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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Blätter und Blüthen.

Besser als sein Ruf. Menschen glauben das Unmöglichste lieber als das Wahrscheinliche; einige jener Schreckens- und Schauergeschichten, wie sie „weit draußen“ auf dem Meere passiren, lassen sich im Gefühle behaglicher Sicherheit recht angenehm genießen, und so ist denn der Haifisch ein Opfer geworden der allmächtigen Tradition. Jedermann ist von seiner Entsetzlichkeit von vornherein schon überzeugt: wo er ist, da giebt’s ein Unglück, Gischt, Blut und wenigstens abgebissene Glieder; jeder Seeroman würde mangelhaft sein ohne ihn und er erscheint – ein deus ex machina immer an der richtigen Stelle, um das Interesse wieder zu fesseln.

Um Genaues über ihn zu erfahren, wende man sich an jene Männer, welchen die See zur Heimath geworden ist, an die Fischer, und unter diesen wieder an die eigentlichen Kosmopoliten, die Walfischfänger. Alle Gewässer werden von diesen durchsucht, nichts entgeht ihren Blicken in der ungeheuren Weite; vom Verdeck aus, vom Maste herab, im leichten Boote, oft auch im Wasser selbst haben sie eine gewiß vielseitige, wenn auch nicht immer beneidenswerthe Gelegenheit, die See und ihre Bewohner kennen zu lernen. Wo ein todter oder verwundeter Wal sich befindet, da versammeln sich in den warmen Meeren immer eine große Anzahl Haifische mit unbegreiflicher Schnelligkeit. Nun ist es in dem wechselvollen Leben der Walfänger gar nicht so selten, daß Boote zertrümmert und die Mannschaften in das Wasser geschleudert werden, eine für die anwesenden Haie gewiß verführerische Gelegenheit, und dennoch ist mir kein Fall bekannt, daß jemals ein Mensch gebissen worden wäre, obgleich ich Hunderte von Walfängern befragt habe. Officiere sowohl als Mannschaften, und ergraute Veteranen von allen Meeren.

Folgende Notizen aus meinem Tagebuche werden die vorwiegende Ungefährlichkeit der Haie ebenfalls nur bestätigen.

Im Süd-Atlantischen Ocean wurde unser Boot von einem Potwal gänzlich zerstört und wir sechs Insassen waren genöthigt, uns mittels Rudern und Planken vielleicht zwei Stunden lang schwimmend zu erhalten, mitten zwischen den unvermeidlichen Haifischen. Rastlos wie die See selbst und schrecklich gewandt, bald auf-, bald niedertauchend zogen sie ihre Kreise, aber obgleich unter uns einige Farbige waren – die bisher als Leckerbissen für sie galten – wurden wir doch nicht belästigt.

Ein anderes Mal speckten wir einen Wal ab, während eine Menge Haie uns wacker dabei halfen; wie üblich, stieg ein Mann, wieder ein Neger, auf den Cadaver hinab, um die Kinnlade abzulösen, glitt aber, obgleich er durchs eine Leine gesichert war, von der schlüpfrigen Masse ab und plumpte in das Wasser. Sofort schossen, wahrscheinlich ein Stück Fleisch oder Speck vermuthend, mehrere der gefräßigen Burschen auf ihn zu, wandten sich aber, ihren Irrthum erkennend, wenige Fuß von dem zappelnden Menschen wieder hinweg.

Im Stillen Ocean, unter dem Aequator, von langweiliger Windstille befallen, sprangen wir, um uns zu erfrischen, einfach über Bord und schwammen nach Herzenslust um das bewegungslose Schiff. Es war ein wonniges Gefühl, so mitten im Weltmeere zu baden und wir hatten uns schon mehrere Tage dieser Lust überlassen, als wir Haifische bemerkten. Sofort machten wir uns bereit, einen oder einige derselben zu fangen, nicht vermöge der Geduldprobe mit Köder und Haken, sondern, wie es Walfängern geziemt, mit Harpune und Lanze. Ein glänzender Blechtopf, an dünner Leine befestigt, wurde mit hinaus in das Wasser geworfen und schnell wieder zum Schiffe herangezogen. Dieses Lockmittel bewährte sich wie immer ausgezeichnet: in blinder Gier schossen die Haie dem blinkenden Dinge nach, und bald war einer harpunirt, getödtet und an Deck genommen. Er hatte ungefähr doppelte Mannsgröße, sein elastischer Rachen hätte aber wohl kaum einen zehnjährigen Knaben aufnehmen können. Der Magen enthielt Knochen und Kartoffeln, Abfälle unserer Küche, die er mit seinen Cameraden getheilt hatte; sie bewiesen, daß er uns schon mehrere Tage gefolgt war. Offenbar waren diese Haie bei so kärglicher Nahrung sehr hungrig, und obgleich wir, ihre Nähe nicht ahnend, ihnen verschiedene Male vor der Nase herumgeschwommen waren, hatten sie uns doch nicht angefallen.

