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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

einer an curieusen Gedanken und Menschen merkwürdig reichen Zeit, und Landgraf Karl hatte jedenfalls erreicht, was er erstrebt: kein Potentat konnte etwas Aehnliches aufweisen, wie das Octogon des Karlsberges mit seinem Erzkolosse noch heute ohne Gleichen da steht. Aber er hatte auch etwas gezeigt, was damals, wo man die prunkvollsten Schlösser in die langweiligsten Sandebenen oder die ödesten Moorflächen zu bauen liebte, nicht eben häufig war: ein Auge für wahre landschaftliche Schönheit. Wer sich durch die grabeskalten dunkeln Tuffsteingewölbe der unteren Stockwerke bis zu der um den ganzen Bau laufenden Platform emporgearbeitet hat, was freilich ein gut Theil Anstrengung kostet, dem liegt eine Welt vor dem Blicke, wie sie der Versucher dem frommen Zimmermannssohne vom Gipfel des Oelbergs nicht schöner enthüllt haben kann. Bis zum düstern Brocken hinüber im Norden und gen Morgen bis zum waldgrünen Inselsberge schweift das wonnetrunkene Auge, und dazwischen sieht es ein unendliches Meer ausgegossen von Städten, Dörfern, Weilern, Burgen, Flüssen, Büschen, Forsten und Bergen, einen solchen Reichthum von Landschaftspracht, daß man Stunde um Stunde mit immer gleichem Entzücken vor dem Panorama weilt.

Die Natur aber, wie er sie fand, genügte dem Landgrafen nicht. In jenen Tagen ging ein merkwürdiger Zug und Drang nach dem Wasser. Wasser mußte rauschen und plätschern, rinnen, springen, stürzen, wo immer sich ein großer Herr seinen Sommersitz herrichtete. Marly, Versailles, Hollabrunn bei Salzburg, Herrenhausen bei Hannover, alle diese berühmten Wasserwerke und Wasserspielereien mit ihren mythologischen Ungethümen und Grotten sind um die Scheide des siebenzehnten und achtzehnten Jahrhunderts entstanden. Natürlich konnte auch der Weiße Stein seiner Wasserkünste nicht entrathen, und reicher, umfänglicher, imposanter sollten sie werden, als Alles was die Welt bis jetzt dergleichen kannte, vollkommene Zauberconstructionen. Da sann nun der baulustige Fürst, der gern Alles selbst und allein machen wollte, der in den verschiedensten mechanischen und technischen Hantirungen mit Geschick dilettirte, und entwarf den Plan zu den großen Cascaden und zu der gewaltigen Fontaine, die uns noch heute zu Staunen und Bewunderung fortreißen. Mit seinem italienischen Baumeister grub er unweit vom Gipfel seines Karlsberges sein „Riesenbecken“ aus, in welchem sich die Wasser sammeln. Mitten darin liegt unter einem massigen Felsblocke der Riese Eukeladus und schleudert aus seinem Gigantenmunde einen fast sechszig Fuß hohen Wasserstrahl in die Luft, während zu beiden Seiten des Bassins reiche Cascaden in dreifachen Absätzen tausend Fuß tief in die vom Meergotte Neptun mit dem Dreizack behütete Grotte hinabstürzen.

Im Jahre 1714 spielten die Wasser vom Weißen Steine, welche Karl’s Namen verewigt haben, zum ersten Male. Der ganze glänzende Hof, mit dem sich der Landgraf nach Versailler Muster umgeben hatte, war entboten, dem Schauspiele beizuwohnen. In vergoldeter kleiner Barke, welche acht venetianische Gondoliere lenkten, schiffte der Fürst, ein noch sehr stattlicher Herr von achtundfünfzig Jahren, durch das in Quadern ausgehauene Becken bis in die Neptunsgrotte hinein, um hier, vor der fallenden Fluth geschirmt, dem bestrickenden Spiele des beweglichen Elementes zuzusehen und durch den in den Irisfarben schimmernden Tropfenschleier die draußen in Gruppen vertheilte Versammlung der vornehmen Schäfer und Schäferinnen, Götter und Göttinnen zu mustern. Hinter Boskets versteckt war die Hofcapelle postirt, deren Mitglieder zumeist aus Italienern bestanden, und während Welle auf Welle in die Tiefe hinabrauschte, mischten sich die Fanfaren und Rondos der wälschen Musiker in das melodische Geplätscher. Plötzlich schallt’s von der Höhe hinab wie die Posaune des Weltgerichts; die Capelle schweigt und Alles lauscht erschrocken den wundersamen durchdringenden Tönen; nur der Landgraf und seine Vertrauten kannten das Räthsel dieser Klänge. Oben am Riesenbassin ist ein Centaur mit einem Faune aufgerichtet, die auf gewaltigen Kupferhörnern blasen. Indem nämlich, vom einströmenden Wasser gedrückt, die Luft aus diesen Hörnern entweicht, erzeugen sich Töne, welche gleich dem Schmettern einer Tuba Mark und Bein erschüttern.

