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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Der Held desselben ist ein am Rhein wohnender Nabob, der Besitzer der Villa Eden, der Millionär Sonnenkamp, ein Egoist im großen Styl, dessen dunkle Vergangenheit sich allmählich vor unsern Augen enthüllt. Er ist trefflich gezeichnet als ein moderner Titane, aber nicht aus unsern Denkerschulen; schon äußerlich eine mächtig athletische Gestalt, welche den Eindruck der Ueberkraft macht, ein praktischer Weltmensch, dem nichts heilig ist, der rücksichtlos alles für seine Zwecke benutzt und die Menschen mit kalter Verachtung behandelt. Von seinen früheren Schicksalen und Thaten gehn nur dunkle Gerüchte. Es ist das Recht des Romanschriftstellers, unsere Spannung nach der Vergangenheit hin zu lenken, und von diesem Rechte macht Auerbach uneingeschränkten Gebrauch. Er bedient sich indeß dabei einiger Hülfsmittel der Romantechnik, welche sich kaum rechtfertigen lassen. Er führt Personen des Romans zusammen, von denen die eine, eingeweiht in jene Geheimnisse, der andern Aufschlüsse darüber giebt. Gleichwohl theilt er diese Aufschlüsse nicht seinen Lesern mit; er schlägt ihnen gleichsam die Thüre vor der Nase zu. Er schildert uns nur die Wirkungen, welche jene Enthüllungen ausüben, aber diese Enthüllungen selbst bleiben uns Geheimniß. In so grober Weise darf indeß ein Romandichter nicht die Geheimnißkrämerei betreiben; er darf uns nicht eine Unterredung verschweigen, zu der er uns miteingeladen hat. Da ist der Daumen des Herrn Sonnenkamp ein besserer Wetterprophet für die Witterungswechsel des Romanschicksals. Dieser Daumen trägt einen Ring und der Ring soll eine Bißwunde verdecken. Wir erfahren, daß ein Neger, den er in das Meer stürzte, ihn hier in die Hand biß.

Immer klarer wird es, daß dieser Millionär in frühern Zeiten ein Sclavenhändler und Sclavenmörder war. Gerade als der Fürst bereit ist, seinen heißesten Wunsch zu erfüllen und ihn in den Adelstand zu erheben, bringt die Zeitung diese verhängnißvolle Enthüllung über die Vergangenheit des transatlantischen Nabob. Der Fürst selbst erfährt dies während der Audienz, hält das Document zurück und zum Uebermaß des Unglücks für Sonnenkamp fällt jetzt auch der Leibmohr des Fürsten über ihn her; es ist derselbe Neger, der ihn in den Daumen gebissen hat, den der Sclavenhändler in’s Wasser warf, der sich aber gerettet hat. Rachedürstend umklammert er sein Opfer, welches erst der Befehl des Fürsten zu befreien vermag. Sonnenkamp, stöhnend wie ein getroffener Stier, noch den Schaum vor dem Munde, schleudert dem abgehenden Fürsten einige Majestätsbeleidigungen nach.

Wir sind mit einem Male im schönsten Fahrwasser des Romans; doch leider findet sich diese fesselnde Katastrophe erst am Schluß des vierten Bandes! Das ist Manna für die müden Seelen, die sich durch so lange, so geistreiche Vorbereitungen hindurcharbeiten mußten, um sich endlich einmal an einem drastischen Bilde zu erquicken.

Sonnenkamp ist vernichtet! Der alte Praktiker geräth auf den sehr unpraktischen Einfall, ein Ehrengericht zusammenzuberufen, welches ein Urtheil über ihn fällen soll, und vereitelt diesen doch ernstgemeinten Zweck wieder durch seine Rechtfertigung, die nur ein Hohn gegen die Gesellschaft ist und gegen Alles, was in ihr als Ehre gilt. Er spielt seine Trümpfe mit der größten Offenheit aus, erklärt, daß die Welt nichts als ein Zusammenhang von Egoismen, nichts als in Anstand maskirtes Laster sei. Alles sei öde, nichtig, ein endloses Gähnen, das nur im Todesröcheln aufhöre. Er habe die ganze Sandwüste der Langenweile durchlaufen, nichts helfe darüber hinaus als Opium, Haschisch, Hazardspiel und Abenteuer. Wir erfahren, daß Sonnenkamp Spion und Depeschendieb, Löwenjäger, Wallfischfänger, Sclavenhändler und Plantagenbesitzer war. Als Sclavenhändler stürzte er einmal seine ganze Menschenfracht in’s Meer, um der Untersuchung durch verfolgende Schiffe zu entgehn; er behauptet, dabei in seinem Rechte gewesen zu sein.

Diese Rede ist höchst pikant; aber der Mann wird uns auf einmal zu geistreich. Er mag verachten, was die Welt für Ehre und Tugend hält, und hinter Allem die gebotene Heuchelei suchen; doch jene Blasirtheit weltschmerzlicher Dichter, jenes Hamletthum, welches Alles schal und abgestanden findet, steht dem Manne der That übel zu Gesicht; es ist ein fremdartiger Zug, der nicht hineinpaßt. Sonnenkamp hat dem Lord Byron nicht gelesen; er hatte keine Zeit dazu; er vertritt die gottesleugnerische Praxis; aber in fortdauernder rüstiger Bethätigung der eigenen Kraft, im Pflanzen und Bauen, Arbeiten und Schaffen hat er nicht Muße gefunden, sich auf jenem Lotterbette der Geistreichigkeit auszustrecken, welche das Leben unendlich langweilig findet.

