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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Alfred stutzte und schwieg einen Augenblick verlegen, dann fragte er: „Warum denn?“

„Weil sich für den Adel kein Beruf schickt, dessen alleiniger Zweck der Gelderwerb ist,“ erklärte Feldheim mit leiser Ironie. „Und was wolltest Du denn mit dem Gelde machen?“

„Ich würde Krankenhäuser errichten für arme Leute! Ich würde es machen wie Herr Hösli, der seinen Arbeitern noch kleine nette gesunde Wohnungen baut, und Alles lobt und segnet ihn dafür. Ist es denn auch eine Schande für einen Johanniter, etwas studirt zu haben? Wenn ich nun Arzt würde? Da könnte ich mir die Mittel verdienen, die ich brauche, um all’ meine Pläne auszuführen.“

„Mein Kind,“ sprach der Candidat, „Du wirst früher oder später erkennen, was ich meine, wenn ich Dir sage, Du brauchst nicht Johanniter zu werden, um die hohe Mission zu erfüllen, zu der Du berufen bist! Doch jeder Mensch muß seinen Jugendtraum haben. Der Deine ist das Ritterthum der Barmherzigkeit, das so ganz Deinem sanften liebeathmenden Wesen angemessen ist, und ich will Dich nicht daraus erwecken!“

„O nein, Herr Candidat,“ bat Alfred mit einem rührenden Blick, „lassen Sie mir diesen Traum, er ist so schön, so erhaben, wie ich ihn im Herzen trage!“

Der Candidat schwieg und betrachtete sinnend den Knaben. Nein, er wollte ihm nicht an den frommen Wahn rühren. War dieser Gedanke des Johanniterthums doch vor der Hand der einzige friedliche Ausgleich, der sich zwischen dem idealen Drang des Knaben und den Standesforderungen seiner Familie finden ließ. Hatte er doch auch den alten Herrn nie so zufrieden gesehen, als da ihm Alfred zum ersten Male seinen Vorsatz, Johanniter zu werden, mittheilte. Da unterbrach Alfred den Lehrer in seinem Nachdenken: „O Herr Feldheim, sehen Sie, jetzt kommt der Kessel!“ Der Candidat trat herzu.

Wenn man solch einem Bau lange zuzusehen Gelegenheit hat, so gewinnt man allmählich ein Interesse dafür, als ob man ihn selbst anfertigte, und jede neue Phase, in die das wachsende Werk tritt, begrüßt man wie ein Ereigniß. Es ist dies mit Allem so, dessen Entwickelung wir beobachten. Es ist die Freude am Werden oder am Werdensehen, die uns unwillkürlich zu Mittheilhabern an jedem vor unseren Augen entstehenden Werke macht, sei dies nun eine Schöpfung der Natur – eine Pflanze, ein Thier, ein Mensch – oder sei es ein Gebild von Menschenhand und Menschengeist.

„Nach dem Genuß, dem höchsten, den es giebt: selbst zu schaffen, kommt doch gleich unmittelbar der Genuß, schaffen zu sehen,“ sagte der Candidat und lehnte sich weit zum Fenster hinaus, um das angekündigte Ereigniß zu verfolgen.

Alfred war voll Spannung. Das war ja der Kessel, von dem ihm Aennchen einmal erzählte, Heiri habe ihn aus England mitgebracht, und er hatte auch noch neuerdings gehört, man lasse einen besondern Heizer aus England dazu kommen. Wie neugierig war er, um das Wunderding zu sehen, aus dem man so viel Wesens machte! Auf einem niedrigen breitspurigen Wagen, von sechs keuchenden Frachtpferden gezogen, schwankte der schwarze Koloß langsam und majestätisch daher, der größte Hochdruckkessel, der bis dahin noch in Zürich gesehen worden. Die Erde erbebte unter den Schlägen der überlasteten Räder, daß der Boden unter Alfred’s und seines Lehrers Füßen zitterte und die Scheiben leise klirrten. In unterbrochenen donnerartigen Stößen kam es grollend näher und näher, feierlich, ungeheuer, wie eine gefesselte Naturkraft, die in ihrem Schooße lauerndes Verderben birgt. So erschien es Alfred’s erregter banger Phantasie. Aber die Leute da unten betrachteten es anders. Die ganze „Enge“ wimmelte von Zuschauern, ein dichter Schwarm zog jauchzend vor und neben dem Wagen her. Es war, wie wenn die Kinder Israels das goldene Kalb umtanzten. Und doch war dies etwas anderes, denn das goldene Kalb war nichts als ein leerer Begriff, das eiserne Monstrum aber sollte der Wohlthäter vieler Hundert armer Arbeiter werden, die auf Beschäftigung in der neuen Fabrik warteten. Es war kein todtes starres Götzenbild, es war das riesenhafte eiserne Herz eines gigantischen eisernen Fabrikkörpers, ein Herz, das glühen, überströmen, springen konnte, wie ein ungestümes volles Menschenherz und das seine Gluth mächtig pulsirend durch metallene Adern trieb, und damit einen Organismus in Thätigkeit setzte, dessen Brüste, denen einer Isis gleich, Schaaren hungernder Wesen Nahrung boten. Wohl hatten sie Recht, die Massen, welche das Wunder umkreisten, von dem sie so viel hofften, sie brauchten nicht darüber, wie die Kinder Israels, ihres wahren Gottes zu vergessen, sie konnten ihn auch in dieser Schöpfung von Menschenhand erkennen, wenn sie es nur recht verstanden. War doch der Geist, der das gewaltige Werk ersonnen, auch ein Ausfluß des ewigen Geistes, der da waltet und wirkt im Kleinsten wie im Größten und die Menschheit lehrt, aus den rohen Kräften sich Waffen zu schmieden nicht nur im Kampfe um das Dasein, auch im Kampfe um die ewige Schönheit dieses Daseins.

