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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

im Verein mit den Matrosen, die Verwundeten untersuchte. Zwei waren todt und wurden in’s Meer versenkt; ein Dritter, obgleich verwundet, war keck genug, sich zur Wehr zu setzen, er wurde lebendig über Bord geworfen; ein Vierter verschied gegen Mitternacht, auch sein Leichnam wurde der See übergeben; der Fünfte starb an seinen Wunden erst nach zwei Tagen.

Die Gebrüder Brandt erreichten mit ihrem Schiffe glücklich Gothenburg, wo sie ärztliche Hülfe erhielten und ihre Wunden geheilt wurden. – Auch die beiden gefangenen Piraten wurden daselbst abgeliefert. – Zum Lohne für diese bewiesene Tapferkeit erhielten die Gebrüder Brandt von dem Könige von Preußen das „eiserne Kreuz“, und noch vor einigen Jahren sah man in dem Schifferhause zu Lübeck unter den Gästen auch den Capitän Brandt, geschmückt mit dieser Decoration, still-ernst dahinblickend. – –

Der lübische Schiffer J. J. Schümann erlebte ein ähnliches Seemannsstückchen. Im Mai des Jahres 1817 segelte er mit seinem Schiffe „Industrie“ von Riga nach Corril in Spanien. Auf der Höhe vom Cap Finisterre wurde er von einem ebenfalls unter englischer Flagge fahrenden, aber mit Algierischen Seeräubern bemannten Briggschiffe angehalten und zu demselben an Bord gefordert. Der Uebermacht nachgebend, entsprach der deutsche Capitän mit zweien seiner Leute diesem Befehle. Man verlangte seine Papiere und vor Allem einen türkischen Paß, und da er solchen nicht hatte, erklärte man Schiff und Ladung für eine gute Prise und ihn und seine Leute ohne Umstände für Sclaven.

Die Unmöglichkeit einsehend, Gewalt mit Gewalt vertreiben zu können, machten die Deutschen gute Miene zum bösen Spiele und schienen sich in ihr Schicksal zu fügen. Jedoch bemerkte Schümann den Piraten, daß es für Schiff und Ladung wohl gerathen sein möchte, wenn er selbst auf demselben die Reise nach Algier fortsetze, da sein Steuermann stark dem Trunke ergeben sei. Der Anführer der Seeräuber pflichtete dem bei und ließ Schümann mit seinen beiden Leuten, begleitet von elf Räubern, wieder an Bord der „Industrie“ bringen. Hier angekommen, plünderten die Corsaren sogleich die deutschen Seeleute gänzlich aus und fanden es alsdann für gut, den Capitän und fünf seiner Matrosen auf dem Schiffe zu lassen, die übrige Mannschaft aber, einen Steuermann, zwei Matrosen und zwei Burschen, nach dem Raubschiffe abzuführen.

Von nun an war Schümann nur darauf bedacht, die mißtrauischen Piraten etwas unbesorgter zu machen, weshalb er sich, was sonst gar nicht seine Weise war, gegen seine Leute despotisch benahm, sie bei der geringsten Veranlassung schalt und schlug oder sie so arg stieß, daß sie sogleich hinfallen mußten, ohne darüber zu mucksen. Dies Verfahren bewirkte gar bald, daß die Türken weniger aufmerksam wurden, indem sie die deutsche Besatzung für sehr schwach und muthlos hielten, von der nichts zu besorgen sei.

Am fünften Juli kam die „Industrie“ in die Nähe von Lissabon, und an demselben Tage entschloß sich der deutsche Capitän, zu siegen oder zu sterben. Zwischen ihm und seinen Leuten wurden demzufolge folgende Verabredungen getroffen: Schümann wollte die Türken zu einem guten Häringssalat einladen, und Steffen – ein beherzter und entschlossener Mann – den er als Kajütenjungen angestellt, sollte bei der Bereitung behülflich sein. Als das Frühstück angerichtet war, wurden die Piraten dazu eingeladen. Schümann aß mit den vier Officieren auf dem Verdeck, Steffen mit den sieben Gemeinen im Roof. Was man gehofft, erfolgte: es stellte sich bei den Räubern nach genossenem Mahle ein starker Durst ein. Der Capitän ging mit dem Prisenmeister in die Kajüte hinab, um ihm ein Glas Rum zu geben; zu ihnen gesellte sich Steffen, mit der Reinigung einiger Geräthe sich beschäftigend. Schümann lud den Türken ein, sich auf eine neben der Kajütenthür und dem Tische stehende Kiste niederzulassen, wo er, wie verabredet, von Steffen niedergehauen werden sollte. Aber der Räuber setzte sich so, daß er beim Trinken Alles übersehen konnte. Dieser Plan war also vereitelt!

