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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

wurde dann im Januar 1824 mit fünfzehn Gefährten (von diesen freilich neun in contumaciam) zum Tode verurtheilt, dieses Urtheil jedoch ebenfalls für mehrere der Angeklagten in theils lebenslänglichen, theils vieljährigen Kerker „im Wege der Gnade“ umgewandelt – für Pallavicino und Castiglia in zwanzigjährigen – diese sämmtlichen Strafen auf dem Spielberge zu bestehen, bei dessen Nennung schon die Verurtheilten Entsetzen durchrieselte. „Ehrbare Männer in vollster Lebenskraft so zum Grabe verdammt!“ ruft Pallavicino in seinen „Erinnerungen“ aus jener Zeit aus. Zwanzig Jahre alt – und nun zwanzig Jahre Kerker vor sich!

In Eisen geschlossen wurden die Verurtheilten nach der Veste Spielberg bei Brünn in Mähren abgeführt, die sich ihnen im Februar 1824 öffnete (Pellico saß dort bereits seit zwei Jahren); – der Spielberg: „keine Herberge für die Lebendigen, sondern ein Grab – aber ein Grab ohne die Ruhe des Todes!“ wie Pallavicino mit ergreifender Tragik diesen Aufenthalt kennzeichnet. Als ich im September 1856 den Spielberg besuchte – auf dem auch der bekannte Abenteurer und Pandurenoberst Trenck sein wildes Leben beschloß, und der heute nur noch Strafanstalt für gemeine Verbrecher ist – da dachte ich nicht, daß ich noch einmal im Hause eines jener Männer, die er zu politischen Märtyrern gemacht, eingeführt werden sollte!

Pallavicino war nach zehnjährigem einsamen Kerkerleben körperlich und geistig gebrochen. Sein ganzes Nervensystem war allgemach in einen Zustand gänzlicher Zerrüttung gekommen. Der Mangel an Büchern und geistiger Beschäftigung, die tiefe Sehusucht nach seinem unglücklichen Vaterlande und seiner fernen Mutter warfen ihn in einen solchen Grad von Tiefsinn, daß er nahezu daran war, wahnsinnig zu werden, und der Oberarzt der Provinz, nachdem er ihn einer genauen Untersuchung unterzogen, darüber nach Wien berichtete und die Gestattung irgendwelcher geistigen Beschäftigung, sowie Versetzung in ein milderes Klima für ihn nachsuchte, woraufhin ihm die Lectüre von Tasso und Klopstock gestattet, wegen einer Translocation vorerst aber Nichts verfügt wurde. In der deutschen Sprache suchte sich unser Gefangener während seiner Kerkerzeit mehr und mehr zu vervollkommnen, und daß er auch unsere großen Dichter gelesen, beweisen mannigfache Citate aus Goethe und namentlich Schiller, mit denen er, zuweilen im Originaltext, seine politischen Schriften durchflocht. Erst nach Verlauf eines weiteren Jahres wurde Pallavicino eine Versetzung nach der kleinen Festung Gradisca am Isonzo angekündigt. Das betreffende Gesuch war in Wien zu den Acten genommen und dort vergessen worden, bis sich Kaiser Franz der Erste eines Tages desselben erinnerte und die Frage aufwarf, ob denn Pallavicino, wie er befohlen habe, transferirt worden sei? Diese Frage ward zum Anlaß, daß ein höherer Polizeibeamter mit Extrapost nach Brünn reiste, um die ungesäumte Versetzung des Gefangenen nach Gradisca anzuordnen. Als derselbe eines Abends, da er schon schlief, mit der Aufforderung sich zu erheben geweckt wurde, wähnte der Unglückliche anfänglich, er sei – begnadigt! Inzwischen ließ man ihn jetzt wenigstens seine Sträflingskleider mit einem angemesseneren Anzuge vertauschen, und beim ersten Tagesgrauen hatte er den Spielberg, dessen Mauern ein so großes Stück seines Lebens verschlungen hatten, im Rücken, und fuhr in einer Postchaise gen Süden der Heimath entgegen. Aber im Uebrigen trat in der Lage unseres Gefangenen keine Verbesserung ein; eher das Gegentheil! Denn wie finden wir ihn (es war zu Anfang des Jahres 1831) bald darauf zu Gradisca wieder? Mit einem slavischen Räuber, Wolle spulend, in Ketten und groben Sträflingskleidern, in einer engen, doppelt vergitterten Zelle eingeschlossen, zu der Luft und Licht kaum Zugang hatten! Zu berichten, was Pallavicino hier zu leiden hatte (einmal mußte er sogar einen völligen Raubanfall seines Zellengenossen bestehen!), würde ein eigenes Capitel beanspruchen. Die empörendste Behandlung wurde ihm zu Theil; man ließ dem ohnehin schon so sehr geschwächten Mann die elendeste Kost reichen, um ihm ein Geständniß abzupressen, auf welchem Wege er in den Besitz des Geldes und weniger Bücher gekommen war, welche sich bei ihm fanden. Der Ekel vor jeder Speise und deren gänzliche Unverdaulichkeit machten ihn ernstlich krank. Ueber gewisse Unterschleife der Gefängnißverwaltung, welche ihm durch den Geistlichen der Anstalt, einen Capuziner, mitgetheilt worden, richtete er eine schriftliche Eingabe an den Kaiser, als Antwort auf welche – wenn sie überhaupt je an ihre Adresse gelangte – ein kaiserlicher Commissär in Gradisca mit dem Auftrag erschien, „Nummer 56“ in die Gefängnisse von Lubiana in Galizien zu übertragen, indeß der Gefängnißdirector selbst bald darauf eine Beförderung erhielt!

