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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Reinhard zu danken, ihn zu lieben als unseren theuersten Freund, denn er hat unser Glück, meine Ehre gerettet!‘“

„Es waren fieberhafte Gedanken, Phantasien eines schwerkranken, sterbenden Mannes, die er in gesunden Stunden nie wiederholt haben würde!“ rief der Doctor in unverkennbarer Aufregung.

„Nein, nein! Er war in dem Augenblick nicht als ein Sterbender anzusehen, vielmehr bei vollem, klarem Bewußtsein; und ich hätte auch damals eine Erklärung seiner Worte vernommen, wenn Sie nicht hinzugetreten wären und dem Vater jede Erregung, jedes weitere Wort verboten hätten. Mich selbst aber führten Sie hinaus, und ich habe ihn lebend nicht wieder gesehen. Darum aber sind Sie mir jetzt die Erklärung schuldig geworden, Doctor, und Sie müssen mir sagen: was bedeuten jene Worte? Ich muß Ihnen ja danken können, wie es meines Vaters Wille war,“ fügte sie bewegt hinzu.

Er war aufgestanden und trat jetzt vor sie hin, indem er ihr beide Hände hinreichte. „Eva,“ rief er, „Sie sind mir keinen Dank schuldig! Ich gebe Ihnen mein Wort, daß es nur eine krankhafte Einbildung war, welche Ihren Vater dazu brachte, mich als einen Retter seiner Ehre hinzustellen; dieselbe war so rein und makellos wie die Ehre des besten Mannes, und es ist Niemandem in der Welt eingefallen, sie anzutasten. Darum verscheuchen auch Sie jeden Gedanken, der einen Zweifel an ihm hervorrufen könnte, denn ein solcher wäre eine Versündigung an seinem Andenken!“

Sie sah ihm mit innigem Ausdrucke in’s Gesicht. „Das Bild meines Vaters lebt heilig in meinem Herzen, aber seit seinem Tode hatte sich ein Nebel davor gelegt, der mich die theuren Züge nicht immer klar erkennen ließ, und wenn ich Ihnen denn keinen andern Dank schuldig sein soll, so danke ich Ihnen wenigstens dafür, daß Sie diesen Nebel verscheucht haben. Ich werde Ihnen das nie vergessen!“

„Und doch möchte ich, daß Sie dies Alles vergäßen, Eva, daß überhaupt von gar keinem Danke gegen mich die Rede wäre, denn wissen Sie, daß ich gekommen bin, um etwas ganz Anderes von Ihnen zu hören!“

Sie sah ihn eben so erstaunt wie erwartungsvoll an; er aber nahm auf’s Neue ihre Hand und fuhr mit bewegter Stimme fort: „Eva, seit dem Tode Ihres Vaters ist das Haus Ihrer Tante Ihre Heimath geworden – könnten Sie den Gedanken fassen, auch diese Heimath wieder zu verlassen, um dafür einem Manne anzugehören, dessen Herz seit Ihrem Kindesalter für Sie schlägt?“

Ihre stumme Frage lag in ihren Augen, ihre Hand aber zitterte in der seinigen.

„Eva, ich selbst bin der Mann, der sie liebt, dessen höchster Wunsch es ist, Sie sein nennen zu dürfen, und der Sie in dieser Stunde fragt: können, wollen Sie ihm Ihre Hand reichen?“

Einen Augenblick stand sie erschrocken, fast gelähmt von seiner Erklärung, die ihr so gänzlich unerwartet und ungeahnt entgegengebracht wurde. Sie hatte in dem viel älteren Manne, der das Doppelte ihres achtzehnjährigen Lebens zählen mochte, stets nur eine Art väterlichen Freundes erblickt, wie sie denn ja auch wußte, daß er ihrem eigenen Vater freundschaftlich nahe gestanden, sie hatte ihm ihre großen und kleinen Angelegenheiten vertraut und sich in ihrer Rechnung auf seinen Schutz, seine Theilnahme nie betrogen. Und nun stand dieser Mann plötzlich als ein Bittender vor ihr, stellte sich gewissermaßen unter sie, indem er von ihrer Entscheidung sein Lebensglück abhängig machte! Sie war gar nicht fähig, das Alles zu fassen, und er sah, wie ihre Wangen bleich wurden. Ihr Schweigen machte ihn besorgt, und mit erregter Stimme fuhr er fort:

„Habe ich mich getäuscht, Eva, als ich Ihr Herz frei wähnte und deshalb wagte, um Sie zu werben, oder fühlen Sie in sich nicht die Möglichkeit, mich lieben zu können, so sprechen Sie Ein Wort, und ich trete zurück, denn ich will Ihr Glück, wie ich das meine will!“

Sie hatte sich, während er sprach, gesammelt und wagte jetzt zum ersten Male die Augen gegen ihn aufzuschlagen; sie sah die seinigen auf sich gerichtet, diese ernsten Augen, die jetzt einen wunderbar warmen und weichen Ausdruck hatten, und es war ihr, als ginge in diesem Moment ihr Herz auf und in demselben ein neues, nie gekanntes Gefühl. – Warum sollte sie diesen Mann, der besser und edler war als alle Menschen, die sie kannte, seit ihr Vater gestorben war, nicht auch mehr lieben können als alle anderen Menschen, fast wie sie den Vater selbst geliebt hatte? Auch ein flüchtiger Gedanke an die Worte des Sterbenden zog wieder durch ihre Seele: war jetzt nicht der Augenblick gekommen, wo sie beweisen durfte, daß ihr sein Wille heilig sei?