An der Küste von Chili sah ich Rotten wilder Knaben der einkommenden Fluth brusttief entgegenwaten und den an den Rand herandrängenden Haifischen erfolgreiche Gefechte liefern. Meistens erlegten sie mit ihren sehr primitiven Lanzen und Harpunen nur die kleineren Hunds- und Katzenhaie; doch sah ich auch einen sieben Fuß langen Grundhai an’s Land bringen, welcher natürlich viel größer war als irgend einer seiner Peiniger. Sie versicherten mir, daß diese Jagd ihr Lieblingsvergnügen sei und sie oft noch größere Exemplare erlegten.

Würde es der Raum erlauben, so könnte ich noch Vieles, von dem ich Augenzeuge war, anführen; doch würde daraus immer nur hervorgehen, daß der Hai besser ist als sein Ruf. Um Juan Fernandez im Stillen Ocean – die berühmte Insel, auf welcher Alexander Selkirk, der Held unserer Robinsonaden, lebte – wimmelte es von Haifischen; die chilenische Familie, welche dort wohnte, hielt sie für ungefährlich. Die Sandwich-Insulaner, wahre Amphihien-Naturen, schwimmen und tauchen im Meere, wo es ihnen beliebt; die Bewohner der Azoren, der Cap Verde Inseln und brasilianische Fischer, mit denen ich in Berührung kam, konnten mir keinen Unglücksfall angeben, der sich bei genauer Untersuchung nicht als unbegründet auswies.

Die westindischen Haie sind berüchtigt. Wir haben daselbst Schiffbruch erlitten und auf einem trostlosen Korallenriff Robinson gespielt, mit unzähligen Haien aller Art als einzigen Besuchern; sie haben uns nicht gefressen. An der Küste von Massachusetts haben wir Vergnügungsfahrten unternommen, um uns mit allerlei Seegethier zu bereichern, Schwertfische zu harpuniren und Haie zu angeln; wir haben sie von allen Größen gefangen, und die Fischer von dem berühmten Cap Cod, ein rauhes und kühnes Geschlecht, sahen uns gern, weil wir sie von dem die Fische verscheuchenden und die Netze zerreißenden „Ungeziefer“ befreiten. Schlimmeres wußten auch sie nicht zu sagen.

Seeleute sind von äußerst conservativer Gesinnung und haben ihre eigene Sagenwelt, an der nur schwer sich rütteln läßt; sie stimmen überein in ihrem Haß und ihrer Grausamkeit gegen Haifische und wissen grausige Geschichten zu erzählen. Fragt man aber einen Gläubigen, so hat er es zwar nicht selbst gesehen, aber – und dies ist das alte, alte Lied – er hat Einen gekannt, der hat wieder Einen gekannt, welcher es gesehen hat oder vielleicht gar nur bald einmal gesehen hätte. Solch treuherziger Glaube kann das Wissen schwerlich fördern.

M. E. P.


Aus Californien schreibt man der Gartenlaube über die dortselbst fortwährende Zunahme der Chinesen und ihres Einflusses auf Handel und Gewerbe. „Gerade dadurch,“ heißt es in dem Briefe, „daß man die Chinesen früher überall verstieß und von jeder Gelegenheit zum Geldverdienen förmlich wegdrängte, gerade dadurch hat man ein nur festeres Zusammenhalten der Söhne des himmlischen Reichs unter sich hervorgerufen; sie stehen jetzt den Weißen wie eine in sich geschlossene Körperschaft gegenüber, wohnen in ihren eigenen Straßen und suchen den eben erst eingewanderten und der englischen Sprache noch unkundigen Stammesgenossen auf jede Weise zu fördern, während der Deutsche erbärmlich genug seinem Landsmann in der Regel nicht nur nicht hilft, sondern ihn, solange er „grün“ ist, auf jede Weise noch auszubeuten sucht. Die chinesischen Arbeiter leben unter sich im besten Einvernehmen; selten kommt es zu Streitigkeiten, dann aber sind sie gleich mit Schußwaffen bei der Hand. Bei der Arbeit erscheinen sie pünktlich auf die Minute, verlangen aber dann ebenso pünktlich entlassen zu werden. Giebt man ihnen schlechte Worte, so werden sie verdutzt und machen Alles verkehrt; läßt man sie ihren eigenen Weg gehen, so arbeiten sie gleichmäßig von Morgens bis Abends fort und man kann mit ihnen zufrieden sein. Sie sprechen bei der Arbeit sehr viel und sehr schnell, und sind mehrere auf einem Platze beisammen, so mag man wohl glauben, eine Schaar Gänse zu hören. Kommen sie Abends von der Arbeit heim, so beschäftigen sie sich gerne mit Schreiben; denn dies, wie das Lesen, versteht fast jeder Chinese.

