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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Gefangenschaft. Der Friede von Tilsit gab ihm eine in gewissem Sinne bedauerliche Freiheit wieder. Er war ein entthronter Fürstensohn; die älteren Brüder hatten ihm, dem vierten Sohne des Herzogs Ferdinand, die Herrschaft abgetreten, aber Napoleon’s Machtspruch befahl: das Haus Braunschweig aus der Reihe der regierenden Mächte zu streichen. Der Erbe des Landes lebte still und einsam in Bruchsal an der Seite einer innig geliebten Gattin, Marie, Prinzessin von Baden, glückliche Tage in schöner Häuslichkeit dahin. War der Verlust des Herzogthums schon eine schwere Prüfung gewesen, so legte das Schicksal ihm noch eine, vielleicht herbere auf. Seine Gattin starb nach vierjähriger Ehe, im sechsundzwanzigsten Lebensjahre.

Der Herzog beugte sein Haupt unter diesem gewaltigen Drucke, den das feindselige Geschick auf ihn ausübte, er hob es wieder kühn empor, als im Jahre 1809 mit dem erwachenden Frühling auch wieder ein Ruf nach Freiheit durch Deutschlands Gauen sich fortpflanzte bis hin zu den Tiroler Bergen, bis nach Wien, von wo dieses Mal die Rettung kommen sollte. Der Herzog verließ seine stille Wohnung, sein Tusculum, in welchem er mit der allzufrüh Dahingeschiedenen so glückliche Tage verlebt hatte. Er sah im Geiste, mit jener schwärmerischen Phantasie, welche die Vorläufer des großen Kampfes zu den gewagtesten Unternehmungen gegen den gewaltigen Kaiser trieb, die Heere Rußlands und Preußens mit denen Oesterreichs vereint, die stolzen Fahnen flattern, die Reihen des mächtigen Franzosenheeres wanken und sinken vor dem Angriffe begeisterter Kämpfer für Deutschlands Freiheit. In diesem Feldzuge, den er als nahe bevorstehend glaubte, eine selbstständige Führung übernehmen, ohne einen weiteren Befehl Höherer sich in die Reihen der Feinde stürzen zu können, seiner gerechten Sache freien Lauf lassend, den ihm entrissenen Thron wieder zu erobern – das war es, was den Herzog begeisterte. In seine dunkle, seitdem historisch gewordene Tracht gekleidet erschien er in dem kleinen Städtchen Nachod. Die kaiserliche Vollmacht zur Werbung einer Freischaar ward entfaltet und der Herzog glaubte, der Tag der Freiheit, der Erhebung sei schon gekommen, aber es dämmerte nur fern am Horizonte der goldene Morgen. Es zeigte sich, daß die große Menge des Volkes noch nicht von den Bestrebungen, die Freiheit erringen zu wollen, ergriffen war, denn wenn der Herzog auch fast Ueberfluß an Officieren fand, welche ihm ihre Dienste anboten, so fehlte doch der gemeine Mann und die endlich mühsam zusammengebrachten Truppen bildeten ein buntes Gemisch von Preußen, Sachsen, Braunschweigern, selbst Tiroler Gebirgsschützen.

Der Herzog wendete sich nach Sachsen. Die Operationen erlitten sogleich eine Stockung. Freilich waren zehntausend Oesterreicher vorhanden, welche mit der schwarzen Schaar gemeinsam agiren sollten, aber ihre Unterstützung war eine nachlässige. Der Name ihres Commandeurs war schon Unglück verheißend. Es war der General Am Ende, welcher die Hülfstruppen befehligte. Das Erscheinen des österreichischen Generals Kienmayer ließ zwar den Herzog eine Besserung dieser schlimmen Lage hoffen, fast wäre die Gefangennahme des Königs von Westphalen, Jérome’s, zu Schleiz gelungen, aber da brauste auf den Schwingen des Unheils die Nachricht von einer großen, verlorenen Schlacht heran: „Wagram!“ erscholl es. Napoleon hatte gesiegt. Zum zweiten Male zieht er als Sieger in die kaiserliche Hauptstadt Wien. Oesterreich ist überwunden und der „Schwarze Herzog“ mit seinen Getreuen verlassen.

Die Mannhaftigkeit des Braunschweigers ward nicht erschüttert; aber er hielt es für seine Pflicht, den ihm untergebenen Leuten freie Wahl bei so bedenklicher Lage zu lassen, und stellte Jedem anheim, zu bleiben oder zu gehen. Der übermüthige Feind behandelte die Angehörigen des herzoglichen Freicorps wie Räuber. Was aber die Franzosen nicht ausführen konnten, dazu gaben sich, es ist schrecklich genug, Deutsche her. Der sächsische Oberst Thielmann hatte bereits, ohne sich an die durch den Herzog angedrohten Repressalien zu kehren, verschiedene Gefangene erschießen lassen.