„Reden Sie, Eva, besitzt ein anderer Mann Ihre Neigung?“ fragte des Doctors tiefe Stimme auf’s Neue.

„Nein,“ entgegnete sie, immer noch in halber Verwirrung, „sie ist mein freies Eigenthum, und –“ sie stockte.

„Nun?“ fragte er gespannt.

Statt der Antwort legte sie ihre Hand in die seinige.

„Sie wollen sich mir geben, Eva?“

„Ja!“ sagte sie leise.

Er machte eine Bewegung, als ob er sie in seine Arme ziehen wollte, aber er bezwang sich und sagte nur mit einer Stimme, die vor innerer Bewegung fast zitterte: „Nein, Eva, Sie sollen, Sie dürfen sich nicht übereilen mit Ihrer Entscheidung! Es wäre unrecht, sie in dieser Stunde, die Sie, wie ich mir sagen muß, überrascht hat, von Ihnen zu fordern. Ich gebe Ihnen so viel Zeit zur ruhigen Prüfung Ihres Herzens, wie Sie verlangen, und werde keinen Versuch machen, Sie zu gewinnen, wenn Sie mir sagen, daß Sie mich nicht lieben können; dagegen fordere ich Ihre ganze, ungetheilte Liebe, wenn Sie einmal das bindende Wort gesprochen haben; ich darf sie fordern für die Hingabe meines eigenen ganzen Lebens. Vor allen Dingen seien Sie daher aufrichtig gegen mich wie gegen sich selbst, ob nicht vielleicht das Bild eines anderen Mannes in Ihrem Herzen Platz gefunden hat, das sich von dem meinigen nicht verdrängen ließe!“

Sie lächelte und erröthete zugleich. „Die Versicherung kann ich Ihnen geben – denn daß ich als vierzehnjähriges Mädchen einmal in kindischer Weise für meinen Vetter Adalbert geschwärmt habe, werden Sie mir nicht anrechnen wollen!“

„Für Ihren Vetter?“ fragte er, sichtlich unangenehm betroffen, „und er?“

„Ach, das war’s ja eben!“ sagte sie halb lachend; „er sah mich gar nicht an, hatte keine Ahnung davon, wie seine kleine Cousine ihn bewunderte, und nur Augen für erwachsene Damen, bei denen der schöne junge Marine-Lieutenant denn auch Glück genug machte!“

„Aber wie ward es, seit auch Sie eine erwachsene Dame geworden sind, Eva?“

„Nun, seit der Zeit habe ich längst verlernt, an ihn zu denken,“ sagte sie leichthin; „wir haben uns auch gar nicht wiedergesehen, denn als er – es war kurz vor dem Tode meines guten Vaters – wieder hier zum Besuch bei seiner Mutter war, befand ich mich, wie Sie wissen, bei der Freundin.“

„Und ist es wahr, daß er auch jetzt hier erwartet wird?“ fragte er hastig.

„Sein letzter Brief meldete seine bevorstehende Rückkehr von der Expedition nach den asiatischen Gewässern, welche er mitgemacht hat. Ich kann aber kaum sagen, daß ich mich auf seine Ankunft freue, denn was ich von ihm hörte, konnte mich nicht sehr für ihn einnehmen; seine Wildheit und sein Uebermuth sollen keine Grenzen gekannt haben – und mir ist, als wäre das Leben nur schön, wenn man es ruhig und im vollen Vertrauen auf einen sicheren, starken Schutz genießen kann.“

„Den sollen Sie bei mir finden, Eva!“ konnte er sich nicht enthalten, mit aller Wärme des Gefühls auszurufen, unterdrückte dann aber augenscheinlich andere Worte, die sich ihm noch auf die Lippe drängen wollten. Nur in seinen Augen mochte man lesen: „möchte ich Dich bald in diesem Schutz bergen können!“ Dann reichte er ihr zum Abschied die Hand und sagte:

„Ich widerrufe nicht, Eva, daß Sie ruhig prüfen und überlegen sollen; aber wenn Sie in sich zur Entscheidung gekommen sind, so zögern Sie nicht, dieselbe auszusprechen!“

Sie blickte ihn klar und freundlich an, wie sie denn ihre Ruhe längst wiedergefunden hatte. Eigentlich begriff sie kaum noch, weshalb sie jetzt das Wort der Entscheidung nicht aussprechen sollte, da sie ja innerlich bereits fest entschlossen war; aber er wollte es so, und da sie überhaupt gewöhnt war, sich seinem Rathe, seiner Meinung unterzuordnen, wollte sie sich auch nun seinem Willen fügen.

Sie sah ihm nach, als er über den Kiesweg dahinschritt, und freute sich über die stattliche Erscheinung, den männlich festen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_002.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)