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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

herabzuwerfen. Geht sie über Flüsse und Seen oder entsteht sie daselbst, so bilden sich leicht Wasserhosen, welche am nächsten Ufer furchtbare Verwüstungen anrichten können.

Furchtbar aber in ihrer vernichtenden Wuth sind die Cyclone, welche fast nur ganz bestimmte Gegenden heimsuchen und dort mit verschiedenen Namen wie Hurricane, Tornado, Teifun bezeichnet werden. Sie sind Wirbelwinde, zum Ungeheuern vergrößert. Bei einer Drehungsgeschwindigkeit von sechszig bis neunzig Seemeilen in der Stunde vermögen sie auch noch mehrere hundert Meilen in einem Tage fortschreiten; immer aber liegt ihre zerstörende Gewalt in der kreisenden, nicht in der fortschreitenden Bewegung, und dadurch vor Allem unterscheiden sie sich von dem aus weite Entfernungen geradeaus streichenden Sturm.

Je näher der Mitte des Wirbels, desto größer ist die Gefahr, die im Centrum ihren Höhepunkt erreicht; die hier von allen Seiten hereinbrechenden Wellen erzeugen eine so furchtbare Kreuzsee, daß jedem Menschenwerk die Vernichtung beinahe gewiß ist.

Die Cyclone entstehen, vielleicht ohne Ausnahme, innerhalb der Wendekreise und zwar hauptsächlich in den beiden Gürteln, welche zwischen je zehn und zwanzig Grad nördlicher oder südlicher Breite liegen. Von diesen zwei auf beiden Seiten des Aequators liegenden Zonen bewegen sie sich stets nach dem je nächsten Pole zu, aber so, daß sie immer wirbelnd, bis zum ungefähr dreißigsten Grade der betreffenden Breite zugleich auch in westlicher Richtung fortschreiten, dann aber sich wendend ostwärts ihren Verlauf nehmen. Ihre Bahnen sind also Curven und immer nach Westen zu convex. Die Drehung um die eigene Achse ist aus jeder einzelnen Hemisphäre stets dieselbe, für beide aber eine gerade entgegengesetzte. Auf der nördlichen Halbkugel ist die Richtung derselben stets gegen die der Zeiger einer Uhr, auf der südlichen Halbkugel stets mit den Zeigern der Uhr. Beim Anzuge eines Cyclon gilt daher zur See die Regel: Mache Front gegen den Wind, und auf der Nordhälfte der Erde ist das Centrum desselben zur rechten, auf der Südhälfte aber zur linken Hand.

Diese regelmäßige Uebereinstimmung hier angeführter Thatsachen zeigt, daß derartige Stürme genauen Gesetzen unterliegen, und macht es möglich, ein System der Wahrscheinlichkeit zu entwerfen rücksichtlich der Jahreszeit, der Bahn und Bewegung derselben, so daß ein erfahrener Seemann, zur rechten Zeit gewarnt, sein Schiff dem nahenden Verderben aus dem Wege führen kann. Viele Fälle sind bekannt, daß solches auch wirklich gelang; andere Fahrzeuge wieder, welche zu plötzlich überfallen wurden, liefen vor dem Sturme einher und beschrieben in ihm einen oder auch mehrere vollständige Kreise, und noch andere, leider nur zu viele derselben, gingen und gehen noch rettungslos zu Grunde, und nichts bleibt, um ihr trauriges Schicksal zu verkünden. So ging im November 1861 unweit der holländischen Küste die vielgenannte preußische Corvette „Amazone“ verloren, und ein anderes Fahrzeug der jungen Marine, der unglückliche Schooner „Frauenlob“, verschwand spurlos im September 1860 während eines Teifuns in der Nähe von Japan. In neuester Zeit erst, am achtzehnten December 1869, ging während eines Orcans die französische Dampfcorvette „Gorgone“ unweit Brest mit sämmtlicher Besatzung, hunderteinundzwanzig Mann stark, zu Grunde. Einige Seemannshüte und etwas Holzwerk war Alles, was von dem stolzen Kriegsdampfer wiedergesehen wurde.

Westindien wird am meisten von diesen Ozeanen heimgesucht, sie herrschen dort, wie auch in den chinesischen Meeren, also in der nördlichen Hemisphäre, vorwiegend in den Monaten Juli bis October; im indischen Meere aber und in der Inselwelt von Polynesien von Januar bis März. Die Bahnen, welche sie verfolgen, sind gewöhnlich die der vom Aequator kommenden, also warmen Meeresströmungen; auffällig so in Bezug auf den japanischen Strom, noch deutlicher aber hervortretend im nordatlantischen Ocean, wo der scharfbegrenzte Golfstrom seine Fluthen an den Küsten der Vereinigten Staaten entlang und dann nach Europa hinüberwälzt. Obgleich diese Wirbelstürme sich zum großen Theil in den Tropengegenden austoben, so tragen sie doch auch häufig ihre verheerende Wirkung weit über jene Zonen hinaus. Die Westindischen ziehen oft bis zu den nebeligen Bänken von Neufundland, es läßt sich wohl auch annehmen, daß sie, immer dem Golfstrom folgend, sogar quer über den atlantischen Ocean marschiren.