Ihre mäßige Lebensart ist bekannt; sie verlangen nicht die kostspielige Verpflegung wie der Weiße, geben sich mit geringerem Lohne zufrieden und werden darum in neuester Zeit mit Vorliebe bei den Eisenbahnbauten verwendet, wie man ihnen denn auch zum größten Theil die längs der östlichen, von Omaha auslaufenden Bahn gebauten und zur Instandehaltung dieser Bahn dienenden Sectionshäuser eingeräumt hat. Ist es zunächst der Irländer, der bisher das Monopol der Eisenbahnbauten in Amerika ausschließlich für sich in Anspruch nehmen zu dürfen glaubte und nun durch die Concurrenz der Chinesen in seinem Erwerb sich ernstlich bedroht sieht, so sind es auch sonst die solideren Gewerbe, in welche die Söhne des Reichs sich „einschleichen“ suchen, wie ihre Feinde sagen. Sie entwickeln in der Erlernung von Handwerken und Geschäften eine fabelhafte Geschicklichkeit und zeigen im Festhalten des gewonnenen Vortheils den Weißen gegenüber alle die Verschmitztheit und die Ausdauer, die ihnen eigen sind. Sie fabriciren sämmtliche Cigarren, die in Californien geraucht werden; sie haben die Wäscherei, durch die sich früher die Frauen so vieler Weißen ernährten, völlig in ihre Hände gebracht und fertigen ganz allein noch die hier gebräuchlichen leichten Schuhe, da sie zu so niedrigen Preisen arbeiten, daß die Weißen auf jede Concurrenz verzichtet haben. Wie rasch die Chinesen auffassen, mag folgendes Geschichtchen beweisen: Ein Photograph hatte einen Chinesen als Ausläufer, und dieser ließ es sich sehr angelegen sein, seinem Herrn bei der Arbeit höchst harmlos zuzusehen; während dieser aber nichts Schlimmes dachte, fing der Chinese nach drei Monaten selbst zu photographiren an, eröffnete ein eigenes Geschäft und schlug seinen frühem Herrn völlig aus dem Felde. Auf dieselbe Weise lernte ein Anderer die Uhrmacherei. In solcher Weise suchen die Chinesen fortwährend nach festerem Halt. Dabei kommen fort und fort aus China ganze Schiffsladungen an, deren Inhalt die Vereinigten Staaten überschwemmt, und so ist gar nicht abzusehen, welchen Einfluß diese kolossale, endlose Einwanderung der mongolischen Race in dem Norden Amerikas noch ausüben wird.“


Kleiner Briefkasten.

O. Glenzer in Petersburg. Gewünschtes geht Ihnen von Staßfurth zu, sobald Sie genaue Adresse angeben.

F. T. Förster. Herzlichen Gruß und Dank von Fr. Gerstäcker.

G. in B. Schon in nächster Nummer werden Sie den vermißten „Literaturbrief“ finden.

J. in P. Die Anfrage ist deshalb nicht unbedingt richtig zu beantworten, weil Talent, Alter und Geschmack der „jungen Clavierspielerin“ nicht genauer bezeichnet sind. Im Allgemeinen können wir „Unsere Lieblinge von C. Reinecke“ und „Wegweiser für den Clavierschüler J. Knorr“ empfehlen.

K. in Frkf. Ihre Vermuthung ist eine ganz richtige: die durch das Berliner Blatt persiflirte Skizze über Fritz Reuter war nicht in der Gartenlaube, sondern in einer anderen illustrirten Leipziger Zeitschrift abgedruckt.

M. in Msbg. Bitten über die gesandte Novelle zu verfügen.


Inhalt: Aus eigener Kraft. Von M. v Hillern. (Fortsetzung.) – Ein Denkmal für das „treue deutsche Gewissen“. Mit Abbildung. – Schulkindkrankheiten oder Schulkrankheiten?. II. Von Bock. – Hinter der Klosterpforte. – Aus den politischen Salons des neuen Italiens. Von Emil Pirazzi. 1. Die Frau des Märtyrers. – Im Schifferhaus zu Lübeck. Mit Abbildung. – Blätter und Blüthen: Besser als sein Ruf. – Aus Californien. – Kleiner Briefkasten.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_080.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)