Seite:Die Gartenlaube (1870) 155.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Scheibe am dunkelsten hervortretend, nach außen hin sich abschwächend, so daß bei einem längeren Hinsehen die Täuschung entstand, als ob die Sonne durch eine tiefe, trichterförmige Oeffnung im Firmament schiene. Die Atmosphäre wurde schwül und beklemmend, der Gesichtskreis enger, aber merkwürdig scharf und bestimmt. Es lag ein Etwas in der Natur, das man mehr fühlt als sieht, etwas Banges, Unheimliches, Verderbenschwangeres. –

Am Bollwerk hat sich der Hund ausgestreckt, schwerathmend und uns mit ängstlichen Blicken ansehend; wir gießen einige Eimer Seewasser über ihn, aber anstatt sich wie gewöhnlich mit freudigen Sprüngen zu schütteln, giebt er nur ein klägliches Winseln von sich.

Unser wettergrauer Capitain, der nun schon über dreißig Jahre diese Gewässer befährt, schaut mit besorgten Blicken umher, er prüft Wind und Wellen und beobachtet das Barometer. „Das braut ein Höllenwetter!“ stößt er hervor, als er in die Kajüte hinabtaucht; aber da er wieder an Deck tritt, hellt sich seine düstere Miene auf; der Alte kennt keine Furcht. In schneller Folge hallen seine Befehle und deren eintönige Wiederholung hin und zurück, eine nach der andern rauschen die letzten Segelflächen nieder und werden sorgfältig gerollt und verbunden. Die kleinen Sturmsegel vom besten, schwersten Stoff werden gesetzt und alles Bewegliche an Deck nochmals gesichert. Hastig und schweigend arbeiten die Leute, ganz gegen die Gewohnheit der Matrosen ist kein ermunterndes Wort, kein rauher Scherz zu hören.

Das Barometer, dieser getreue Warner des Seemanns, ist stetem Sinken begriffen; die Wellen fangen an sich unregelmäßig überstürzen und umlaufen immer verwirrter das taumelnde Fahrzeug. Es ist Alles so seltsam um uns, jeder Ton, jedes Geräusch klingt so ganz anders als sonst, verhallt so kurz und dumpf, als würde es von der Luft erdrückt. Ein unbehagliches Gefühl bemächtigt sich unser, Gesicht und Hände fangen an unerträglich zu brennen.

Der Abend bricht herein. Die Sonne sinkt in dichte Nebelschleier und läßt sie erglühen, als wenn die Welt in Feuer stünde. Vom Mast aus zeigt sich nichts als eine weite wogende Wasserwüste mit fahlem Lichte übergossen, darüber spannt sich ein Bleigewölbe und rings umdrängt uns der flammende Horizont; – noch immer herrscht große drohende Stille.

Es wird dunkler. Langsam verschwinden die düsteren Farben und jetzt, dort im Süden, zieht es heran, mehr und mehr tritt es hervor, ein schwarzes Wolkengeschiebe, still, tückisch herankriechend wie das Verderben. In ihm zuckt und flimmert ferner Wetterschein, unheimliche Streifen schiebt es voraus, verzerrte Dunstgebilde, die sich wie gespenstische Arme nach dem Zenith hinaufrecken. Ein beängstigender Geruch verbreitet sich und dicke schwüle Finsterniß senkt sich herab; uns wird so enge, so bange, als müßten wir ersticken. Auf den Mastspitzen wiegen sich St. Elmsfeuer und bleiche Strahlenkronen schmücken alle oberen Hölzer, die ganze Takelage schimmert mit lebendem Licht und zeigt sich auf dem dunklen Grunde der Nacht. Wesenlose Flämmchen hüpfen und flattern auf und nieder, jetzt hier, jetzt dort; allüberall webt und schwebt geheimnißvoller Schein.

Einzelne Vögel huschen mit hastigem Flügelschlage an uns vorüber, wir hören sie im Tauwerk, am Verdeck; suchen sie Zuflucht beim Menschen?

In der Kajüte ist der Dunst wahrhaft erstickend; der Hund liegt keuchend unter eine Schlafstätte gezwängt. – Immer noch Windstille. Weit umher leuchtet das Meer in wunderbarer Pracht, zuweilen trifft eine rollende Welle mit dumpfem Schlage gegen die Seite und sprühend sendet sie funkelnde Tropfen über das Verdeck. Das hohle Brausen der See, das Knarren und Stöhnen des Schiffes klingt dumpf und schauerlich; es ist uns, als vernähmen wir seine Klagelaute und Stimmen vom Maste herab, aus dem Wasser herauf. Die Minuten werden uns zu Stunden in banger Erwartung. – Endlich, endlich Bewegung! Wir athmeten auf wie von schwerem Druck befreit. Ein leiser Lufthauch zog durch die Nacht, erstarb nach einiger Zeit und kam wieder als eine leichte erfrischende Brise. Auch sie blieb aus und sprang bald von Neuem auf; der schwache Hauch wurde zum mächtigen Sturm, über uns, um uns begann es zu tönen, erschütterndes Pfeifen und Sausen ließ sich im Tauwerk hören, die Wanten vibrirten; stärker und stärker wurde der Wind; stoßweise aussetzend, wiederkehrend und schnell und schneller zum Sturm anschwellend, fernes Getöse wurde vernehmbar – und dann plötzlich kam es über uns wie der Untergang der Welt. Brüllend und heulend traf es uns mit entsetzlicher Gewalt, die ganze Natur erhob sich in wilder Empörung. Zerpeitscht und in Gischt davongewirbelt wurde die See in ihren Tiefen aufgewühlt und erstickte, blendete uns; das Schiff lag todt in das Wasser gedrückt; betäubt und hülflos klammerten wir uns fest.

