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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 12. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Aus eigener Kraft.
Von W. v. Hillern geb. Birch.
(Fortsetzung.)

„Vater,“ rief Heiri empört, „mit solchen Drohungen schreckst Du mich nicht, ich bin ein Mann, kein Kind mehr. An Ketten legen und in den Keller sperren kannst Du mich nicht. Du kannst nichts als mich enterben. Auch dazu lache ich. Ich bin ein Mensch, der sich überall in der Welt sein Brod verdienen und sich ein Vermögen erwerben kann! Ich sollte meinen, ich hätte Dir’s beim Bau der Fabrik gezeigt, daß ich mehr verstehe, als Seide zu spinnen –“

„O, dieser verwünschte Bau!“ unterbrach ihn Hösli. „Mit eigenen Händen will ich ihn niederreißen, ehe ich dulde, daß mein Sohn, mein eigen Fleisch und Blut, sich auf ihm über seinen Vater erhebe!“

„Hör’ mich zu Ende, Vater! Ich wollte nichts anderes sagen, als daß Du mich nicht mit Gewalt zum Gehorsam zwingen kannst. Wenn Du mir nicht mehr als Vater gegenüber stehst, so messen wir uns Mann gegen Mann – und dann bin ich Dir gewachsen – bin ich doch von Deinem eigenen harten Schlage! Aber, Vater – eben das ist es ja auch wieder, was mich bändigt, daß wir so eins sind, daß ich bei aller Verschiedenheit der Meinungen mich doch so ganz als Dein Fleisch und Blut empfinde, als Deinen Sohn! O Gott im Himmel, Vater, nicht Deinen Zorn, nicht Deine Macht, nicht Dein Testament, – nur den Verlust Deiner Liebe fürcht’ ich, nur die Trennung Deines Herzens von dem meinen – denn, magst Du’s nun glauben oder nicht, Vater, ich liebe Dich!“

Herr Hösli stand mit unterschlagenen Armen inmitten des Zimmers, es war als ob sein kräftiger Körper wanke, als Heiri sich, im plötzlichen Ausbruch des Gefühls, an seine Brust warf. Aber er schwieg.

„Vater,“ fuhr Heiri leidenschaftlich fort, „es wird, es darf nicht so weit mit uns kommen! Du darfst mich nicht so schwer dafür strafen, daß ich wurde, wie ich bin, denn Du warst es ja, Du selbst, der mich ferne von Dir, in einem Lande aufwachsen ließ, dessen mächtigen Zauber auf ein junges Gemüth Du doch am besten selbst kanntest! Hättest Du mich als Knaben mit in die Heimath genommen, so wäre ich hier festgewachsen wie dort. Nun bin ich es aber dort, mit meinem ganzen Wesen, mit den zartesten Banden des Herzens – ist es meine Schuld?“

Herr Hösli schwieg noch immer, er schien einen Augenblick überwältigt. Nach langem Bedenken begann er: „Du hast Recht, ich darf Dich nicht strafen für meinen Fehler, und es war ein unverzeihlicher Fehler, Dich in Amerika zu lassen. Ich baute zu fest auf die Treue des Hösli’schen Blutes. Ich will das Aeußerste thun, will Dir einen Weg zur Versöhnung zeigen. Wir müssen beide etwas zu- und abgeben. Ich verzichte auf meinen Plan mit der jungen Altmurer. Gehe hin nach New-York und hole Dir das Mädchen hierher, das Du liebst. Ich will Dir hier ein eigenes Maschinengeschäft gründen, wie es Dein Herz ersehnt, mehr kann ich nicht thun – ich denke, Du wirst zufrieden mit mir sein!“

Er betrachtete mit liebevoller Spannung die Züge des Sohnes, aber Heiri senkte die Wimpern und schwieg.

„Nun?“ fragte Hösli in einem seltsamen Tone.

„Lieber Vater,“ sagte Heiri und kämpfte sichtbar mit einer qualvollen Verlegenheit, „Dein Anerbieten, – wie großmüthig es auch ist – ich kann es nicht annehmen – es kann mir nichts nützen!“

Herrn Hösli zuckte es bedrohlich über das Gesicht, er hielt den Athem an, um seine Mäßigung zu bewahren, bis er Heiri vollends gehört. „Nun? Weiter!“

„Ich muß Dir endlich gestehen, daß ich schon vor meiner Abreise nach London mit Mary’s Eltern gesprochen habe, da ich mir Deiner Einwilligung zu gewiß war, und sie erklärten sich meinem Wunsche geneigt, aber nur unter der Bedingung, daß ich nach drei Jahren wiederkehre, mich mit ihnen associire und mir das amerikanische Bürgerrecht erwerbe. Sie lieben ihr eigenes Kind zu sehr, um es nach Europa ziehen zu lassen. Nur auf dies Versprechen hin entschlossen sie sich, an eine Heirath Mary’s mit einem Ausländer zu denken.“

„Nun, so müssen sie eben von ihrer Bedingung abstehen!“ sagte Herr Hösli, immer noch gefaßt.

„O Vater, das wird nie geschehen – ich kenne diese stolzen Amerikaner, sie werden ihre Forderung niemals zurücknehmen, niemals ihr Kind in das Ausland geben!“

„Wie,“ rief Herr Hösli ausbrechend, „aber ich soll thun, was Jene nicht mögen? Ich soll ihnen den Sohn nachwerfen, den Aeltesten meines Hauses, für ein Mädchen, das nach göttlicher und menschlicher Satzung Vater und Mutter verlassen muß, um dem Manne zu folgen? Und solch ein schmachvolles Anerbieten wagst Du Deinem Vater zu machen, einem Hösli?! Habe ich weniger Ursache stolz zu sein, als diese Stones? Soll ich alle Hoffnungen und Entwürfe für die Zukunft, welche ich auf Dein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_177.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)