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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Stunden sehnte sie sich nach einer Unterredung mit dem Freunde, denn sie sagte sich, daß er sie von der seltsamen Unruhe, die sie mehr und mehr peinigte, befreien würde. Sie hätte dann viel darum gegeben, wenn sie auf der Stelle das bindende Ja hätte aussprechen können, welches sie völlig mit ihm verband, und zürnte ihm fast, daß er sie nicht um dasselbe drängte. Und in anderen Momenten, wenn sie seine ernsten Augen wie mit einer stummen Mahnung und Frage auf sich gerichtet glaubte, konnte es sie innerlich unwillig machen, daß er ihr nicht vollkommene Freiheit zu ihrer Entscheidung ließ, während sie selbst sich wiederum Vorwürfe darüber machte, daß sie ihm dieselbe immer noch vorenthielt, da sie doch ja längst getroffen war; – und entschlossen griff sie endlich zur Feder, um ihm in wenigen Worten zu sagen, daß sie seine Hand annähme und Gott bäte, den Schritt für ihn wie für sich selbst zu einem gesegneten werden zu lassen. Es war ihr auch, als empfände sie schon in diesem Augenblick etwas von dem erwarteten Glück, wenigstens fühlte sie sich freier und ruhiger, als der Brief abgeschickt war.

Der Doctor sei nicht daheim gewesen, lautete der Bescheid der zurückkehrenden Dienerin, doch würde er in wenigen Stunden wieder in seiner Wohnung sein, und der Brief ihm dann übergeben werden. – Eva malte sich den Moment aus, wo er ihn empfangen und lesen würde, sie berechnete die Zeit, wann er bei ihr sein könne, um sie als seine Verlobte zu begrüßen, und fühlte sich glücklich in dem Gedanken an den treuen, sicheren Schutz, dem sie sich übergeben hatte.

Während sie noch diesen Vorstellungen hingegeben war, öffnete sich plötzlich die Thür und Adalbert trat zu ihr in’s Zimmer. Sein Gesicht zeugte von mehr als gewöhnlicher Aufregung, und in seinen dunklen Augen leuchtete ein seltsames Feuer.

„Sind Sie allein, Cousine Eva?“ fragte er.

„Allein mit meinen Gedanken!“ versetzte sie mit dem Versuch, ihn unbefangen anzublicken, obgleich sie innerlich unruhig ward vor seinen Blicken.

„Und ich – ich möchte diese Gedanken kennen lernen, Eva!“ sagte er, indem er vor sie hintrat und sie forschend anblickte, „möchte wissen – – Eva, bin ich verwegen, wenn ich Sie frage: habe ich einen Theil an Ihren Gedanken?“

Die Worte, mehr noch sein Ton, verletzten sie und trieben ihr zugleich das Blut in die Wangen.

„Ich glaube nicht, Ihnen Rechenschaft schuldig zu sein von dem, was in meinem Herzen vorgeht, Adalbert!“

„O, ich wußte wohl, daß es sich doch um Ihr Herz handelte, Eva,“ rief er erregt aus, „denn bei den Frauen sind Gedanken immer nur Gefühle, und auch nur darum wagte ich jene Frage und wage sie jetzt wieder, denn ich muß wissen, Eva, ob ich hoffen darf, daß Ihr Herz dem meinen antwortet!“

„Adalbert!“ rief sie und starrte ihn fast entsetzt an.

Er faßte ihre beiden Hände und rief in leidenschaftlichem Tone: „Es ist nicht anders, Eva! Das Wort sucht mit Gewalt seinen Weg über die Lippe; sagen Sie mir, daß Sie mein sind, mein werden wollen!“

Sie strich sich mit der Hand über die Stirn, als suche sie einen Traum zu verscheuchen, und blickte ihn bang und verwirrt an.

„Reden Sie, Eva, reden Sie!“ drängte er. „Ich ertrage die Ungeduld nicht länger!“

„Adalbert – der Doctor Reinhard hat mein Wort – ich nenne mich seine Verlobte!“ sagte sie endlich mit zitternder Stimme.

Mit einem wilden Schrei fuhr er auf und preßte die geballten Hände vor die Stirn. „Reinhard? Es ist nicht möglich, nicht möglich, Eva, sage ich Ihnen! Gestehen Sie mir, daß Sie mich täuschen, daß Sie Ihr Spiel mit mir treiben, um mich zu strafen, zu peinigen! Er darf, er soll Sie nicht besitzen, er nicht, Eva!“

„Um Gotteswillen, was geht mit Ihnen vor, Adalbert?“ fragte sie tief erschrocken.

