stein gewidmet ist, der Frau seiner tiefsten, innigsten Verehrung, „der lieben Begleiterin aller seiner Gedanken, der unversiechlichen Quelle seines Glücks“, welcher Goethe viele seiner schönsten Lieder gesungen hat. Sie begrüßte er auch von hier aus mit dem „Kuß der Gedanken“ und schrieb an die Entfernte, daß er das „S“ wieder besucht und geküßt habe.

Tage der Liebe und Lust waren es, die Dichter und Fürst hier zusammen verlebten. Aus der Residenz, aus der oft drückenden Hofatmosphäre sehnte sich der jugendliche Fürst hinaus in die frische freie Luft. Er wollte wieder einmal die Sonne in den Bergen auf- und untergehen sehen, am liebsten mit Goethe; und wenn die Jagdlust über ihn kam, so war nächst dem Ettersberg dann Ilmenau mit seinen schönen Wäldern das weitere Ziel. Von dem freundlichen Städtchen aus durch das liebliche Manebacher Thal über das Dorf gleichen Namens führt der Weg zu dem in einem Nebenthal sich reizend hinstreckenden Dorfe Stützerbach. Auch der Berg- und Waldespfad dahin ist zu empfehlen; er zieht sich durch den romantischen Schortegrund an dem rauschenden Gebirgswasser, an der engen Schlucht und dem Wasserfall des Finsterlochs vorüber. Der gellende Schall der Holzschläger-Axt unterbricht zuweilen die Ruhe des Waldes, und hie und da schüret ein rußiger Köhler den Meiler, dessen Rauch sich in die Fichten erhebt. Die Arbeiter des Forstes, der Glashütte, der Porcellanfabrik bilden den größeren Bestand der Einwohner Stützerbachs. Der eine Theil des Dorfes ist preußisch, der andere weimarisch, und das tanzlustige Völkchen zieht den Vortheil aus der getheilten Herrschaft, daß es an weimarischen Tanztagen hüben, an preußischen drüben sich vergnügt und also häufiger Gelegenheit zum Fröhlichsein hat, als andere Dorfbewohner.

Zwei Wanderer waren wir ausgezogen zum Genuß der anmuthigen Gegend, besonders aber auch hier den Spuren jener lustigen weimarischen Zeit nachzugehen. Vom Gickelhahn durch hohe Fichten- und Buchenwaldungen führte uns der Weg nach Stützerbach hinab. Eine Stunde des schönen Sommerabends widmeten wir der unansehnlichen alten Schenke, denn der Tanzboden war für uns diesmal der classische Boden, dem unsere Forschung galt. Als einer der kleinsten und geringsten eines Thüringer Walddorfs, durchaus noch im Urzustande, erschien er uns mit seiner steilen, schmalen Stiege, auf welcher gewiß nur mittels des Ellenbogens Raum erobert wurde, wenn die Geige erklang von dem Plätzchen aus, das erhöht und mit einem Holzgeländer umgeben war und zum Orchester diente. Einige Bänke standen den Wänden entlang, mehrere Thüren führten zu anstoßenden Stübchen; die unebenen Dielen aber waren eben erfüllt von der frisch eingeführten duftenden Heuernte. Wie einfach und dürftig war der Apparat, wie klein der Raum, wie niedrig die Decke für die beiden Männergrößen, die dem Luxus des Hoflebens entflohen waren und hier unter Naturmenschen Genuß fanden!

In Sützerbach gab es besonders lustige Nächte; Karl August und Goethe kamen oft von Ilmenau dahin. Schnelle Rosse unter den Schenkeln, Mond und Sterne über den Mützen, jagten sie dem Manebacher Thale entlang, dem engeren Thalgrunde zu, wo, das Dörfchen im Schlummer zu liegen schien. Doch aus der Schenke blinkte das Licht, da tönte Trompetenklang und munter ging der Fiedelbogen. Die schönsten Mädchen wurden im Tanze geschwungen, da gab’s zu „miseln“, zu liebeln und zu scherzen mit den gluthvollen wilden Rosen des Dorfes, eine fröhliche Nacht hindurch, bis die Musik verstummte und der anbrechende Tag an den Heimritt mahnte.

Unter den anderen Häusern im oberen Dorfe interessirt uns zunächst das eine, welches wir hier als reizende Idylle in getreuer an Ort und Stelle aufgenommener Abbildung geben. Man sieht ihm seine hundert Jahre an, sie blicken aus den bleigefaßten Fensterscheiben auf die gewiß seit geraumer Zeit unverändert gebliebenen Umgebungen, auf das anspruchslose Gemüse- und Blumengärtchen, auf die hölzernen Nachbarhütten herab. Was da wächst und wuchert, es kennt nicht die ordnende Hand des Gärtners, es gedeiht wie zufällig, es ist verwildert und natürlich, wie es der Maler will. Die alten Linden werfen Schatten und Blüthendüft in die Stuben, die bergansteigende Waldeswiese ersetzt den schönsten Gartenflor und der nahe Wald grünt in üppigster Frische.

