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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 2. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Doctor Reinhard.
(Fortsetzung.)


„Ich erinnere mich, den Herrn Lieutenant von Wallberg bei seinem Onkel gesehen zu haben – am Tage vor seiner Erkrankung; Sie verließen ihn, als ich kam,“ entgegnete der Doctor.

Die Worte waren allerdings kühl gesprochen, mußten aber doch völlig unverfänglich erscheinen und rechtfertigten in Eva’s Augen durchaus nicht den herben Ausdruck – sie hätte ihn fast feindlich nennen mögen – den sie auf Adalbert’s Gesicht hervorriefen.

„Ich bewundere Ihr Gedächtniß, Herr Doctor,“ sagte er, „während ich mich anklagen muß, daß derartige Zufälligkeiten und Daten meiner Erinnerung leicht entschwinden!“

„Die Ursache liegt wohl in Ihrer besonderen Lebensweise – auf bewegten Meeren; während wir, die wir an der Scholle haften, zugleich an allen darauf bezüglichen Erinnerungen willkürlich oder unwillkürlich festhalten,“ sagte der Doctor ruhig und wandte sich nach einigen mehr gleichgültigen und der gewöhnlichen Höflichkeit geltenden Fragen und Antworten zu der Räthin, um dem Zwecke seines Besuchs, ärztlicher Visite, zu genügen. Nach einigen Minuten verabschiedete er sich dann, ohne daß auch Eva etwas Anderes als einen flüchtigen Gruß von ihm erhalten hätte. Nur eine Secunde lang ruhte sein Blick mit einem besonderen Ausdruck auf ihr, den sie im Herzen empfand gleich einer Mahnung, nicht zu wanken und nicht zu zögern mit ihrer Entscheidung.

„Ist mir irgend ein Mensch in der Welt unangenehm, so ist es dieser Doctor Reinhard!“ rief Adalbert heftig, als sich die Thür hinter dem Genannten geschlossen hatte.

Erstaunt und verletzt blickte Eva auf und kämpfte noch mit sich, ob sie nach dem Grunde dieser ihr unerklärlichen Aeußerung fragen dürfe, als ihr die Tante mit der unwilligen Entgegnung zuvorkam:

„Das ist eine seltsame Abneigung, Adalbert, die ich im höchsten Grade ungerecht finden muß, denn sicher gab er Dir durch sein Benehmen keine Veranlassung dazu. Du solltest bedenken –“

„Ach nein, Mama, laß mich nicht bedenken!“ fiel er halb lachend ein, „dazu tauge ich nicht. Das Bedenken verwirrt mir allemal Kopf und Herz ... ich kann einfach nur fühlen, sei ’s sympathisch, sei ’s antipathisch, und hernach muß ich etwas thun ... mag’s nun gut, mag’s schlimm sein! Ich wette, Cousine Eva stimmt mit mir überein,“ wandte er sich an diese, den Scherz, der aber etwas gezwungen klang, fortsetzend, „daß wir das Nachdenken, von dem junge Mädchen ohnehin selten Freunde sind, bei Seite lassen und uns nur darum bekümmern wollen, wie wir fühlen!“

Eva antwortete nur mit einigen ausweichenden Worten, denn Adalbert’s Wesen war ihr wieder einmal unverständlich und außerdem zürnte sie ihm. Er bemerkte ihre Verstimmung sofort, wenn er auch nicht die eigentliche Ursache errieth, und änderte auf der Stelle den Ton wie die ganze Unterhaltung, indem er sich auf’s Neue von seiner liebenswürdigsten Seite zeigte und namentlich unerschöpflich in Aufmerksamkeiten gegen das junge Mädchen war, so daß Eva allmählich ihren Groll fahren ließ und jene gegen den Freund gerichtete Aeußerung zu vergessen oder sich doch mindestens einzureden suchte, daß sie nur in einer vorübergehenden Laune von Adalbert gethan sei. Auch hatte sie in den nächsten Tagen keine Veranlassung, ähnliche Kundgebungen einer solchen wahrzunehmen, denn wenn der Doctor auch noch einige Male in’s Haus kam, so war Adalbert – ob nun zufällig oder nicht – entweder gar nicht anwesend, oder es blieb bei einer flüchtigen Begegnung.

Adalbert’s eigentliches Wesen, den Grund seiner verschiedenen Stimmungen, vermochte sie nicht zu erkennen, so viel sie sich auch innerlich damit beschäftigte, und seltsam genug war es, daß sie sich immer und immer wieder die Frage vorlegen mußte, woher die leidenschaftlichen Wallungen seines Gemüths stammen möchten. Sie hätte kein Mädchen sein müssen, wenn sie dabei nicht auch an eine Regung seines Herzens gedacht hätte, und unwillkürlich brachte sie dieselbe mit Emilie Waldow, der er, wie sie wußte, vor einem Jahre so eifrig gehuldigt hatte, in Verbindung.

Es fügte sich, daß sie in den nächsten Tagen Zeuge des ersten Wiedersehens der Beiden war, da sie mit Adalbert und seiner Mutter zu einer kleinen Abendgesellschaft in einer befreundeten Familie geladen war, wo sie auch die erwähnte junge Dame trafen. – Mit gespannter Aufmerksamkeit achtete sie darauf, wie Adalbert derselben begegnen würde – und bis in die Seele that es dem schönen Mädchen weh, als sie die geflissentliche Nichtachtung bemerkte, mit der er Emilien aus dem Wege ging, die er jetzt kaum noch zu kennen schien, während diese selbst ersichtlich nur mit Mühe ihre Fassung über sein Benehmen zu behaupten vermochte. Sie selbst kannte nun schon den finsteren Zug zwischen seinen Augenbrauen, der auch heute darauf gelagert blieb, obgleich er sich zwischendurch einer ausgelassenen, fast wilden Fröhlichkeit hingab, und wieder mußte sie sich im Stillen fragen: ‚was mag es sein, das diese sein ganzes Wesen vernichtende Bitterkeit in sein Herz gelegt, so ertödtend auch auf seine Liebe gewirkt hat?‘

Das Grübeln über Adalbert’s Seelenzustand wirkte verwirrend und beklemmend auf ihren eigenen zurück, und in manchen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_017.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)