Am Hofe Jérome’s nannte man die Freischaar des Herzogs „die schwarze Räuberbande des Braunschweigers“. Sämmtliche Mannschaften waren also schwer bedroht. – In dieser furchtbaren Lage tauchte in der weiten Ferne eine Art von Fata Morgana auf. Ein Gerücht ließ die Engländer an den Küsten des Meeres gelandet sein. Der Herzog beschloß, den Gelandeten die Hand zu reichen und durch zwei Officiere erforschen zu lassen, an welchem Punkte die Bundesgenossen ihren Fuß auf das deutsche Land gesetzt hätten. Diese beiden Officiere waren Oberst von Dörnberg und Capitain von Oppen. Sie kehrten bald genug mit der Nachricht zurück, daß von einer Landung der Engländer gar nicht mehr die Rede sein könne. Also „die Waffen auf, die Fahnen frei zum Flattern“ und im gefährlichen Marsche gegen die Elb- und Wesermündungen. Während des Marsches zeigen sich Symptome drohender Art. Die Mannschaften werden durch feige und böswillige Einflüsterungen wankend gemacht. Erst das entschiedene Auftreten des Herzogs sichtet die Braven von den Feiglingen. Die Schaar der muthigen Männer, welche treu bei ihm ausharren werden, hat sich bedeutend verringert. Als in Altenburg der Herzog seine Leute mustert, kann er noch über tausendvierhundert Mann Infanterie mit vier Geschützen und über sechshundert Mann Cavallerie verfügen; mit dieser kleinen Macht soll eine Marschroute von sechszig Meilen, welche mitten durch Angriffe, Tod und Verderben läuft, zurückgelegt werden. Die Sonne schießt Feuerpfeile herab, der Staub und der Wassermangel ermatten die braven Schwarzen und auf dem Wege von Borna nach Leipzig erleidet das Jägercorps noch einen Verlust von neunzehn Mann durch feindlichen Ueberfall. Schrecklich, entsetzlich: die Feinde sind Deutsche! Es sind sächsische Reiter, welche diese kleine Heldenschaar aus dem Hinterhalte her anfallen; sie sind nicht nur gefährliche Feinde der eigenen Brüder, sie sind auch grausame Peiniger, sie mißhandeln selbst die Verwundeten.

Oberst Thielmann verfolgt den Herzog und seine Schaar bis Lauchstädt. Hier, an den Grenzen des damaligen Königreiches Westphalen blieb er stehen. In Halle bereitete die Studentenschaft den Schwarzen einen begeisterten und begeisternden Empfang, der für die durch Deutsche erlittene Unbill reichlich entschädigte, und am 27. und 28. Juli setzte der Herzog seinen Marsch über Hettstedt fort; er traf am 29. Juli Vormittags in Quedlinburg ein und ließ seine Schaar auf dem Kleerse Halt machen.

Während die Schwarzen hier von den Bürgern festlich bewirthet wurden, erfuhr der Herzog durch vorausgesendete Flankeure, daß der Oberst Graf von Wellingerode mit dem fünften dreitausend Mann starken Infanterie-Regimente, auf dem Marsche nach der Weser begriffen, Halberstadt besetzt habe und dort die Nacht zu verbleiben gedenke. Diese Truppen waren Westphälinger. Der Herzog war nicht im Stande die Stadt zu umgehen, ebensowenig konnte er es riskiren, die Feinde unangegriffen zu lassen. Bei der Uebermacht Wellingerodes lief er Gefahr, eingeschlossen, niedergemetzelt oder gefangen zu werden. Er mußte angreifen und den Feind zurück oder auseinander werfen. Dies zur Abwehr vieler Behauptungen, daß der Herzog nur eine kühne That, eine Art abenteuerlichen Streiches habe vollbringen wollen, als er den Angriff auf die Stadt beschloß.

In Halberstadt war man so wenig auf kriegerische Ereignisse vorbereitet, daß noch am Nachmittag um vier Uhr die Bürger unbesorgt ihre Spaziergänge machten, als plötzlich von den Spiegelsbergen aus sich ein seltsames Phänomen zeigte. Es erschienen nämlich in der Nähe des Dorfes Harsleben lange Züge schwarzer Männer zu Roß und zu Fuß, welche sehr schnell gegen die Stadt vorrückten und bald darauf Geschützfeuer gegen Halberstadt abgaben. Sofort ließ Wellingerode in der Stadt Alarm schlagen. Das westphälische Regiment, welches auf dem Domplatze seine Quartierbillets empfangen hatte, war zum Theil schon versammelt, als die Nachricht vom Anrücken der Braunschweiger eintraf.

Augenzeugen berichten, daß diese deutschen Truppen eine kaum geahnte Kampflust an den Tag legten, als es galt, sich mit Deutschen zu messen. Dessenungeachtet war den vom Feinde eingesetzten Behörden namentlich nicht wohl zu Muthe, und vor allen Anderen fürchteten die in Halberstadt stationirten Gensd’armen den Sieg der Schwarzen. Wellingerode hielt es für angemessen, dem Feinde einige Compagnieen entgegenzusenden. Da man nicht wußte, wann und wo das Gefecht beginnen werde, hatten sich noch Viele sorglos in den Straßen umhergetummelt, Andere waren auf die Kirchthürme gestiegen – aber plötzlich krachte es furchtbar und eine Kartätschkugel fegte durch die Gassen. Die von Wellingerode ausgesendeten Compagnieen waren mit den Schwarzen handgemein geworden und Herzog Wilhelm hatte die Feinde sofort mit Kartätschen empfangen.

Die Westphälinger zogen sich eilig in die Stadt zurück, die Thore, vor denen der Feind sich zeigte, wurden verrammelt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_118.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)