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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


geschlossen gewesen waren, in lebendigem Zorne auf mich gerichtet, da ermannte ich mich – eine Bewegung der Hand, die Betäubung war gewichen, ich eilte den Gang zurück, den wir herabgekommen waren, und warf keinen Blick zurück, bis ich draußen stand auf den Fliesen der Halle.

Als ich zu der Gesellschaft zurückkehrte, fand ich sie noch drüben im entgegengesetzten Gange. Mechanisch schritt ich den Uebrigen nach; die Namen der Todten, an welchen wir vorbeikamen, verhallten mir ungehört; daß sie keinen historisch wichtigen Persönlichkeiten angehörten, erfuhr ich später. Nur zwei Mal erwachte ich aus meinen Träumereien; vor dem kostbaren Sarge Margaretha’s von Spanien, der ersten Gemahlin Leopold des Ersten, der aus sechszehn Centnern reinen Silbers gearbeitet ist, und vor dem der Gemahlin des Kaisers Matthias, der ältesten Leiche, die seit dem Jahre 1618 hier ruht.

Und nun heraus aus den Räumen der Finsterniß und hinüber in die hellen und freundlicheren, würdig des Jahrhunderts, dessen Todte sie umschließen! Eine Reihe freistehender Pfeiler scheidet diese Hälfte der Gruft in zwei Theile, und die Bogenwölbungen der Decke wiederum bilden mit ihnen mehrere einzelne Grabkammern. Die erste, in die wir treten, enthält eine große Anzahl von Särgen, die im Kreise um einen gewaltigen Doppelsarkophag stehen. Auf dem letzteren blinken die Embleme der Herrschaft, Kronen und Hermelin. Faltige Purpurmäntel wallen von beiden Seiten herab und beschatten die figurenreichen Reliefs, welche die Wände des Monumentes schmücken. Hier schläft Maria Theresia und ihr Gemahl Franz der Erste in einem Grabe. Die sie umringen, sind ihre Kinder und nächsten Verwandten. Dort liegt Herzog Albert von Sachsen-Teschen, neben ihm seine Gemahlin Christine, die Lieblingstochter der Kaiserin. Beiden war ich schon in der Augustinerkirche begegnet, wo sich das Grabmal der Herzogin, ein Meisterwerk Canova’s, befindet. Die weiße Marmorpyramide mit dem Zuge klagender Gestalten, der auf sie zuschreitet, mit dem Genius, der sich trauernd auf einen düsterblickenden Löwen stützt, und der Inschrift über dem Eingange: uxori optimae Albertus, redet draußen zu der Welt – mächtiger aber zu dem fühlenden Herzen der stille Familienkreis selbst, in dessen Mitte wir hier stehen.

Wer aber ist der fürstliche Schläfer, der dieses bescheidene Haus sich erwählt hat? Eine viereckige Kammer aus dem schlechtesten Metall, aus trübem glanzlosem Blei, kein Schnörkel daran und kein Zierrath – wie dürftig erscheint sie unter den prunkenden Gemächern umher! Ihr einziger Schmuck ist ein Name – der Name Joseph der Zweite! Wer die Segnungen begriffen hat, die eine neue Zeit der Menschheit gebracht, den wird es wie Andacht umwehen an dieser Stätte! Wer noch Glauben hat an das Herz und an Leiden der Fürsten, der wird die Hände falten vor diesem Sarge! Joseph’s Denkmal in stolzer Imperatorentracht steht draußen auf dem Burgplatz, aber beredter als selbst die Worte der Inschrift: saluti suorum non diu vixit, sed totus – ist dieses schlichte Grab, das der mächtige Fürst sich erwählte im Bewußtsein der Richtigkeit seines Wirkens und Wollens und das er demuthsvoll hinstellen hieß zu den Füßen seiner Eltern.

Die folgende Zelle umschließt die Familie Kaiser Franz des Zweiten. Unter allen Habsburgern war mir kaum einer so widerwärtig, als dieser. Ueberall in den Straßen Wiens macht sich sein Name breit, auf Thoren, Monumenten, Schulen und Casernen. Sein langweiliges und hochmüthiges Gesicht hatte mich erst gestern geärgert, wo ich das prachtvollste goldene Gemach des Bellevuepalastes ausschließlich seinem Bilde reservirt fand, das überdies von himmlischen Genien – wenn nicht gar von den Musen gekrönt wurde. Auch hier in der Gruft mußte er etwas voraus haben; sein prunkender Sarkophag aus braunem Marmor dort auf dem Postamente mit dem unvermeidlichen „Franciscus imperator“ erschien wie das letzte Zeugniß eines nimmer endenden Stolzes.

