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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


weißt, so lange Du lebst, daß Du das Seidengeschäft übernehmen sollst; denkst Du, ich werde alle meine wohlbedachten Projecte umstoßen lassen von der Laune eines herzlosen undankbaren Burschen, dem es einfällt, sich über seine Eltern zu erheben und sich zu gut für sein Vaterland zu halten? Mit welchem Recht forderst Du solche Opfer von mir, Du, der noch nichts, noch gar nichts für seinen Vater gethan?“

„Vater,“ sagte Heiri, „Du bist ungerecht. Ich bin nicht herzlos, nicht undankbar. Ich bin nur eine Natur, die Du nicht verstehen kannst, weil ich unter anderen Verhältnissen aufwuchs als Du. Ich bin noch unreif, die Zeit, wo ich Dir vergelten könnte, ist noch nicht da, aber sie kommt, darauf verlaß Dich, wenn Du nur noch Geduld haben und nicht ermüden wolltest mir Opfer zu bringen, wenn Du mir nur nicht andere Wege vorschreiben wolltest als die, auf welchen ich allein zur vollen Entwickelung gelangen kann.“

„Es giebt keine besseren Wege als die, auf denen Vater, Großvater und Urahn gewandelt und tüchtige Männer geworden sind. Alles Andere, mein Sohn, ist Phantasterei! Das, was durch zwei Jahrhunderte – und so alt ist unser Haus – sich als gut und zweckmäßig bewährt hat, daran müssen wir uns halten, nicht an das unbewährte Neue. So lange die Firma Hösli besteht, hat sie sich vom Aeltesten auf den ältesten Sohn vererbt, und wir sind groß und reich dabei geworden. Und so soll es bleiben in alle Zukunft. Glaube mir, Heiri, wer nicht festen und frommen Herzens am alten Brauch und Herkommen hängt und die Ueberlieferungen seiner Vorfahren ehrt, der ist eine vom Schaft gerissene Fahne, die sinn- und bedeutungslos im Winde flattert!“

„Vater,“ sagte Heiri, „wenn ich einen von den Saltens da drüben so sprechen hörte, würde ich es eher begreifen als von Dir. Ich habe kein Verständniß dafür. Wir jungen Leute haben nur eine Richtschnur, die uns unsern Weg vorschreibt, es ist die des Talents! Das Talent ist ein Factor, mit dem Ihr alten Leute nicht zu rechnen gewohnt seid, weil sich unter dem Zwange Eurer patriarchalischen Familientyrannei keine Individualität frei entfalten konnte. Ihr habt Euch einander von Generation zu Generation in ein und dieselbe Schablone geknetet. Ich bin der Erste, der diesem ertödtenden Zwange entkommen, dadurch, daß ich in Amerika aufwuchs; mein Talent ist zu selbstständiger Entfaltung gelangt wie mein Charakter; ich bin zu groß, um mich noch in Eure alte Schablone einzwängen zu lassen.“

„Bube,“ schrie Hösli, „sprich anders mit Deinem Vater, oder ich zeige Dir, daß ich nicht nur Dein Vater, sondern Dein Herr bin. Weh’ Dir, wenn Du erfahren müßtest, welche Mittel Dein Vater in Händen hat, einen ungerathenen Sohn ‚in die alte Schablone zu zwängen‘!“

(Fortsetzung folgt.)




Victor Scheffel.


Gaudeamus!

Gaudeamus. So lautet der Titel jener hochpoetischen, durch die Frische ihres Humors und durch die Unmittelbarkeit ihrer Empfindung gleich ausgezeichneten Lieder, welche den Namen ihres Verfassers zuerst in weitesten Kreisen bekannt gemacht und wiederholt schon in verschiedenen Ausgaben Verbreitung gefunden haben. Wir setzen darum ihren Titel auch den nachfolgenden biographischen Mittheilungen über den Dichter vor, der von seinem „Trompeter von Säckingen“ bis zu den erst vor wenigen Wochen erschienenen „Bergpsalmen“ sich immer in steigender Gunst bei seinen Lesern zu erhalten wußte. Geboren im Jahre 1826 zu Karlsruhe in Baden, wo sein Vater, ein verdienter Major und Veteran aus den Befreiungskriegen, im Winter 1869 gestorben ist, erhielt Joseph Victor Scheffel seine erste Ausbildung in dem Lyceum seiner Vaterstadt, einer Gelehrtenschule, die sich damals eines hohen Rufes erfreute und für die vorzüglichste in Baden galt. Mochte sich auch gegen die Richtung des einen und andern unter den Lehrern Manches einwenden lassen, so waren es doch zumeist bedeutende Männer, welche in ihren Fächern anregend wirkten und die Selbstthätigkeit der Schüler in der fruchtbringendsten Weise lebendig zu machen verstanden.

Dabei herrschte im äußern Leben der Lyceisten kein allzustrenger Zwang, manche Vorrechte der Studenten durfte sich die frohe, lebenslustige Jugend herausnehmen, und was in einer größeren Stadt zu erlauben bedenklich gewesen wäre, war in dem kleinen, bürgerlich soliden Karlsruhe ohne schlimme Folgen.

An sonstiger Anregung fehlte es in der Residenz auch nicht. Das Theater besaß vorzügliche Kräfte und wurde von den Lyceisten fleißig besucht, und selbst die Politik, sonst der Jugend fremd, bewegte das heranwachsende Geschlecht. Damals war ja Baden der Brennpunkt, wohin sich in ganz Deutschland Aller Augen richteten; und wenn auch Mannheim der Heerd des politischen Treibens war, so versammelte doch die Kammer eine Reihe von Männern in Karlsruhe, deren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_165.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)