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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

mich an ein logisches Denken gewöhnen sollte, wie sie auch in allen übrigen Dingen auf eine gewisse Ordnung hielt, weshalb sie mir oft mein zerfahrenes, wildes Wesen zum Vorwurf machte. Ueberwiegend neigte sie sich zur Reflexion, zum Nachdenken, selbst zu einem gewissen kritischen Mißtrauen gegen sich und Andere. Als aber mein Bruder Clemens ihr dies einmal schrieb oder sagte, antwortete sie ihm: ‚Sagen Sie nicht, mein Wesen sei Reflexion oder gar mißtrauisch – das Mißtrauen ist eine Harpyie, die sich gierig über das Göttermahl der Begeisterung wirft und es besudelt mit unreiner Erfahrung und gemeiner Klugheit, die ich stets jedem Würdigen gegenüber verschmäht habe.‘“

„Es bleibt doch immer,“ versetzte ich, „räthselhaft, daß eine so fein organisirte, besonnene und reflectirende Frauennatur, ein so zartes, schüchternes Mädchen, wie Sie selbst Ihre Freundin schildern, sich gewaltsam das Leben nahm. Welche Gründe konnten sie zu einer solch schrecklichen That drängen, und ist es wahr, daß die Veranlassung dazu eine unglückliche Liebe gewesen sein soll?“

„Ich selbst,“ erwiderte Bettina, „habe erst nach ihrem Tode die Wahrheit erfahren, von der ich, so lange sie lebte, keine Ahnung hatte. Ich wußte nichts von ihren sonstigen Verbindungen und Verhältnissen, nur zuweilen sprach sie den Wunsch aus, früh zu sterben. Ich weiß nicht, ob Sie sich meiner Mittheilungen erinnern, die ich in meinem Briefwechsel mit Goethe über die seltsame Todessehnsucht der Günderode gegeben habe?“

Ehe ich Bettina noch antwortete, sprang sie von ihrem Sopha auf und kletterte auf die bereitstehende Leiter, um das genannte Buch aus einem der oberen Fächer ihrer Bibliothek zu holen. Sie schlug die bezeichnete Stelle auf und las sie mir mit ergreifender Stimme vor:

„Einmal kam mir die Günderode freudig entgegen und sagte: ‚Gestern habe ich einen Chirurg gesprochen, der hat mir gesagt, daß es sehr leicht ist sich umzubringen.‘ Sie öffnete hastig ihr Kleid und zeigte mir unter der schönen Brust den Fleck; ihre Augen funkelten freudig; ich starrte sie an, es ward mir zum ersten Mal unheimlich, ich fragte: ‚nun! – und was soll ich denn thun, wenn Du todt bist?‘ ‚O,‘ sagte sie, ‚dann ist Dir nichts mehr an mir gelegen, bis dahin sind wir nicht mehr so eng verbunden, ich werd’ mich erst mit Dir entzweien;‘ – ich wendete mich ab nach dem Fenster gewendet und schwieg; – ich sah sie von der Seite an, ihr Auge war gen Himmel gewendet, aber der Strahl war gebrochen, als ob sich sein ganzes Feuer nach innen gewendet habe; – nachdem ich sie mir eine Weile beobachtet hatte, konnt’ ich mich nicht mehr fassen, – ich brach in lautes Schreien aus, ich fiel ihr um den Hals und riß sie nieder auf den Sitz und setzte mich auf ihre Kniee und weinte viel Thränen und küßte sie zum ersten Mal auf ihren Mund, und riß ihr das Kleid auf und küßte sie an die Stelle, wo sie gelernt hatte das Herz treffen; und ich bat mit schmerzlichen Thränen, daß sie sich meiner erbarme, fiel ihr wieder um den Hals und küßte ihre Hände, die waren kalt und zitterten, ihre Lippen zuckten, sie war ganz kalt, starr und konnte nicht die Stimme erheben; sie sagte leise: ‚Bettina, brich mir das Herz nicht.‘“