Nach kurzer Weile legte der Capitän eine Seekarte auf den Tisch und zeigte mit dem Finger, wo Lissabon und Algier liege. Den letztern Ort betonte er absichtlich sehr stark, indem er hastig ausrief: „Hier liegt Algier!“ Der bis dahin gleichgültig zuhörende Prisenmeister wandte sich neugierig nach der Karte und bückte sich, um den Ort zu sehen, über den Tisch. Dieser Moment war entscheidend. Schümann gab Steffen das verabredete Zeichen, dieser ergriff einen Zimmermanns-Dehsel und versetzte mit dessen Schärfe dem Türken einen solchen Hieb in den entblößten Nacken, daß der Corsar, ohne irgend einen Laut von sich gegeben zu haben, todt niederstürzte. Der Schaft des Instruments zerbrach. Rasch eigneten sich nun die beiden Deutschen des Gefallenen Waffen, zwei Pistolen und einen Degen, an und schritten auf’s Verdeck. Als sie dies erreicht, legte der Capitän auf den vor der Kajütenthür stehenden türkischen Posten an und erschoß ihn. Steffen aber nahm den neben dem Steuer stehenden Türken in’s Auge und traf auch diesen glücklich. Schnell ergriffen sie der Gefallenen Waffen und riefen die deutsche Besatzung zu sich. Wollte man Sieger bleiben, so mußte man rasch handeln, und das geschah denn auch: fünf Corsaren wurden mit ihren eigenen Waffen niedergestreckt.

Jetzt stand Schümann hinten auf dem Schiffe und hatte seine fünf Leute noch unversehrt neben sich; der hintere Roof diente ihnen gleichsam als Schanze gegen das Schießen der Piraten von vorn her, denen aber zum Wiederladen keine Zeit gelassen werden durfte, vielmehr mußte man ihnen keck zu Leibe gehen. Dies geschah denn auch unverzüglich, wobei jedoch einer der deutschen Matrosen mit einem Piraten zusammengerieth, der ihm an Körperkraft weit überlegen war, weshalb der Capitän mit blanker Waffe hinzusprang und dem Türken einen Hieb versetzte, daß sein Blut sechs Fuß hoch in das backliegende große Segel hinaufspritzte. In demselben Augenblick sprang ein Pirat über Bord. Da man jetzt nirgends einen Feind mehr erblickte, rief Schümann zwei seiner Leute zu sich, um eine andere Rudertalje einzuziehen, da die vorige wahrscheinlich durchgehauen war, so daß das Steuer hin und her schlug.

Eben am Backbord mit dieser Arbeit beschäftigt, ward man plötzlich noch eines Corsaren gewahr, welcher sich bisher im Roof versteckt hatte, jetzt aber mit einer „Blunderbüchse“ hervor trat, die mit sechs Kettenkugeln geladen war und die er auf die drei Deutschen anlegte. Noch rechtzeitig stieß Schümann seine Umgebung auseinander, rasch nach der Steuerbordseite springend. Bei der Kajütenthür aber begegnete ihm der Corsar, der auf ihn anlegte und ihn am Kopfe verwundete, so daß der Capitän gezwungen war, sich bis in die Mitte des Schiffes zurückzuziehen. Der Pirat jedoch verfolgte ihn, in jeder Hand eine gespannte Pistole haltend. Jetzt schlug er auf seinen Gegner an – aber beide Pistolen versagten. Mit einem Sprunge stand Schümann neben ihm, einige Säbelhiebe ihm versetzend und zwar so, daß er niederstürzte und bei jedem Hiebe, den er bekam, in italienischer Sprache ausrief: „Das ist gut!“ Er hatte auch gar nicht Unrecht, denn mit seiner Person war der letzte der Seeräuber aus dem Wege.

Die Leichname wurden nun theils ganz, theils stückweise „mit Sack und Pack“ über Bord geworfen. Dabei entdeckten die Matrosen einen Piraten zur Seite des Schiffes, wahrscheinlich denjenigen, welcher über Bord gesprungen war und der nun ein Tau ergriffen und, um leichter schwimmen zu können, seine Jacke ausgezogen hatte. Er bat um Pardon, aber bei der Erbitterung der Mannschaft wurde hierauf nicht gehört: das Tau ward gekappt und er den Wellen preisgegeben, in denen er wohl seinen Tod gefunden.

Der blutige Kampf hatte eine volle Stunde gewährt.

Nachdem das Schiff wieder vor den Wind gebracht und das Blut der erschlagenen Seeräuber weggewaschen worden war, dankten Alle knieend Gott für den verliehenen Sieg. An demselben Tage noch bekam die „Industrie“ von Lissabon aus einen Lootsen an Bord und landete daselbst am folgenden Tage.

Glücklicherweise wurde auch die deutsche Mannschaft, welche auf dem Piratenschiffe in die Sclaverei geführt werden sollte, durch die thätige Verwendung des schwedischen General-Consuls, Herrn Anckerloo, wieder in Freiheit gesetzt, und zwar ohne die als Lösegeld verlangten fünfzehntausend Piaster bezahlt zu haben.

H. A.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_079.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)