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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 11. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Aus eigener Kraft.
Von W. v. Hillern geb. Birch.
(Fortsetzung.)

Am andern Tage übten sich Egon, Victor und der Freiherr zum Zeitvertreib im Scheibenschießen. Adelheid hatte in einer übermütigen Laune – sie war jetzt oft so ausgelassen, wie man sie nie gesehen – ein Bild von sich hergegeben, welches als Ziel dienen sollte. Egon hatte protestirt; er meinte, die Hand würde ihm zittern bei dem Gedanken, solche Schönheit zu zerstören; aber Adelheid bestand darauf, sie wollte ihren Spaß haben. Das Bild, ein Kniestück, ward der Scheibe aufgeklebt, und statt des schwarzen Punktes wurde in der Herzgegend mit Tinte ein Herz gezeichnet. Aber keiner der Herren hatte es bis jetzt getroffen, zur großen Freude Adelheid’s. Da forderte der Freiherr den Candidaten, der mit Alfred und Aenny von fern stand, auf, sich zu betheiligen. Er trat heran.

„Haben Sie neben Ihren Unterrichtsstunden auch noch Zeit gehabt, derlei ritterliche Künste zu üben?“ fragte Egon in beleidigendem Tone.

„Man lernt auf den Universitäten ebenso gut seine Ehre zu vertheidigen wie in den Cadettenhäusern,“ war Feldheim’s ganze Antwort. Er stand während dieser Rede mit dem Rücken gegen die Scheibe, spannte den Hahn, drehte sich um und schoß, fast ohne zu zielen, dem Bilde das Herz aus.

Victor klatschte in die Hände. „Ein Meisterstück! Onkel Egon, das kannst Du nicht einmal!“

„Ein glücklicher Zufall!“ warf Egon hin.

Schweigend lud Feldheim noch einmal und wiederholte das Kunststück; die Kugel ging denselben Weg wie die vorige.

„Fabelhaft!“ schrie Victor.

„Aber sagen Sie mir,“ begann Egon mit verbissenem Grimm, „warum haben Sie Ihrem Schüler nichts von dieser Geschicklichkeit beigebracht? Dieser Unterricht paßte wohl besser für ihn als mancher andere. Alfred ist eine von den Persönlichkeiten, die Jeder ungestraft beleidigen zu können glaubt; da wäre es gerade am nöthigsten, daß er sich vertheidigen lernte.“

Der Candidat zuckte die Achseln. „Nicht jeder, der uns beleidigt, ist es werth, daß wir uns um seinetwillen einen Mord auf die Seele laden.“ Er legte die Pistole hin. „Ich habe etwas für den morgenden Unterricht vorzubereiten und will die Herren nicht weiter stören.“

Er ging nach dem Hause. Egon bebte vor Wuth und blickte auf Adelheid, die dem Dahinschreitenden träumerisch nachsah. Sie schrak zusammen, als sie bemerkte, daß Egon sie beobachtete.

„Dieser Mann kann Alles,“ rief der Freiherr bewunderungsvoll.

„So scheint es,“ sagte Egon mit scharfer Betonung nach Adelheid hinüber.

„Willst Du nicht schießen lernen?“ fragte Victor seinen Vetter. „Komm, ich will Dich’s lehren.“

„Ja, es wäre an der Zeit dazu,“ mahnte Egon; „so etwas muß früh geübt werden. Komm her, Alfred!“

Aber Alfred weigerte sich.

„Ich kann nicht, es knallt so und da erschrecke ich. Ganz gewiß – ich kann nicht!“

„Laßt ihn,“ sagte Adelheid, „seine Nerven sind zu solchen Dingen noch zu zart.“

Victor und Aenny brachen in lautes Lachen aus.

Alfred trat vor Scham und Zorn das Blut in’s Gesicht und eine Thräne in die Augen. Er wollte sich überwinden, er nahm die Pistole und ließ sich die Griffe zeigen. Aber als er losdrücken sollte, da ließ er die Pistole fallen. Sie war stärker als er; er vermochte es nicht über sich.

Wieder stimmten die Kinder ein schallendes Gelächter an. Egon schüttelte den Kopf „Was soll daraus werden!“

Alfred wünschte, daß ihn die Erde verschlänge.

Die Herren stellten das Schießen ein, und Adelheid ging mit ihnen nach dem Hause zu. Alfred hörte, daß sie über ihn sprachen.

„Du,“ sagte Aenny, „vor Dir hab’ ich gar keinen Respect mehr. Du kannst doch auch gar nichts. – Eins, zwei, drei! Wer mich hascht, der hat mich!“ Und sie flog wie ein Pfeil durch den Garten und Victor jagte hinter ihr her.

Alfred stand still da und sah ihnen nach. Phylax, der große Bernhardiner, ließ sich einen Augenblick verleiten, mitzumachen. Als er sich aber umschaute und sah, daß sein junger Herr stehen blieb, kehrte er zu ihm zurück und legte sich zu seinen Füßen.

Aenny setzte in tollen Sprüngen über Beete, Gräben und Hecken hinweg, ihre braunen Haare flatterten lustig im Winde und Victor erhaschte sie endlich daran wie an einem Zügel. Sie blieb stehen und warf sich jauchzend und lachend ihrem Verfolger in die Arme. „Du lieber Victor,“ schrie sie und gab ihm einen Kuß, daß es weithin schallte, „wir Zwei können laufen!“

Alfred sah das Alles mit an, neidlos, aber doch nicht ohne die geheime Sehnsucht, dem kleinen wilden Geschöpf auf seinen Bahnen folgen zu können. Ach, wie schön wäre das gewesen!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_161.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2018)