Er war in wilder Heftigkeit die Stube einigemale auf- und abgerannt; jetzt blieb er plötzlich vor ihr stehen, sah ihr durchdringend in’s Gesicht und sagte: „Eva, lieben Sie den Doctor Reinhard? Antworten Sie mir wahr und wahrhaftig, als hänge das Glück, die Ruhe eines Menschenlebens von Ihren Worten ab!“

„Er ist der beste, der edelste der Menschen, Adalbert!“

Er stampfte mit dem Fuße: „Ich will das nicht hören, nur ob Sie ihn lieben, Eva!“

Sie blickte in fast stehender Angst zu ihm auf. „Hätte ich ihm sonst meine Hand geschenkt, Adalbert?“

„O, die Hand kann man auch ohne Liebe verschenken!“ sagte er mit einem kurzen, bittern Auflachen, fuhr dann aber gleich in seinem früheren dringenden Ton fort: „Mir sagt’s das Herz, Eva, daß Sie diesen Mann nicht lieben, daß Sie ihn achten, ehren – was weiß ich! – aber nicht lieben, und daß Sie lieben müssen, um glücklich zu sein! Nein, sagen, betheuern Sie jetzt nichts: Sie kennen Ihr eignes Herz nicht, Eva! Gehört jeder Athemzug, jeder Schlag Ihres Herzens dem Manne, welchem Sie sich zu eigen geben wollen – haben Sie noch irgend eine Vorstellung von Glück, von Seligkeit, die nicht mit ihm zusammenhängt, vermögen Sie sich ein Leben auch nur zu denken, das er Ihnen nicht verschafft? Antworten Sie mir auf alles das, wenn Sie wollen, daß ich an Ihre Liebe glauben soll!“

„O Adalbert, was fragen Sie mich, was machen Sie aus mir?“ rief sie, in Thränen ausbrechend.

„Sie können nicht antworten, weil Sie sich selbst getäuscht, betrogen haben,“ sagte er mit einer Art Frohlocken, „weil Sie Reinhard nicht lieben! Und hier zu Ihren Füßen flehe ich zu Ihnen: werden Sie mein – mein Weib, Eva! Ich fordere mein Leben, meine Seligkeit von Ihnen, und schwöre Ihnen, daß ich untergehen muß, wenn Sie mich von sich weisen!“

„Ich kann nicht, o mein Gott – ich kann nicht!“ sagte sie händeringend.

„Sie können es, Eva, wenn Sie es wollen! Um Gottes Barmherzigkeit willen, üben auch Sie Barmherzigkeit! Meine Seele ist in einem Bann, aus dem nur Sie mich erlösen können, und Ihre Liebe gilt mir als eine Vergebung meiner Sünden. Werden Sie meine Erlöserin, mein Schutzgeist, Eva!“

„Sie fordern das Unmögliche von mir, Adalbert, was seit einer Stunde zu einer Unmöglichkeit geworden ist! Diesen Morgen sandte ich Reinhard meine schriftliche Einwilligung.“

Wieder entrang sich ein kurzer, wilder Schrei seiner Brust, aber er faßte sich gewaltsam und fragte hastig: „Und er? warum ist er nicht hier, nicht bei Ihnen?“

Sie gab ihm in kurzen Worten Aufklärung, und als er sie vernahm, überflog ein hellerer Schein seine düsteren Züge.

„Wenn Sie ihm Ihre Botschaft noch nicht gesandt, ihm Ihr Wort nicht gegeben hätten – welche Antwort würden Sie dann für mich haben? Ich kann, ich muß verlangen, daß Sie mir das sagen!“

„Dann, Adalbert – –“ die Erschütterung überwältigte sie – sie stockte.

„Dann Eva, dann? –“ drängte er.

„Martern Sie mich nicht, Adalbert – ich kann, ich darf Ihnen darauf nicht antworten!“ sagte sie und brach in Thränen aus.

„Eva, Du bist – Du wirst mein, mögen die Dinge kommen und gehen, wie sie wollen!“ jubelte er aus, riß sie mit leidenschaftlicher Heftigkeit an sich, um sie eben so schnell wieder aus seinen Armen zu lassen, und war in der nächsten Secunde verschwunden.

Der Doctor Reinhard war heute früher als gewöhnlich mit seinen ärztlichen Visiten fertig geworden und in seine Wohnung zurückgekehrt, wo er auf seinem Schreibtisch unter anderen eingelaufenen Briefen Eva’s Schreiben vorfand, das sich ihm sofort durch seine zierlichen Züge verrieth. Er erbrach es hastig und ein heller Freudenschein breitete sich beim Lesen über seine ernsten Züge. „Gottlob,“ murmelte er, „Gottlob, daß meine Sorge keinen Grund hatte! Armes, kleines Herz – welches Vertrauen sie in mich setzt! Helfe mir Gott, daß sie sich nimmer getäuscht fühle! Gelte es das Opfer meines Herzbluts: ich will sie glücklich sehen!“

Er stützte den Kopf auf die Hand und blickte sinnend vor sich hin, während sein Gesicht einen immer heiterern Ausdruck gewann, denn vor ihm stiegen die Bilder einer freundlichen Zukunft auf und nahmen ihn so gefangen, daß er eine Weile fast die Gegenwart darüber vergaß. Endlich aber sprang er auf und rief „Thor, der ich bin, daß ich über dem Träumen von Glück das wirkliche Glück zu ergreifen zögere! zu ihr!“ Schnell griff er nach seinem Hut und war im Begriff, das Zimmer zu verlassen, als sich noch ein Besucher meldete und auf Reinhard’s „Herein!“ Adalbert über die Schwelle trat.

Mit einem raschen Blick überflog dieser die Gestalt des Doctors, und als er den freudig-glücklichen Ausdruck seiner Züge wahrnahm, den selbst die etwas unangenehme Ueberraschung über den Eintritt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_018.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)