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verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Doctor und ich uns ihrer nicht mit Rath und That angenommen hätten. Mich bekümmerte dabei auch, daß die Aussichten für ihr äußeres Schicksal sich so traurig gestalteten; denn wie ich Dir schon in meinem späteren Briefe schrieb, stellte sich nach meines Schwagers Tode heraus, daß er keineswegs so vermögend gewesen war, wie alle Welt – und ich kaum ausgenommen – ihn gehalten hatte. So blieb eigentlich der Ruhm, daß er ein pflichttreuer, gewissenhafter Beamter gewesen war – an den städtischen Cassen, die er verwaltete, fehlte, wie ich Dir schon damals schrieb, keines Hellers Werth – das einzige Erbtheil seiner Tochter. Von der ganzen Hinterlassenschaft wäre nichts für sie übrig gewesen, wenn Du nicht großmüthig ihr das ganze Vermögen von dreitausend Thalern, das Dein Onkel als Dein Vormund für Dich verwaltete, zugewiesen hättest.“

Der junge Mann hatte, während sie sprach, sein Gesicht abgewandt, kehrte sich jetzt aber plötzlich zu ihr um und sagte mit einer gewissen Rauhheit: „Laß das, Mama, davon darf kein Wort gesprochen werden! Für mich war das Opfer nicht groß, denn Du weißt, daß die Erbschaft des Vetters, die mir gerade um die Zeit so unerwartet zufiel, mich sechsfach so reich machte. Ueberdies hätte dem Rechte nach Eva zu gleichen Theilen von ihm erben müssen, denn er war ihr so nahe verwandt wie mir, und sein Testament also im Grunde eine Ungerechtigkeit. Es ist aber doch Alles nach meinem Willen gegangen, daß Eva nichts von der ihr gewordenen Schenkung erfahren hat?“

„Sie weiß nichts davon,“ sagte die Mutter, „und hält das kleine ihr gebliebene Vermögen einfach für das Erbtheil ihres Vaters. Der Vormund ging gern auf die Clausel ein, wenn sie ihm auch auffallend war, und eben so wenig fand das Gericht Grund, sie zu beanstanden, während es leicht war, die Sache vor Eva selbst geheim zu halten, da ihr ja jede Geschäftskunde, wie jeder Einblick in die Angelegenheiten ihres Vaters fehlt. So hat Niemand außer dem Doctor davon erfahren.“

„Der Doctor und immer wieder der Doctor!“ rief Adalbert ungeduldig und es schien fast, als wolle er noch eine weitere Bemerkung hinzufügen, die er aber unterdrückte, als Eva in diesem Moment wieder in’s Zimmer trat. Bei ihrem Anblick leuchtete in seinen Augen wieder etwas von der Rührung des ersten Wiedersehens auf und seine Stimme ward weich, als er mit ihr sprach.

Unwillkürlich dachte sie dabei an eine andere Stimme, deren weicher Ton sie heute auch so überrascht hatte, und das Bild des Freundes trat lebhaft vor ihre Seele. Sie verglich es mit der glänzenden Erscheinung des Vetters und fragte sich, weshalb der Eindruck, den ihr dieselbe machte, kein eigentlich wohlthuender war, wenn sie sich auch gestehen mußte, daß seine körperlichen Vorzüge das schlichte Aeußere des Doctors tief in den Schatten stellten. Selbst seine Augen, so schön sie waren und so theilnehmend sie auf ihr ruhten, beängstigten sie fast durch das Feuer, welches in ihnen glühte und das sie nahezu unheimlich fand. Auch seine Unterhaltung vermochte sie nur stellenweise anzuziehen. Wenn er von seinen Reisen erzählte, wenn er in interessanter Weise von fremden Ländern und Völkern, die er kennen gelernt hatte, sprach, wenn er mit großer Lebendigkeit die Schrecknisse jenes entsetzlichen Orcans schilderte, der seinem Schiffe fast den Untergang gebracht hatte, hörte sie mit beinahe athemloser Theilnahme zu, und ihr Blick hing dann wie gebannt an seinem Munde. Sobald er dann aber in seiner seltsamen Weise wieder absprang und eine jener Aeußerungen that, die auf einen tiefen Zwiespalt seines Innern schließen und fast glauben ließen, daß er sich mit Welt und Leben zerfallen fühle, fand sie sich förmlich abgestoßen und es überkam sie eine Art Schüchternheit, selbst Bangigkeit vor ihm. „Gottlob, daß Reinhard nicht ist wie Adalbert!“ klang es in ihrem Innern. „Wie fern ist sein ruhig klares Wesen dieser leidenschaftlichen, zerfahrenen Natur!“ Dann wieder fragte sie sich, wie die beiden Männer sich gegen einander verhalten würden, ob je auf Freundschaft und Harmonie zwischen ihnen zu hoffen sei, und weil ihr inniger Wunsch sich auf dies Ziel richtete, sah sie mit großer Spannung einer Begegnung Beider entgegen.