Der Wagen hielt vor der breiten Brücke an, die über den Bach zum Eingang führte. Wie ein Feldherr mit seinem Adjutanten standen Herr Hösli und sein Sohn auf dem Gerüst, um das Abladen zu überwachen. Eine lautlose Stille trat jetzt ein, nur von den Commandorufen der Ingenieure unterbrochen, da die ungeheuren Winden und Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um den regungslosen Koloß von der Stelle zu bringen, als fühle Jeder die Verantwortlichkeit einer Operation, wo ein solches Herz in einen solchen Leib gesetzt wurde!

Es war vorüber, die dampfenden Pferde rasselten mit dem leeren Wagen von dannen. Die Höslis waren dem Kessel in das Innere des Baues gefolgt und die Menge zerstreute sich schwatzend und aufgeregt.

Alfred wischte sich den Schweiß von der Stirn: „Mir ist, als hätte ich mitgearbeitet,“ sagte er aufathmend und sah den Candidaten an, ob es ihm nicht auch so gehe. „Was habe ich für eine Angst ausgestanden!“

„Gott gebe seinen Segen!“ sprach Feldheim ernst. „Es ist ein großes Ding, wenn Feuer und Wasser so eng zusammengejocht sind! Gott gebe seinen Segen!“

(Fortsetzung folgt.)




Aus den Zeiten der schweren Noth.
Der schwarze Herzog vor Halberstadt.

Eine ansehnliche Schaar von Männern aus den denkwürdigen Jahren, welche der Erhebung Deutschlands gegen die Fremdherrschaft vorausgingen, ist es, um deren Persönlichkeiten die Romantik, eine wilde Poesie und eine oft wehmüthige Erinnerung ihren hellen oder sanften Schimmer ziehen, so daß die Gestalten sich leuchtend abheben von dem dunkeln Hintergrunde voll Hoffnungslosigkeit und Kleinmuth, Eigennutz und Servilismus gegen den gewaltigen Eroberer Napoleon. Unter diesen prächtigen Gestalten ist Friedrich Wilhelm, Herzog von Braunschweig, nach der schlesischen Herrschaft, welche ihm zum Erbe geworden, Braunschweig-Oels genannt, eine der hervorragendsten. Zweimal hatte den neunzehnjährigen Jüngling die feindliche Kugel hart begrüßt, als er unter preußischen Fahnen gegen die Franzosen focht. Am schrecklichen Tage von Jena sah er seinen Vater, den einst gefeierten Führer Karl Ferdinand, tödtlich verwundet aus dem Gefecht schleppen, als „armen, blinden Mann“, wie Ferdinand von sich selbst sagte.

Wir Alle, Diejenigen sowohl, welche heute noch als lebende Zeugen jener großen Tage unter uns weilen, als auch die Generation, deren Angehörige nur aus den Berichten der Väter, den Ueberlieferungen in Schrift und Bild Personen und Ereignisse der Franzosenzeit kennen gelernt haben, wir Alle haben oft genug das Bildniß des berühmten „schwarzen Herzogs“ mit der Beutelmütze, dem blauen Rande und dem Todtenkopfe davor betrachtet. Diese Farbe der Trauer, in welche der wackere Herzog sich hüllte, war die Livrée des herben Kummers geworden, den er seit dem Jahre 1806 erlitten hatte. Als Blücher die Trümmer der geschlagenen Armee nach Lübeck führte, befand der Herzog sich unter diesen kämpfenden Flüchtlingen. Sie geriethen Alle in französische

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_116.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)