So ging das Fest in stetem Wechsel bis zum Abend fort, dann flammten ringsum in Busch und Wald Hunderte von bunten Lampen auf und streuten magische Lichter und Tinten auf Teiche und Cascaden. Endlich erschienen Karl’s gigantische Heiducken oder Hofhusaren, sämmtlich Kinder der ungarischen Pußten, die er sich um theueres Geld zusammengeworben hatte, und unter dem Scheine ihrer Wachsfackeln und Lichtersträuße stieg, den Landgrafen an der Spitze, die Gesellschaft mit ihren hochstelzigen Stöckelschuhen die achthunderundzweiundvierzig Stufen zum oberen Bassin hinauf. Neue Wunder! Das Becken glühte wie eine Fluth geschmolzenen Erzes, und ein Purpurstrahl stieg aus Eukeladus’ Munde in die feuerhelle Luft empor. Aus der hintern Grotte aber tauchte aus einem Muschelkahne ein Trupp lieblicher Nixen auf und tänzelte zu dem Landgrafen heran, welchem auf einem mit Teppichen behangenen Steinwürfel der Sitz bereitet war, ihn mit grünem Geschlinge und Wasserrosen zu umwinden, während die sogenannten Ortolansänger, als Waldnymphen costümirt, mit einer getragenen weichen Arie von Alessandro Scarlatti das Echo der Haine weckten.

Mit seinem getreuen Factotum und Liebling, dem Geheimen Secretär Ries, der allein das Ohr seines durchlauchtigen Herrn und weit größern Einfluß besaß, als alle Minister, Generale und Höflinge zusammen genommen, hatte der Landgraf den Plan des Festes bis in das kleinste Detail selbst entworfen, wie die Wunderschöpfung überhaupt als sein „eigenstes Werk“ gelten darf, er hatte sogar höchstselbst unterschiedliche Proben des Schauspiels abgehalten, mit welchem er jetzt seine Gäste überraschte, dennoch fühlte auch er sich zur Begeisterung fortgerissen, wie er nunmehr seine Ideen verwirklicht vor sich hatte. In huldvollster Laune, wie es sonst nicht immer die Art des hochfahrenden und hitzigen Herrn war, der auch mit seinen höchsten „Dienern“ nicht viel Federlesens zu machen pflegte, ging er von einem Cavalier zum andern, von Dame zu Dame und lächelte wohlgefällig über die ungeheuchelte Bewunderung, welche sich in Aller Blicken und Aller Worten kundgab, bis ihn eine jener reizenden Nixen ausschließlich zu fesseln schien. Ein ganz junges Mädchen, eine noch kaum erblühte Knospe, war sie doch eine Erscheinung, die unwillkürllch zum gebietenden Mittelpunkt des Kreises wurde, in welchem sie sich zeigte. In ihren großen, tiefblauen Augen brannte ein Feuer, das zugleich mächtige Leidenschaft und ungewöhnliche geistige Begabung und Energie verrieth.

Von Stunde an hat der Landgraf seine Nixe – ein Fräulein von Bernhold – nicht wieder aus dem Blick verloren, und diese im Verein mit ihren speculirenden Angehörigen das Interesse festzuhalten und auszunützen verstanden, welches sie dem Fürsten eingeflößt hatte. Jahre darauf hat sie Karl zu seiner erklärten Favoritin erhoben, und nachdem er selbst alt und fast stumpfsinnig geworden, ist sie es gewesen, welche Hof und Staat regiert hat, die erste jener galanten Damen, die fortan und bis auf die jüngsten Tage, bis zur gewaltsamen Entsetzung der Dynastie, am Kasseler Hofe und im Lande der Katten so allmächtige und meist so unselige Herrscherinnen gewesen sind, Landverderberinnen, wie jene berüchtigte Gräfin von Urach, unter deren Schandwirthschaft das Herzogthum Württemberg schmachtete.

Aehnliche Feste wie das hier geschilderte sind sich bei den Wassern des Weißen Steines in endloser Reihe gefolgt, mit all’ dem Pompe, welchen Karl zu entfalten liebte; die Königin von allen war „die schöne Bernhold“, wie sie die Cousine des Landgrafen, die Herzogin von Orleans, nennt. Karl war glücklich: die Wasserkünste auf dem Winterkasten waren das Wunder Europas geworden. Fürsten und Cavaliere aus Deutschland und aus der Fremde, gelehrte Touristen aus Frankreich und England kamen nach Kassel, die Herrlichkeit zu beschauen und dem Urheber derselben in Prosa und Poesie Weihrauch anzuzünden. Was fragten die staunenden Fremden danach, wo die fabelhaften Summen herkamen, welche des Landgrafen Wasserkünste und Feste verschlangen; fragte doch dieser selbst nicht, wo er das Geld fand, das er zu seinen Bauten und Anlagen, zu seinem Hof- und Militärgepränge brauchte. Um so besser wußte das arme Volk, was ihm sein prachtliebender Landesvater kostete: es hatte Trank- und Acciseabgaben, hatte den Licent, hatte Stempel-, Rangclassen-, Perrücken- und viele andere Steuern zu entrichten, die von Jahr zu Jahre stiegen – mehr noch, es hatte den Glanz mit seinem Blute zu bezahlen. Landgraf Karl ist es gewesen, welcher jenen schmachvollen Menschenhandel ersann, der zur „berechtigten Eigenthümlichkeit“ des Hessen-Kassel’schen Hauses werden sollte, um dieses für alle Zeiten zu richten und zu brandmarken. Den Venetianern verkaufte er ein Regiment Infanterie zum Türkenkriege auf der Halbinsel Morea, im spanischen Erbfolgekriege lieferte er England und Holland Tausende tapferer Hessen zum Kanonenfutter auf den Schlachtfeldern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_041.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)