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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


dergleichen mehr. Ihnen zur Beruhigung theilen wir gleich von vornherein mit, daß das Turnen, wie es jetzt an vielen Orten von kleinen und großen Mädchen getrieben wird, von solchen Dingen himmelweit verschieden ist.

Adolf Spieß (geboren 1810, gestorben 1858), der geistreiche Schöpfer des neuen Schulturnens, war es, der zuerst mit allem Nachdruck darauf hinwies, daß das Turnen an Knaben- und Mädchenschulen obligatorisch und gleichgestellt den übrigen Unterrichtsfächern einzuführen sei. In einer Turnlehre, welche vier Bände umfaßt, bearbeitete er den Turnstoff systematisch; in seinen beiden Turnbüchern behandelte er das Schulturnen für beide Geschlechter methodisch und didaktisch. Mit feinem pädagogischem Tacte bezeichnete er in denselben die für die weibliche Jugend nicht tauglichen Uebungen. Dagegen schuf er in seinen Ordnungsübungen, Gang- und Hüpfarten und den aus denselben zusammengestellten Reigen eine reiche Fülle wohldurchdachter Uebungen, wie sie sich in vorzüglicher Weise für das weibliche Geschlecht eignen. In Burgdorf, Basel und Darmstadt wirkte er an Knaben- und Mädchenschulen mit ausgezeichnetem Erfolge. Im Großherzogthum Hessen übernahm er als Oberstudienassessor die Leitung des Schulturnens und gründete in dessen Hauptstadt eine Musteranstalt für dasselbe. Aus verschiedenen Ländern wurden Lehrer und Schulvorstände abgeordnet, in Darmstadt seinem Unterrichte beizuwohnen, und alle stimmten in ihrem Urtheile überein und hoben mit großem Lobe hervor, daß Spießens Art und Weise des Schulturnbetriebes eine den Ansprüchen ernster Pädagogik vollständig entsprechende sei.

Mit besonderer Aufmerksamkeit wurde auch seine Behandlungsweise des Mädchenturnunterrichtes verfolgt; denn sein schöpferischer Geist zeigte sich gerade auf diesem Gebiete außerordentlich fruchtbar. Musik und Gesang wurden mit den reigenartigen Uebungen auf sinnige Weise verbunden, so daß Uebende und Zuschauer stets einen wahren Hochgenuß dabei hatten. Leider wurde. A. Spieß zu frühe aus seinem so segensreichen Wirkungskreise abgerufen. Aber dem Mädchenturnen war nun die Bahn geöffnet: der entsprechende Stoff und die richtige Art und Weise des Betriebs waren gegeben: Aerzte und Pädagogen von Bedeutung sprachen es mit Freuden aus, daß dem weiblichen Geschlechte der Segen der Leibesübungen nicht länger mehr dürfe vorenthalten werden. Vom sanitarischen Standpunkte aus wurde die körperliche Ausbildung der Mädchen geradezu als unumgängliche Nothwendigkeit gefordert. Denn nachdem es sich erwiesen hatte, daß eine dem Wesen der Weiblichkeit entsprechende Turnweise existire, die auf gute Haltung, körperliche Entwickelung und Förderung des ästhetischen Gefühles von segensreichem Einflusse sei, durfte mit Einführung derselben nicht mehr gezaudert werden. In der That wurden auch in vielen Städten Turnsäle für Mädchen errichtet und in denselben nach Spieß’schen Grundsätzen unterrichtet. Die Erkenntniß, daß der Leibesunterricht für die weibliche Jugend wenigstens ebenso nothwendig, wenn nicht nothwendiger sei, als für die männliche, nahm, besonders auch in den maßgebenden Kreisen, fort und fort zu. Natürlicherweise, man konnte sich ja nicht verhehlen, daß eigentlich der physische Stand der zukünftigen Generation noch viel mehr von dem weiblichen Geschlecht abhänge, als vom männlichen. Ein Gefühl der Schuld beschlich die Brust; man erkannte, daß man lange, lange Zeit eine Unterlassungssünde begangen hatte. Mit Beschämung mußte man sich eingestehen, daß ja gerade die Mädchen für ihre zukünftige Bestimmung als Gattin und Mutter einer Fülle von Kraft und Gesundheit bedürfen. Denn wer hätte nicht schon die aufopfernde Hingabe einer deutschen Familienmutter bewundert!? Eine Aufopferung, die am Krankenbette von Gatte und Kind keine Grenzen kennt. Wer will die Summe von Kraft bemessen, welche eine treue Mutter in unzähligen Nachtwachen und in unausgesetzter Krankenpflege für die Ihrigen in stiller Duldung dahingiebt? –

