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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


den Unmuth der Majorität erregen, macht sich auch draußen bemerkbar. Im Ganzen spürt man bald, daß die Rolle, die man vor den Schranken der Aula spielt, eine undankbare ist, und verläßt die Peterskirche. Politische Correspondenten aber, denen eine gewisse Gabe der Wahrsagung verliehen ist, vermögen aus den verworrenen Tönen, die bis zu ihren Ohren gedrungen sind, wie einst die Priester bei antiken Orakeln, genau den Inhalt der Verhandlungen zu verkünden. –

Wenn um ein Uhr und später die Sitzung zu Ende ist, verlassen die Prälaten in der Regel lebhafter und erregter die Peterskirche, als sie sie betreten haben. Da sieht man sie in Gruppen, die um bedeutende Führer sich geschaart haben, über den Petersplatz hin ein weites Stück zu Fuß gehen, ehe sie sich trennen und in die ihnen nachfolgenden Wagen steigen. Leute wie Dupanloup und Matthieu, die Führer der französischen Liberalen, Manning, der Erzbischof von Westminster, und Deschamps, der von Mecheln, zwei Hauptleute der Infallibilisten, haben ihre Landsleute um sich versammelt; vor Allem Stroßmayer, der Bischof der Kroaten, der durch die Unumwundenheit und das Feuer seiner Rede, durch die Schärfe, mit der er die Pläne der römischen Jesuitenpartei aufdeckte, der ergebenen Mehrheit der Versammlung keinen gelinden Schreck verursacht hat, ist stets von österreichischen und deutschen Bischöfen umdrängt. Er gilt, seitdem er seine tapfere Rede gehalten, als der eigentliche Führer der Liberalen dieser Nationen, wenn man auch die äußeren Ehren eines solchen mehr dem Cardinal-Erzbischof von Prag, Fürsten Schwarzenberg, dem älteren und an Rang höher stehenden Manne, darbringt. Der fanatisch blickende schöne Bischof von Urgel, ein echter Spanier, und der eben mit dem Cardinalshut gekrönte Erzbischof Moreno von Valladolid sammeln in der Regel die Väter dieser Nation um sich, auf deren Mienen man nicht gerade immer Zufriedenheit mit dem Gange der Berathungen liest. –

Nachmittags, besonders Sonntags und Donnerstags, wo bei hellem sonnigem Winterwetter unter den Klängen der Militärmusik der Monte Pincio sich mit den corsofahrenden vornehmen Römerinnen und mit Fremden aller Nationen füllt, lustwandeln auch die Väter des Concils mit Vorliebe im Grünen und betrachten sich zur Erholung alle die wunderbaren Schönheiten, die diese einzige Promenade der Welt bietet. Kommt doch auch der heilige Vater selbst bisweilen dorthin, wenn es die drückende Geschäftslast und sein Gesundheitszustand erlauben. Dann erscheint einige Hundert Schritt vor seinem goldenen Wagen ein glänzender Vorreiter, der seine Ankunft verkündigt. Alles macht Platz, Jeder sucht einen Punkt, wo er den Papst am bequemsten besehen, respective sich den Segen geben lassen kann. Die Musik verläßt die große Palme, um die herum sie gewöhnlich postirt ist, stellt sich an der Seite der Fahrstraße auf und spielt den von Gounod zum fünfzigjährigen Jubelfest des Papstes eigens componirten Hymnus.

Pio Nono, mit dem großen rothen Cardinalshut bedeckt, steigt aus, und von Cardinälen und ausgewählten Kirchenfürsten umgeben, geht er langsam und unaufhörlich den Segen ertheilend einige Male die Anlagen auf und ab, während die Menschenmasse nachziehend und viva il Papa rufend ihm den Genuß der Naturschönheit eigentlich sehr streitig macht. Viele auch – besonders Weiber – drängen sich direct an ihn heran und bitten um einen ganz speciellen Segen. Unter solchen Umständen bleibt Pio Nono in der Regel nicht länger als höchstens eine Viertelstunde auf diesem angreifenden Spaziergange, dann fährt er wieder durch den Corso im geschlossenen Wagen nach dem Vatican zurück.