Ein solcher Aufruhr der Elemente läßt sich nur schwer in allen Einzelheiten schildern, die Sinne werden verwirrt und reichen nicht hin die furchtbare Wirklichkeit zu zergliedern. Ein kurze Pause folgte und dann brach das Wetter mit verdoppelter Wuth über uns herein; in Fetzen gingen die schweren Sturmsegel; mächtige Sturzseen kamen an Bord, das einzige Boot wurde zertrümmert davongeführt; das Fahrzeug schlingerte und stampfte in wilden Sprüngen. Wieder brauste schäumend ein ungeheurer Wasserschwall heran und begrub das kleine Schiff, es arbeitete und stöhnte wie ein gequältes Wesen, ein Ruck, ein Krachen, haltlos schnappten die schwingenden Masten rückwärts – und über Bord ging Alles in zerschmetterndem Sturze. Da lag der Schooner, todt, unlenkbar und halb unter Wasser, quer in den empörten Elementen, ein unbehülfliches Wrack. Die schweren Masten, noch im Tauwerk hängend, kamen mit dröhnenden Stößen gegen den Rumpf und verdoppelten die Gefahr unserer Lage, während von der Wetterseite See auf See hereinbrach, alle an Deck befindlichen Gegenstände lockernd, zerschlagend, hinwegwaschend. Der Schooner mußte freigemacht werden oder zu Grunde gehen. Immer wilder, immer gewaltiger raste der Sturm, erbarmungslos zerstörend, was ihm widerstand; Welle auf Welle donnerte gegen die Schanzverkleidung, das Holzwerk krachte und splitterte unter der Wucht der Schläge, endlich gab es nach und wie eine Lawine stürzte es herab, Wassermassen, Holzstücke, schwere Fässer – sie trafen auf das gegenüber und tiefer liegende Bollwerk, zertrümmerten es und nahmen Alles, Alles mit sich hinaus in die hungrige Tiefe.

Unser alter Capitain war schwer verletzt und wir schafften den Todtgeglaubten nach der Kajüte; auch hier herrschte Verwüstung und trieb uns wieder an Deck. Das Fahrzeug war von den Masttrümmern und von der schwere Deckladung befreit, es hatte sich aufgerichtet und kämpfte wacker gegen die frei darüber brechenden Wellen. Grelle Streiflichter erhellten momentan die Scene; ein neuer Schrecke erwartete uns, wir standen erstarrt, betäubt – das Verdeck war leer, die drei Männer, welche am Vordertheil gearbeitet hatten, waren verschwunden. Wir sahen nichts, wir hörten nichts von den Unglücklichen, sie waren verloren, rettungslos verloren, vergangen im Meere wie die ungewisse Welle, grablos und doch begraben für immer.

Nach einiger Zeit bemerkten wir eine Abnahme des Sturmes, auch fing er an unregelmäßig zu blasen; es wurde heller, Blitze zuckten und einzelne Regentropfen klatschten nieder. Eine furchtbare See bedrohte uns. Die Wellen kämpften in chaotischen Massen miteinander, sich überwälzend stürzte sie schäumend und brausend zusammen und wieder emporschießend in flüssigen Pyramiden schleuderten sie das Schiff umher, daß kein Mast, kein Tauwerk hätte widerstehen können. Ein fahler Dämmerschein verbreitete sich und verschwand in jähem Wechsel, schwarze Dunstmassen wirbelten und jagten entlang wie Geisterschaaren, plötzliche Windstöße brausten vorüber, gerade auf uns herabstürzend, bald da, bald dort kommend, waren sie auch schon vorbei. Die Elektricität umspielte uns wie höllisches Feuerwerk, knatternd und springend in Funken und Strahlenbündeln auf- und niederfahrend, und der Regen prasselte in Strömen herab, stetig, unerbittlich, als wollte er das Meer ertränken.

Nicht lange und der Orkan brach von neuem los, aber nun aus einer der früheren fast entgegengesetzten Richtung kommend; das Holzwerk erbebte unter seiner gewaltigen Wucht, doch erdrückte er die wilde See und riß sie mit sich fort.

Das Schlimmste war geschehen; wir mußten geduldig ausharren, machtlos in diesem Toben der Elemente konnten wir nichts zu unserer Rettung thun. Wer aber bis zuletzt für sein Leben kämpfen will, wer sich nicht gläubig den Geschicken unterwerfen kann, für den ist es grausam sich passiv verhalten zu müssen.

Der Sturm war vorübergezogen. Trübe und düster graute der Morgen, die ganze Natur erschien verstört und trauernd, kein Sonnenstrahl erquickte uns und schwere Wolkenschichten brüteten über der brausenden See. Himmel und Wasser dehnten sich um

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_155.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)