Die alte Frau Gundelach war früher die Besitzerin des Hauses und erzählte gern, daß unter dem stattlichen Schieferdache innerhalb der holzbekleideten Wände der gnädige Großherzog und Goethe öfter zur Jagdzeit Stand- und Ruhequartier genommen hatten. Sie zeigte noch die Stuben der hohen Gäste, in der einen, welche Goethe bewohnt hatte, das weißgestrichene große Bett, den kleinen goldverzierten geschliffenen Spiegel zwischen den zwei Fenstern, das Tischchen darunter, ein vielkissiges Sopha, einige Bilder und einfache Stühle, wie den landesüblichen, weit in die Stube vorspringenden gewaltigen Kachelofen. Nicht anspruchsvoller waren das dreifenstrige Zimmer und die Kammer, welche der Fürst bewohnt hatte, ausgestattet; es sei denn, daß eine alte Tapete, ein großes Schreibpult und ein altertümliches Wetterglas als besonderer Ausputz zu betrachten waren.

In neuerer Zeit sind vom Weimar’schen Hofe dem merkwürdigen Hause eine gute Goethe-Büste und das sauber gemalte Portrait Karl August’s, gestiftet worden, die allerdings dazu beitragen, die Phantasie der Besucher der geweihten Stätte zu beleben. Sie tritt vor uns, die gedrungene Gestalt des besten Fürsten, des leutseligen, des ganzen Mannes mit dem großen Geiste. In der grünen Jagdpekesche, die mächtigen Hunde an der Seite, die Cigarre im Munde, beging er hier die ansehnlichen Forsten, welche mit Fleiß cultivirt wurden; er besichtigte die Anstalten und Rüstzeuge der Wildhegung; Naturliebe und Kühnheit hatten ihn zu einem leidenschaftlichen Jagdfreunde gemacht. Dem Drange der Körperkräfte gab er damals zuweilen auch in Hetz- und Parforce-Jagden Raum. Der Oberforstmeister von Wedel, von Jugend an sein Jagdgenosse, war auf solchen Fahrten sein steter Begleiter, aber auch Goethe und andere Freunde vom Musenhofe nahmen Theil an der Lust. Am grauenden Morgen hielten die Jäger zu Roß, die Meute sprang ungeduldig am Koppel, und die Bauern zogen als Treiber in den Wald hinaus. Nicht immer ging es ohne Sturz, Armbruch und Verwundung für den Herzog ab, und als er einmal beim Ausweiden eines erlegten Hirsches mit Hand angelegt und sich das Ohr mit Blut nur befleckt hatte, soll ein Ettersburger Bäuerlein sorglich gesagt haben: „Durchlaucht, Er hat Schweiß am Löffel.“

Einfachheit und Ungebundenheit liebend, war er leutselig im Umgange mit dem Geringsten, wie besonders mit seinen, treuen Dienern. Der Kammerdiener Hecker, der des Herzogs abgetragene Kleider empfing, durfte sich schon zu sagen erlauben, daß königliche Hoheit die verschossene fadenscheinige Pekesche wahrlich nicht länger tragen könne. „Was bekommst Du dafür, wenn Du sie vermöbelst?“ frug der Herr. „Höchstens zwei Thaler!“ war die Antwort, und Karl August zog die Börse mit den Worten: „Da hast Du’ Deine zwei Thaler, laß mir meine Pekesche.“

Zur Weihe dieses Hauses denken wir uns ferner darin wandelnd, denkend, dichtend Goethe, die große Seele in der Gestalt eines Apoll, den lebensvollen Dichter, dessen Erscheinung – wie alle Zeitgenossen berichten – eine unwiderstehlich glanz- und siegvolle war, der vor allem hier in die intimsten Beziehungen zu dem jungen Fürsten trat, dem das Leben erst recht aufging in dieser Freundschaft, welche für das Land und die Welt so fruchtbar wurde. Besonders in der ersten Zeit solcher Verbindung, in der jugendlichen Sturmperiode waren Ilmenau und Stützerbach die Tummelplätze der Geister von Weimar, unter denen sich außer Wedel auch Einsiedel, Knebel, Seckendorf, Stein und andere befanden. Mit Humor und Ausgelassenheit ergab man sich, neben dem Jagdvergnügen und den forcirten Ritten, einer Art poetischen Zigeunerlebens. Man liebte es, am Tage, wie unter mondheller Himmelsdecke, im Walde zu lagern, dabei zu schmaußen, zu trinken und allerlei Scherz zu treiben. „So recht in den Fichten drin zu liegen bei einfachen guten Menschen“ war ganz nach Goethe’s wie Karl August’s Eigenart, und mit den Gefühlen, denen sie sich hier in freiester Stimmung hingaben, ist sicher das Material zu mancher abenteuerlichen romantischen Scene in „Wilhelm Meister“ gefunden worden, wie bekanntlich auch auf dem Thüringer Walde in derselben Stimmung „Dem Schnee, dem Regen, dem Wind entgegen“ entstanden ist.

Einst hatte man hier am Fuße eines Felsens Hütten gebaut, sie mit Tannenreisern gedeckt, um geschützt vor dem Wetter die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_822.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)