Blätter und Blüthen.


Lehrernoth. Vor einigen Tagen las ich in Nr. 48 der Gartenlaube vom vorigen Jahre den interessanten Artikel „Ein preußischer Subalternbeamter“, und dies veranlaßt mich, Sie mit diesem Schreiben zu belästigen. Ich bin überzeugt, daß Sie, der Sie mit so regem Interesse an allen öffentlichen Zeitfragen Theil nehmen, mir diese Freiheit verzeihen werden.

In dem erwähnten Artikel werden die Gehaltsverhältnisse der Subalternbeamten der preußischen Gerichte beleuchtet, und durch Thatsachen der Beweis geführt, wie ein solcher Beamter durch die schlechte Besoldung leicht genug zum Verbrechen getrieben werden kann.

Es ist nicht zu bestreiten, daß das Einkommen der Subalternbeamten theilweise besser sein könnte, aber ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich, ein preußischer Lehrer, und Tausende meiner Collegen uns glücklich schätzen würden, in pecuniärer Hinsicht so gestellt zu sein, wie die Subalternbeamten. Höher versteigen sich unsere Wünsche nicht – und dennoch klagt man uns von gewissen Seiten offen und rückhaltslos der Unbescheidenheit an. Um zu beweisen, daß ich nicht übertreibe, erlaube ich mir folgendes Thatsächliche über unsere Gehaltsverhältnisse in Kürze hier mitzutheilen.

Ich bin fast zehn Jahre im Amte. Ehe ich hierher versetzt wurde, war ich in einer kleinen Stadt von zweitausend Einwohnern angestellt und bezog sieben Jahre lang ein baares Gehalt von hundertfünfzig Thalern jährlich nebst freier Wohnung. Noch zwei andere meiner dortigen Collegen bezogen dasselbe Gehalt. Und bei diesem enormen Einkommen hatte ich den Muth, mich zu verheirathen und glücklich sein zu wollen. Daß Schmalhans täglich Küchenmeister war, ist leicht zu begreifen; aber dennoch mußten wir davon leben: Schulden sollten nicht gemacht werden, obgleich dieselben unvermeidlich waren, und dabei mußte auch der äußere Schein gewahrt bleiben. Wie es möglich war, mit diesem Gehalte nur einigermaßen auszukommen und nicht dabei zu verhungern, wird Manchem wohl unbegreiflich sein, und der Einblick in unser tägliches Ausgabebuch, welches ich eine Zeit lang gewissenhaft geführt, würde wohl Ihre gerechte Bewunderung erregen. Weil nun die würdigen Vertreter der Stadt gar nicht einsehen wollten, daß mit solchem Gehalte nicht auszukommen sei, bewarb ich mich um andere Stellen, und es gelang mir, an der hiesigen Bürgerschule mit zweihundertfünfundzwanzig Thalern ohne freie Wohnung angestellt zu werden. Ich wähnte mich glücklich – aber ich war aus dem Regen in die Traufe gekommen; denn die hiesigen Theuerungsverhältnisse sind ganz anderer Art, als die der kleinern Stadt. Noth und Sorgen blicken selbstverständlich täglich zum Fenster herein. Miethe, Feuerungsbedarf, anständige Kleidung für Frau und Kinder, und alle sonstigen Bedürfnisse des Lebens sollen von diesem Gehalte bestritten werden. Es kamen Krankheitsfälle in meiner Familie vor – und um nicht geistig zu versumpfen, mußte doch auch für Fortbildung etwas gethan werden, was natürlich Alles Geld kostet.