„Einige Zeit darauf,“ fuhr die berühmte Frau mit Ueberschlagung einiger Zeilen fort, „kam ich wieder zu ihr; da zeigte sie mir einen Dolch mit silbernem Griff, den sie auf der Messe gekauft hatte; sie freute sich über den schönen Stahl und über seine Schärfe; ich nahm das Messer in die Hand und probte es am Finger, da floß gleich Blut, sie erschrak; ich sagte: ‚O Günderode, Du bist so zaghaft und kannst kein Blut sehen, und gehest immer mit einer Idee um, die den höchsten Muth voraussetzt; ich hab’ doch noch das Bewußtsein, daß ich eher vermögend wär’, etwas zu wagen’, obschon ich mich nie umbringen würde; aber mich und Dich in einer Gefahr zu vertheidigen, dazu hab’ ich Muth; und wenn ich jetzt mit dem Messer auf Dich eindringe – siehst Du, wie Du Dich fürchtest?‘ – sie zog sich ängstlich zurück; der alte Zorn regte sich wieder in mir unter der Decke des glühendsten Muthwillens; ich ging immer ernstlicher auf sie ein, sie lief in ihr Schlafzimmer hinter einen ledernen Sessel, um sich zu sichern; ich stach in den Sessel, ich riß ihn mit vielen Stichen in Stücken, das Roßhaar flog hier- und dahin in der Stube, sie stand flehend hinter dem Sessel und bat ihr nichts zu thun; ich sagte: ‚eh’ ich dulde, daß Du Dich umbringst, thu’ ich’s lieber selbst;‘ ‚mein armer Stuhl!‘ rief sie; ‚ja was, Dein Stuhl, der soll den Dolch stumpf machen; ich geb’ ihm ohne Barmherzigkeit Stich auf Stich.‘ Das ganze Zimmer wurde eine Staubwolke; so warf ich den Dolch weit in die Stube, daß er prasselnd unter das Sopha fuhr; ich nahm sie bei der Hand und führte sie in den Garten in die Weinlaube, ich riß die jungen Weinreben ab und warf sie ihr vor die Füße, ich trat darauf und sagte: ‚So mißhandelst Du unsere Freundschaft.‘ – Ich zeigte ihr die Vögel auf den Zweigen und daß wir, wie jene, spielend, aber treu gegen einander bisher zusammen gelebt hätten, ich sagte: ‚Du kannst sicher auf mich bauen, es ist keine Stunde in der Nacht, die, wenn Du mir Deinen Willen kund thust, mich nur einen Augenblick besinnen machte, – komm vor mein Fenster und pfeif’ um Mitternacht, und ich geh’ ohne Vorbereitung mit Dir um die Welt. Und was ich für mich nicht wagte, das wag’ ich für Dich; – aber Du! – was berechtigt Dich, mich aufzugeben? – und wie kannst Du solche Treue verrathen? und versprich mir, daß Du nicht mehr Deine zaghafte Natur hinter so grausenhaft prahlerische Ideen verschanzen willst;‘ – ich sah sie an, sie war beschämt und senkte den Kopf und sah auf die Seite und war blaß; wir waren beide still, lange Zeit. ‚Günderode‘ sagte ich, ‚wenn es ernst ist, dann gieb mir ein Zeichen;‘ – sie nickte, bald darauf reiste sie in’s Rheingau und ich sah sie nicht mehr wieder.“

Tief ergriffen und voll Bewunderung durchlebte ich im Geiste die dramatische Scene, welche zugleich einen so lebendigen Einblick in dies romantische Verhältniß und in den Geist jener von Ueberschwänglichkeit und Schwärmerei erfüllten Periode gewährte.

„Alles, was Sie über die Günderode mittheilen,“ sagte ich nach einer Pause, „klingt so geheimnißvoll und poetisch, daß Sie gewiß meine Neugierde verzeihlich finden werden, wenn ich von Ihnen, gnädige Frau, die näheren Umstände und vor Allen die Ursache ihres Todes zu hören wünsche.“

„Die Sache ist kein Geheimniß mehr und ich will Ihnen gerne mittheilen, was ich selbst später darüber erfahren habe. Allerdings war eine unglückliche Liebe schuld an ihrem Tode. In einem befreundeten Hause hatte die Günderode den bekannten Professor Creuzer kennen gelernt, der, wie Sie wissen, Lehrer an der Universität zu Heidelberg war. Obgleich er nichts weniger als schön war, machte sein tiefes Wissen, verbunden mit seiner persönlichen Liebenswürdigkeit, einen tiefen Eindruck auf das Herz meiner armen Freundin. Sie sympathisirte mit seinen symbolischen Studien, für die ich mich nie begeistern konnte, während er an ihren poetischen Arbeiten den lebhaftesten Antheil nahm. Mehrere Gedichte von ihr in dem von ihr herausgegebenen ,Tian’ verdankten diesem Verhältniß ihr Entstehen, so wie Creuzer manche ihrer Gedanken in seine Schriften aufgenommen hat. Mit jedem Tage wurde ihre Verbindung inniger und leidenschaftlicher, so daß sie nicht mehr getrennt zu leben vermochten. Leider aber war Creuzer an eine weit ältere ungeliebte Frau gefesselt, die er vor Jahren aus Dankbarkeit geheirathet hatte.“

„Die alte Geschichte!“ unterbrach ich Bettina. „Nun ist mir Alles erklärlich.“

„Und doch war das Schicksal meiner unglücklichen Günderode weit tragischer, als Sie sich vorstellen können. Es liegt eine furchtbare Ironie in der Weise, wie es mit der Armen spielte, ihr den Himmel aufthat, um sie dann in das dunkle Grab zu stoßen. Creuzer war fest entschlossen, die verhaßte Ehe mit seiner alten Frau zu lösen, und, wenn auch mit Widerstreben, willigte diese, eine gutherzig beschränkte Natur, in die von ihm vorgeschlagene Scheidung. Schon glaubte die Günderode am Ziele ihrer Wünsche zu stehn, als der Geliebte, wahrscheinlich in Folge der vorausgegangenen Kämpfe und Aufregungen, heftig am Nervenfieber erkrankte. Sein Leben schwebte in der höchsten Gefahr, und sicher wäre er seinen Leiden erlegen, wenn ihn nicht jene von ihm halb verstoßene Frau mit der größten Aufopferung bei Tag und Nacht gepflegt hätte, ohne von seinem Bette zu weichen, ohne sich vor der Gefahr der Ansteckung zu fürchten.“

„Welch’ entsetzlicher Kampf für den armen Mann!“ rief ich unwillkürlich.

„Gerührt von der treuen Anhänglichkeit des vernachlässigten Weibes, ergriffen von ihrer uneigennützigen Liebe, bestürmt von seinen Verwandten und Freunden, von Dankbarkeit erfüllt, vielleicht auch aus kleinlicher Rücksicht auf die öffentliche Meinung, oder aus Furcht und Schwäche, die den Grundzug seines pedantischen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_826.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)