Und solcher Aufopferung und Treue gegenüber hätte das deutsche Volk vergessen sollen, was es seiner weiblichen Jugend schuldet? Nie und nimmermehr! Wir dürfen es auch mit Freuden bekennen: Wackere Männer haben das verdienstliche Werk Spießens weiter geführt und für die leibliche Erziehung der Mädchen mit Wort und That in guten Treuen gearbeitet. In Darmstadt, Leipzig, Basel, Frankfurt, Berlin, Dresden, Düsseldorf und noch an vielen anderen Orten turnen Hunderte und aber Hunderte von Mädchen. Lehrer der verschiedensten Länder besuchen diese Musterturnstätten öfter, um sich für den Turnlehrerberuf durch eigene Anschauung des Betriebes recht tüchtig zu machen. Alljährlich finden an den genannten Orten auch Turnprüfungen statt, bei welchen den Eltern die Gelegenheit geboten ist, die Resultate der turnerischen Uebungen in kurzen Umrissen zu überschauen. Eine solche Prüfung stellt das nebenan gegebene Bild dar. Da sehen wir die Mädchen in wohlgeordneten Reihen die Grenzen des Saales entlang ziehen, bald zu Paaren oder zu größeren Reihen sich ordnen, bald in kunstvoll verschlungenen Linien mit anmuthigen Gang- und Hüpfarten und mit zugeordneten Armthätigkeiten sich bewegen, Alles leicht und graciös, als ob sich das so ganz von selbst verstünde; wir ahnen kaum, welch’ systematischer Unterricht, welche Geduld und Mühe des Lehrers erforderlich war, um wie auf ein Zauberwort alle diese Bewegungsformen hervorzurufen. Liebliche Musik oder ein frischer Gesang der Jugend begleitet den fröhlichen Reigen. Stellungen, Märsche in wechselvollen Tempos, Reihenbildungen, Hang- und Schwebeübungen lösen einander ab und jede neue läßt nicht nur die Sicherheit, sondern, was mehr gilt, den errungenen Vortheil erkennen, der deutlich in Kraft und mädchenhafter Anmuth hervortritt. Am überraschendsten zeigt sich dies bei der Darstellung des Reigens, zu dem die Mädchen selbst mit ihren Castagnetten den Tact schlagen.

„Wahrhaftig,“ rief uns bei Anschauung einer solchen Prüfung ein Schulmann zu, „das ist die Poesie des Schullebens!“

Wie lieblich gestalten sich da ferner die Hüpfübungen im großen und kleinen Schwungseile! Kaum sehen wir die Fußspitzen in künstlicher Hüpfweise den Boden berühren, so schwingt das Seil schon wieder ein-, zweimal durch, und wir merken der jugendlichen Tänzerin kaum eine Anstrengung an. Eine andere Abtheilung der Mädchen übt eine Gruppe von Stabübungen durch, welche bald durch schmucke Verbindungen, bald durch gewandte Führung des Stabes unser Entzücken erweckt. Doch wir wollen nicht weiter beschreiben; wir wünschen schließlich nur, es möchte recht vielen unserer verehrten Leser und Leserinnen vergönnt sein, solche mustergültige Turnprüfungen mit anzuschauen. Denn das sind Stunden, in welchen man sich so gerne zurückträumt in die selige, goldene Zeit der Jugend.

D.




Unter den Tropen.[1]
I.

Eine wie schreckliche Geißel für die Bewohner des nordafrikanischen Littorals und Ostindiens die Nachbarschaft des Löwen öder Königstigers auch sei, das Krokodil reiht sich ihnen jedenfalls als ebenbürtiges Glied eines Trio an, welches sich durch Größe und Wildheit auszeichnet.

Es giebt einzelne Fälle, sei es auch unter hunderten kaum einer, wo es ausnahmsweise dem Menschen gelingt, im Kampfe mit dem Löwen oder Königstiger sein Leben zu retten. Das Krokodil läßt seine Beute niemals los. Was es erhascht mit seinen furchtbaren Fangzähnen, hält es fest und schleppt es in die Tiefe; das von ihm Ergriffene ist unrettbar verloren, sei es Mensch oder Thier.

Die Krokodile kommen im indischen Archipel sehr häufig vor. Man findet sie in allen größeren Flüssen, vorzüglich nahe der Mündung. Nur vereinzelt treten sie auf in einigen kleineren Binnenseen. Wahrscheinlich wurden sie dorthin aus muthwilligem

  1. Wir beginnen mit obiger Skizze eine Reihe von Mittheilungen, die uns von einem Freunde der Gartenlaube, einem Herrn K. de C. in Holland, der dreißig Jahre in Java lebte, verehrt wurden. Der Verfasser war Gouverneur verschiedener Provinzen und hatte als solcher Gelegenheit einen Blick in die inneren Zustände des Landes zu werfen, die fremden Reisenden zum größten Theil ein verschlossenes Buch bleiben. Die heutige kleine Skizze möge man nur als einen Vorläufer ansehen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_206.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)