Schon der nächste Tag sollte dieselbe herbeiführen. Der Doctor hatte der Räthin, als seiner Patientin, den gewöhnlichen Morgenbesuch zu machen, und ohne etwas von der Anwesenheit ihres Sohnes zu wissen, trat er in’s Zimmer.

„Herr Doctor Reinhard – mein Sohn Adalbert!“ stellte die Räthin die beiden Herren einander vor und Eva, die beim Eintritt Reinhard’s unwillkürlich erröthet war, blickte erwartungsvoll von Einem zum Andern, fühlte sich aber betroffen durch die auffallende Kälte, welche Beide in die hergebrachte Begrüßung legten.

(Fortsetzung folgt.)



 An mein Vaterland.

Kein Baum gehörte mir von deinen Wäldern,
Mein war kein Halm auf deinen Roggenfeldern,
Und schutzlos hast du mich hinausgetrieben,
Weil ich in meiner Jugend nicht verstand,

5
Dich weniger, als wie mich selbst zu lieben,

Und dennoch lieb’ ich dich, mein Vaterland!

Wo ist ein Herz, in dem nicht dauernd bliebe
Der süße Traum der ersten Jugendliebe?
Und heiliger als Liebe war das Feuer,

10
Das einst für dich in meiner Brust gebrannt,

Nie war die Braut dem Bräutigam so theuer,
Wie du mir warst, geliebtes Vaterland!

Hat es auch Manna nicht auf dich geregnet,
Hat doch dein Himmel reichlich dich gesegnet;

15
Ich sah die Wunder südlicherer Zonen,

Seit ich zuletzt auf deinem Boden stand,
Doch schöner ist, als Palmen und Citronen,
Der Apfelbaum in meinem Vaterland.

Land meiner Väter, länger nicht das meine!

20
So heilig ist kein Boden wie der deine,

Nie wird dein Bild aus meiner Seele schwinden,
Und knüpfte mich an dich kein lebend Band,
Es würden mich die Todten an dich binden,
Die deine Erde deckt, mein Vaterland!

25
O, würden jene, die zu Hause blieben,

Wie deine Fortgewanderten dich lieben,
Bald würdest du zu Einem Reiche werden,
Und deine Kinder gingen Hand in Hand
Und machten dich zum größten Land auf Erden,

30
Wie du das beste bist, o Vaterland!


Sheboygan (Wisconsin).  Konrad Krez.


„Im Anfange des letzten Jahres“ (Nr. 8, 1868), schreibt uns der Dichter, der jetzt in Sheboygan im Staate Wisconsin lebt, „druckten Sie ein Gedicht von mir, ‚Entsagung und Trost‘, aus dem Freiligrath’schen Album in Ihrer Gartenlaube ab. Seitdem habe ich so viele Beweise von Anerkennung, die ich Ihrem Blatte verdanke, aus Europa, Amerika und sogar aus Australien erhalten, daß ich vielleicht nicht ohne Grund glaube, die Veröffentlichung des beiliegenden Gedichtes würde den Lesern der Gartenlaube nicht unangenehm sein. Es ist der Ausdruck des Gefühls eines alten Achtundvierzigers.“

Die Redaction. 


Um eines Vogels willen.
Von Brehm.

Daß ich die Schweiz wählte, um einige freigemachte Sommertage zu verleben, außerhalb des im August herzlich langweiligen Berlin, hatte seinen guten Grund. Ich glaubte, der Bergluft zu bedürfen, und Freund Girtanner hatte mich eingeladen, die Ausstellung lebender Vögel der Schweizeralpen zu besichtigen, welche er in Verbindung mit seinen Freunden Wild und Stölker veranstaltet, in der Absicht, naturwissenschaftliche Kenntniß in der Vaterstadt St. Gallen zu fördern. „Sie, der Sie alle Thiergärten Europas kennen,“ schrieb er mir, „werden nicht viel sehen, immerhin aber Manches, was Ihren Beifall finden dürfte. Meine Mauerläufer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1870, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_004.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2018)