Selbst bis in die Polargegenden verirren sie sich. Ende September 1866 erlebten wir im Eismeere nördlich der Bering-Straße, in Sicht von Cap Lisburne, einen solchen Sturm, dessen Bahn rückwärts wahrscheinlich bis in die chinesischen Gewässer reichte und der während seiner Dauer von fünf Stunden Schiff und Bemannung der Vernichtung nahe brachte. Geht ein Cyclon über Land, so sind die angerichteten Verwüstungen oft unglaublich. Nichts kann seiner Wuth widerstehen. Häuser, ganze Städte werden zerstört, Wälder und Pflanzungen verwüstet; sogar schwere Festungsgeschütze sind fortgeschleudert und die starren Linien der Fortificationen in unförmliche Trümmerhaufen verwandelt worden, große Schiffe wurden selbst im Hafen versenkt oder von ihren Ankerplätzen gerissen und mit Hülfe der empörten See an’s Land geworfen, wo sie hoch und trocken liegen blieben als traurige Zeugen menschlicher Ohnmacht. Ich will nun einen solchen Sturm schildern, wie ich ihn selbst erlebt habe.

Am 21. December 1867 verließ unser Schooner Ricardo die Insel Guadeloupe. An Bord befanden sich sieben Mann, eine genügende Anzahl von Händen, um das meisterlich construirte Fahrzeug zu führen; eine reiche Ladung füllte nicht nur den Raum desselben, sondern lag auch theilweise an Deck aufgestapelt, so daß die Belastung eine fast übermäßige genannt werden konnte. Die ganze Leinewand war gesetzt; das Tauwerk knackte und reckte sich und die schlanken Stangen bogen sich unter der Wucht der Segel, die den prächtigen Klipper in seiner ganzen Schönheit dahinbrausen ließen. Sein zierlicher, langgestreckter Rumpf, die beinahe unverhältnißmäßig hohen Masten, welche, im angestrafften Takelwerk gehalten, die mächtige Segelfläche stützten, mußten jedes Seemanns Auge erfreuen; uns schwoll das Herz in der Brust, als unser Liebling, coquettirend mit Wind und Wellen, hinausflog in die blaue unendliche Weite, und beneidenswert dünkte sich, wer am Steuer mit sicherem Druck der Hand das stolze Gebäude beherrschte. Bald entschwand das Land in duftiger Ferne, um uns Wasser, Himmel, Sonnenschein; wer denkt wohl in solcher Zeit, wie wenig zuverlässig Wind und Wellen sind.

Ein kluger Neufundländer, der langjährige treue Begleiter des Capitäns – und, wie dieser versicherte, ein Hund, der jeden Cours genau kannte – tobte bellend und mit lustigen Sprüngen an Deck umher, als wenn auch er sich freute das Wogen des Meeres wieder zu fühlen.

Zwei Tage lang eilten wir nordwärts in schneller Fahrt, dann wurde die Brise flau, unbestimmt und schlief endlich ganz ein; um Mittag hatten wir vollständige Windstille, während die Sonne heiß und stechend vom heitern Himmel niederschien. Noch einmal kehrte unsre alte Brise zurück, änderte aber bald in jähem Wechsel ihre Richtung, wurde sehr frisch und erstarb wieder nach kurzer Zeit. Wir erwarteten eine Bö (Gewittersturm) und nichts weiter, denn im Süden hingen schon lange dunkle Wetterwolken und auch im Osten begannen sie sich schwarz emporzuthürmen. Ein fröstelnder Hauch traf uns warnend von dort, mehrere Wasserhosen entstanden und kamen gleich schwankenden Gespenstern der Tiefe, brausend und tobend mit Wind und Wetter heran. Wir hatten Donnern und Blitzen schwere Regenschauer und dann wieder klares Wetter; schnell, wie er gekommen, verzog sich der Gewittersturm nach Westen. Ihm folgten bald noch mehrere, und dann fegte schwül und gewaltig eine dunstige Windsbraut von Süden herauf; einige Meilen weit flogen wir vor ihr her, bis auch sie ausblieb und wir wieder todt auf dem Wasser lagen.

Solche Störungen waren in diesen Gegenden nichts Ungewöhnliches; die weit verstreuten Inseln und Riffe, die Meeresströmungen und die hierher fallenden Grenzen vorherrschender Winde geben hinreichende Veranlassung zu einem häufigen und plötzlicher Wechsel der Witterung.

Im Luftreiche zeigte sich große Verwirrung, die Winde schienen miteinander zu kämpfen und jagten sich von allen Seiten. Sausend fuhren sie durchs Takelwerk, stoßweise und in jähem Wechsel, die Segel flatterten und schlugen mit unleidlichem Getöse, Hölzer und Blöcke schwangen sich seufzend in ihren Befestigungen, Ketten klirrten und klangen; endlich herrschte wieder bange Windstille.

Fast überrascht bemerkten wir jetzt langsam und allmählich um uns eingetretene Veränderungen. Der Himmel hatte seine Durchsichtigkeit verloren und rückte uns gleichsam in geschlossener Form näher, ganz als wollte er die Sonne von unserer Welt ausschließen; von weit her sandte sie ihre Strahlen, ein todtes bleiches Licht verbreitend, wie bei einer Verfinsterung. Rings um sie zeigie sich eine seltsame Schattenbildung, zunächst der glanzlosen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_154.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2020)