Es bedarf wohl keiner Versicherung weiter, daß die größte Kunst dazu gehört, sich unter diesen Umständen ehrlich durch das Leben hindurchzuwinden. Von einundzwanzig Lehrern, die sich hier befinden, beziehen die meisten dasselbe Gehalt wie ich, einige etwas mehr; aber nur drei haben das Gehalt eines Bureau-Assistenten, dreihundertfünfzig Thaler, und das sind Männer, von denen der eine bald dreißig, die beiden anderen über dreißig Jahre im Amte sind. Dabei sind die hiesigen Verhältnisse noch nicht einmal die schlechtesten. Trotzdem man nun den Lehrerstand, der doch mit der wichtigste Stand im Staate ist, so kärglich hinstellt, wird doch von ihm Berufsliebe, Berufsfreudigkeit und noch vieles Andere verlangt. Denken Sie sich hinein in diese Lage, geehrter Herr, und Sie werden mir Recht geben, wenn ich nochmals behaupte: glücklich, dreimal glücklich würden wir Lehrer sein, wenn unsere Besoldung durchschnittlich so beschaffen wäre, wie die der Subaltern-Beamten der preußischen Gerichte! – Ob sich dieser bescheidene Wunsch erfüllen wird, darüber liegt die Entscheidung noch in weiter Ferne. Wenn es in jetziger Zeit häufig vorkommt, daß Lehrer ihr Amt aufgeben und eine andere Carrière wählen, ist ihnen dies wahrhaftig nicht zu verdenken, denn Entbehren und Entsagen ist der meisten Lehrer herbes Loos!

Es wird mir sehr angenehm sein, wenn Sie diese Zeilen der Veröffentlichung werth halten; doch bitte ich dann, meine Namensunterschrift und den Ortsnamen wegzulassen, da ich sonst Maßregelungen zu befürchten haben würde. Es ist ja allbekannt, daß unsere größten Gegner unsere nächsten Vorgesetzten, die Pastoren, sind, wie auch Sie zur Genüge schon erfahren haben werden, daß die meisten Priester entschiedene Feinde der Gartenlaube sind. So eiferte der zweite Prediger in J–w eines Sonntags eine halbe Stunde lang gegen das Lesen der Gartenlaube, und nannte unter anderm die Gartenlaube ein gefährliches Gift, welches den Verstand berücke und durch seine Süßigkeit schleichend, aber sicher Herz und Seele vergifte.

Er selbst aber las sie mit dem größten Interesse!

Ein preußischer Lehrer. 



Kleiner Briefkasten.

J. v. F… in Petersburg. Ihr Artikel über die Transmutationstheorie, unaufgefordert und unfrankirt eingesandt, steht Ihnen gegen Ersatz der Portokosten wieder zur Verfügung.

B. D. in Paris. Pfingstfreitag – nicht verwendbar.

F. W. in Hbg. Wir wissen, daß das neulich mitgetheilte Gedicht Bürger’s schon früher veröffentlicht worden ist, ohne jedoch in weitere Kreise gedrungen zu sein, und haben dies auch bei seinem Abdrucke in der Gartenlaube selbst betont. Uebrigens ist das Gedicht wirklich von Bürger und das Original befindet sich in den Händen Hermann Althoff’s zu Detmold, der, wie wir aus seiner in diesen Tagen erfolgten fr. Mittheilung an uns ersehen, demnächst zahlreiche, in seinem Besitz befindliche Briefe Bürger’s der Oeffentlichkeit übergeben wird.




Inhalt: Aus eigener Kraft. Von W. v. Hillern. (Fortsetzung.) – Aus den Zeiten der schweren Noth. Der schwarze Herzog vor Halberstadt. Von G. Hiltl. Mit Abbildung. – Eine Theaterprobe. – Die gütige Fee des Erzgebirges. Mit Portrait. – Im Banne der Engelsburg. II. – Blätter und Blüthen: Lehrernoth. – Kleiner Briefkasten.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_128.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)