Vor der Abreise nach Lubiana mußte sich Pallavicino noch in Gegenwart des Verwalters und des Commissärs völlig entkleiden und der empörendsten körperlichen Untersuchung unterziehen lassen, wie man dies wohl mit Räubern und Mördern vor deren Ueberführung von einer Strafanstalt nach einer andern thut, um sich zu überzeugen, daß sie weder Geld noch Waffen bei sich verborgen haben, nicht aber mit Staatsgefangenen in einem civilisirten Lande! ...

Hier brechen die Kerkererinnerungen des edlen Gefangenen vom „Spielberg und Gradisca“ ab, denen ich bis dahin im Wesentlichen gefolgt bin, und ich gebe nun das Weitere nach persönlich gemachten Erhebungen und Wahrnehmungen im Hause des Marchese zu Turin und nach mündlichen und schriftlichen Berichten seiner Gemahlin.

Ueber seine Gefangenschaft in Lubiana steht mir kein weiteres thatsächliches Material zu Gebote. Später wurde seine Deportation nach Amerika in Frage gezogen; seine gänzlich zerrüttete Gesundheit machte sie indeß unausführbar. Zu deren Wiederherstellung wurde er einstweilen in Prag internirt (um’s Jahr 1834), zwar auf freiem Fuß, doch gegen Ehrenwort, die Stadt nicht zu verlassen. Mit Erlaubniß des Polizeidirectors gebrauchte er dann eine Cur in Karlsbad, und hier lernte er seine nachmalige Gattin kennen, die einer der geachtetsten Familien Prags angehörte, wo ihr Vater als wohlhabender Privatmann lebte. In Karlsbad wurde der jungen Dame, die sich mit ihren Eltern zur selben Zeit dort befand, der Marchese durch ihren gemeinschaftlichen Arzt vorgestellt, und bereits nach wenigen Monaten wurde sie seine Frau, und nach so namenlosen Leiden nahm den vielgeprüften Dulder jetzt endlich wieder die Liebe rettend in ihre Arme! Inzwischen war von seiner zwanzigjährigen Strafzeit zwar erst die größere Hälfte abgelaufen; er scheint indeß in jenen Tagen seine völlige Freiheit wiedererlangt zu haben, und mit seiner jungen Gemahlin auf seine lombardischen Besitzungen zurückgekehrt zu sein, hat vielleicht auch schon gleich damals in Turin seinen Wohnsitz genommen – in Turin, das ja bald zu dem Sammelplatze der hervorragendsten Patrioten Italiens werden sollte, unter denen auch der Märtyrer Pallavicino nicht fehlen durfte.

Und hiermit bin ich denn an dem eigentlichen Ausgangspunkte meiner Mittheilungen angelangt. Aber das seither Erzählte, dessen letzter Theil durch die persönlichen Mittheilungen der Marchesa selbst beglaubigt ist, während ich allerdings für die breitere Behandlung der Leidenszeit Pallavicino’s wohl auch ein selbstständiges Interesse annehmen durfte, mußte ich um so mehr vorausschicken, als der Mythus sich der würdigen Gestalt der Marchesa Anna Pallavicino schon bei deren Lebzeiten bemächtigt und ihre Verbindung mit dem Marchese auf die hochromantischsten Motive zurückgeführt hat. So erzählte man mir in Turin überall, die Marchesa sei die Tochter des Kerkermeisters ihres nachmaligen Gatten auf dem Spielberge gewesen, habe ihn dort in seinen Leiden gepflegt und sich somit ein Anrecht auf seine bleibende Dankbarkeit erworben, habe ihn wohl gar aus dem Kerker befreit und sei ihm dann in sein Vaterland gefolgt, wo er sie zu seiner Gemahlin erhoben, und was dergleichen Märchen mehr sind, die als solche eigentlich schon die durchaus vornehme und aristokratische Erscheinung der Dame kennzeichnen mußte.

Als ich mich mit dem Empfehlungsschreiben des Grafen Belgiojoso im Februar 1862 der Marchesa Pallavicino in ihrer Wohnung zu Turin

vorstellte, fand ich bei ihr sofort die entgegenkommendste und wohlwollendste Aufnahme. Die Politik – italienische wie deutsche – gab gleich den willkommensten Gesprächsstoff ab und gab es fast durchweg auch bei meinen ferneren Besuchen in ihrem Hause und bei unserem späteren Briefwechsel. Als hervorragendes Glied der italienischen Nationalpartei hegte sie auch die wärmsten Sympathien für die gerade damals mächtig aufschießenden Regungen nationalen Geistes in Deutschland, deren gegenseitige innere Verwandtschaft, sowie die Nothwendigkeit einer Verständigung, eines Zusammengehens beider nur zu lange in unseligem Zwiste geschiedener Völker ich ihr lebendig vor die Seele zu rufen mich um so mehr angeregt fühlte, als in meinen eigenen Adern germanisches und italienisches Blut sich friedlich gemischt hatte, ich Italien wie mein zweites Vaterland von Kindheit auf glühend lieben gelernt hatte und überdies zum Zweck

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_075.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)