Am Boden, in drei Ecken des Gewölbes, stehen die Särge seiner vor ihm gestorbenen Frauen; die vierte ist für die noch lebende Kaiserin Karolina Augusta bestimmt. Zu seiner Linken aber ruhen noch Zwei, die ihn angehen: seine Tochter Marie Louise und der Sohn seines Feindes, sein Enkel – der König von Rom. Draußen „im Garten von Schönbronnen“ hatte ich ihn gesucht, von Saphir’s Ballade verleitet – aber Niemand wußte mir dort von ihm zu sagen; nun fand ich ihn hier, zu äußerst an die Mauer gesetzt, wie es dem heimathlosen Fremdling geziemt.

Die zweite Reihe der Gemächer umschließt die Leichen des Kaiser Leopold des Zweiten und der Seinen, dann die in den letzten Jahrzehnten verstorbenen Glieder des Herrscherhauses und am äußersten Ende fünf Särge der Familie Toscana. Mitten unter Jenen ruht auch die Jüngste der Todten, die arme Mathilde. Vorhin erst war ich unter dem Fenster vorübergegangen, aus dem sie sich herausgebeugt, als die Flamme ihr Kleid erfaßte, und ich kannte das Gemach draußen in Hietzing, aus dem ihr grausiges Schmerzensgeschrei Tage und Nächte hindurch erklungen war, daß die Umstehenden kaum vermocht hatten, es zu ertragen. Nun war es so still da unter dem Deckel – verblichene Kränze und Guirlanden umfingen ihn noch, die letzten Gaben der Liebe. Ihr Vater hat der Stadt Wien jetzt für die Erlaubniß, seine beiden Paläste durch einen bedeckten Gang verbinden zu dürfen, vier Marmorgruppen geschenkt, zu denen die Blöcke allein vierzigtausend Gulden kosten. Was würde er wohl geben für die Todte hier unten in der Capuzinergruft?

Und nun – einsam steht dort der letzte Sarg in der letzten Zelle zur Rechten. Wer ist der Ausgestoßene, bei dem Niemand liegen gewollt hat, auch im Tode nicht? Sanftes Licht fließt über den zinnernen Schrein und die Kette verwelkter Blumen, die ihn umschlingt. Zwei silberne Kränze liegen oben auf, ein großer reichblätteriger zu Häupten – ein kleiner halbgeschlossener zu Füßen. Breite Seidenbänder, rothe und weiße, schmiegen sich unter der Guirlande hervor und flattern empor, da wir näher treten. Auf dem einen steht: „Erinnerung“, auf dem andern: „Maximilian Ferdinand Max, Erzherzog von Oesterreich, Kaiser von Mexico“ – der Erschossene von Queretaro!! Giebt es einen Sarg in einer Fürstengruft, der gewaltig redete gleich diesem? Den einzigen vielleicht drüben in Westminster, wo das Haupt eines Königs neben seinem Leichnam liegt. Beide gerichtet von ihren Völkern, beide Tyrannen genannt, und um der Tyrannei willen gefallen. Aber der Schuldigere war dieser hier gewiß nicht; mag man ihn kurzsichtig und verblendet schelten – sein Herz hat noch Niemand anzuklagen gewagt. Wie die Kränze blinken in trübem Schrein, als quöllen Thränen unter den silbernen Blättern hervor! Den hier unten haben die Damen von Mexico, jenen zu Häupten hat seine Gemahlin für seine Gruft geschickt – einstweilen, bis sie selbst zu ihm niedersteigt, wenn die Nacht des Wahnsinns einer friedlichen ewigen Nacht gewichen ist, und dann wird er nicht mehr einsam sein, hier wo Jeder unter den Geliebten seines Herzens ruht!

Wir schreiten rückwärts durch die stillen Gemächer. Freundlich erschienen sie mir zuvor, aber die Schauer des Todes durchwehen doch auch sie. Moder und Verwesung ist hier – was Licht und Leben heißt, quillt nur draußen, nur von oben herab, vom strahlenden Himmel!

Dr. Weck.




Aus deutschen Lustschlössern.
1. Auf dem Winterkasten.

Unsere weiland Hunderte von Landesvätern haben in löblicher Eintracht dafür Sorge getragen, daß das liebe deutsche Reich von Nord nach Süd und von Ost nach West mit kaiserlichen und königlichen, mit kurfürstlichen und pfalzgräflichen, mit herzoglichen und prinzlichen, mit bischöflichen und äbtlichen Residenzen und Lustschlössern jedweder Art und Gestalt geschmückt und beglückt werde, und gar viele dieser größeren und kleineren allerhöchsten und höchsten Tuscula, dieser Steine und Burgen, dieser Ruhen und Haine, dieser Fantaisies und Belvederes, dieser Solituden und Eremitagen, dieser Monrepos und Monplaisirs sind in der That bewunderns- und neidenswerthe Flecken Erde, Architektur- und Landschaftsbijoux, keines derselben aber reicht durch die vollendete Vereinigung von Natur und Kunst in Ensemble und Totalwirkung an den weltbekannten Sommersitz heran, welchen sich die reichen Landgrafen und Kurfürsten von Hessen eine Stunde von ihrer Hauptstadt Kassel geschaffen haben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_039.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)