Anders verhält es sich mit Gräfin Bella. Das ist die geistreiche Salondame, deren Menschenverachtung durch zahlreiche Zuflüsse aus den geistigen Reservoirs unserer Dichter und Denker gespeist wird, deren Abenteuerlust aus der innern Unbefriedigung eines leidenschaftlichen Herzens entspringt. Daß diese beiden Charaktere sich zuletzt finden, daß Bella, nach dem Tode ihres Gatten, dem Sclavenhändler nach Amerika folgt, wo beide in dem Secessionskriege auftauchen und untergehn: das ist eine Erfindung, welche das volle Gepräge psychologischer Wahrheit an sich trägt.

Das Gegengewicht gegen den hartgesottenen Egoisten bilden seine edeln Kinder, Roland und Manna, und der Hauslehrer derselben, der Hauptmann-Doctor Erich Dournay, der eigentliche Idealheld des Romans. Es ist eine alte Erfahrung, daß solche Figuren in der Regel etwas Verblaßtes und Verschwommenes haben, während die dämonischen Gestalten, die Zöllner und Sünder, den Dichtern weit besser gelingen, als die Heiligen. Bei den ersten sprechen die eigenen Züge; die letztern brauchen in der Regel noch einen nach der Schablone gefertigten Glorienschein, der uns auch äußerlich andeutet, mit wem wir es zu thun haben. Seit den Zeiten Jean Paul’s, dessen erhabenste Gestalten, wie Emanuel, ihres Zeichens Hauslehrer sind, ist es in Romanen Mode geworden, die Herren und Damen, die sich dieser gewiß ehrenvollen Stellung widmen, mit den seltensten Vorzügen des Geistes und Herzens auszustatten. Wer kennt nicht das Trotzköpfchen Jane Eyre aus dem Gouvernantenroman der Frau Currer-Bell und dem Drama der Frau Birch-Pfeiffer? Nachdem indeß Spielhagen in den „Problematischen Naturen“ uns einen interessanten Hauslehrer vorgeführt hat, der allerlei aristokratische Abenteuer erlebt, hätten wir von einem Auerbach’schen Romane wohl gewünscht, daß nicht dieselbe Erfindung zur Grundlage gewählt worden wäre.

Freilich, die Durchführung ist eine andere. Auerbach stellt die Erziehung in den Vordergrund und schüttet eine Menge treffender Bemerkungen und geistvoller Maximen über dies Thema mit freigebigen Händen aus. Erich Dournay sucht die schwierige Aufgabe, den Sohn eines Millionärs zu erziehn, in entsprechender Weise zu lösen, wobei ihm der edle Charakter seines Zöglings wesentlich zu Hülfe kommt. So ist der Roman Auerbach’s im Grunde ein Erziehungsroman, wie Rousseau’s „Emil“ und Jean Paul’s „Unsichtbare Loge“, und gewährt den erfreulichen Eindruck, daß die Sünden der Väter nicht an den Kindern gerächt werden, sondern daß ein jüngeres Geschlecht dieselben durch Hochsinn und Edelmuth sühnt.

Wenn indeß auch wir die bildenden Einflüsse eines Lehrers wie Dournay auf Gemüth und Charakter anerkennen, so hegen wir doch begründete Zweifel, daß der junge Roland viel bei ihm gelernt hat, und fürchten, daß er bei einem ernsten Examen schlecht bestehen würde. Das tumultuarische Leben in Villa Eden, die Reisen nach der Residenz und nach Karlsbad dulden keinen geregelten Lehrplan, und überdies hat der Lehrer selbst ja so viel mit seinen eigenen Empfindungen zu thun, daß wir ihm kaum die Ruhe zutrauen, welche für wissenschaftliche Lectionen unerläßlich ist.

Sie werden sich nicht wundern, Madame, wenn ich Ihnen mittheile, daß sich Erich Dournay in die Tochter vom Hause verliebt. Es ist dies bei einem Hauslehrer so wenig ungewöhnlich, daß nur das Gegentheil überraschen würde. Er ist schön und hat edle Grundsätze; es ist ebenso wenig wunderbar, daß Manna seine Liebe erwidert.

Manna ist die poetische Erscheinung des Romans; die Entfaltung dieser Mädchenseele ist mit großer psychologischer Wahrheit geschildert. Am Anfang der Erzählung sehn wir sie bereit, der Welt zu entsagen und sich dem Kloster zu widmen, um für ihren Vater Buße zu thun. Die erwachende und wachsende Neigung für Erich, der ihr eine neue geistige Welt enthüllt, führt sie immer weiter ab von dem Entschluß der Entsagung, bis sie den Muth gewinnt zum Bekenntniß der Liebe, bis der Bußgürtel, den sie als klösterliche Mahnung um dem zarten Leib trägt, von ihr gelöst in den Garten hinabschwebt, auf einem Baume hängen bleibt und die Beute eines jungen Staars wird, der die dünne hänfene Schnur in den Schnabel faßt und sein Nest damit baut!

Neben dieser anmuthigen Gestalt, welche in den Familiengruppen der Villa Eden vorzugsweise mit anziehender Magie wirkt, steht nun zunächst die Mutter Ceres, ein trefflich gezeichneter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_091.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)