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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

zu schaffen. So ziehe denn hin, treuer liebevoller Sohn, wackerer, echter, bescheidener Künstler; die Stürme sind überstanden, der Hafen ist erreicht.

Es wird aber vielleicht Mancher, der diese Schilderung liest, denken: „Na, da ist der alte Musikant wieder einmal in seinen Lobe-Paroxysmus verfallen, wie es ihm schon manchmal passirte.“

Darauf erwidere ich: „Das soll mir Einer sagen, nachdem er Diem gehört hat!“

J. C. Lobe.


Aus dem Schuldbuche Louis Bonaparte’s.
Die Teufelsinsel.

Bevor ich die Teufelsinsel schildere, einen der vielen Deportationsorte der französischen Republikaner während der letzten siebenzehn Jahre der bonapartistischen Gewaltregierung, muß ich erst noch mit einigen Worten auf das berüchtigte Sicherheitsdecret und auf die gemischten Commissionen zurückkommen. Eugen Tenot, ein sehr gemäßigter Schriftsteller der letzten siebenzehn Jahre, sagt darüber:

„Am 8. December 1851 war in Paris ein Decret unterzeichnet worden, das noch heute nicht zurückgenommen ist und der Regierung die Macht giebt, als Maßregel der öffentlichen Sicherheit, das heißt ohne Richterspruch nach Cayenne zu deportiren ‚die wegen Bruches von Stadtarrest oder Internirung Verurtheilten und alle Individuen, die für schuldig befunden wären, einer geheimen Gesellschaft angehört zu haben.‘ Gegen das Ende des December wurden durch ministerielle Umschreiben die berüchtigten gemischten Commissionen eingerichtet. Man hat sie zuweilen mit dem Prävotalgericht der Restauration verglichen. Diese Zusammenstellung scheint uns aber nicht zutreffend zu sein. Die Prävotalgerichte waren eine Art Kriegsgerichte, die summarisch richteten, aber doch richteten, eine widersprechende Verhandlung und eine Vertheidigung in öffentlicher Sitzung zuließen. Die gemischten Commissionen von 1852 haben ohne alle Procedur, ohne Zeugenverhör, ohne widersprechende Verhandlung, ohne Vertheidigung der Angeklagten, ohne öffentlichen Spruch über das Loos von Tausenden und Abertausenden von Republikanern entschieden. Die Abstufung der Strafen, welche diese Commissionen (im Geheimen) verhängten, stieg von der Ueberwachung durch die Hohe Polizei bis zur Deportation nach Cayenne.“

So Tenot. In Frankreich weiß heute Jedermann, daß diese gemischten Commissionen in zwei großen Perioden, nach dem Staatsstreich des Jahres 1851 und nach dem Orsini’schen Attentat im Jahre 1858, thätig gewesen sind. Die Ziffer der nach dem Jahre 1851 von ihnen Deportirten hat fünfzigtausend, die Ziffer der nach dem Jahre 1858 ungefähr fünfundzwanzigtausend betragen. Deportationen politisch Mißliebiger haben aber noch im verflossenen Jahre in Frankreich stattgefunden. Ledru Rollin hat ganz Recht, vor Aufhebung des Sicherheitsdecrets nicht nach Frankreich zurückzukehren.

Die zur Deportation bestimmten französischen Bürger sind während der letzten siebenzehn Jahre theils nach Algerien, theils nach Guyana, gebracht worden. In Algerien wurden sie je nach den Graden ihrer politischen Gefährlichkeit entweder in den kleinen Städten der Steppe – ich verstehe unter Steppe die Region, welche sich vom atlantischen Ocean bis zum indischen Meere zwischen der fruchtbaren Mittelmeerregion und zwischen der großen Wüste durch das ganze nördliche Afrika ausdehnt – internirt oder in den dortigen Gefängnissen und Forts, beispielsweise in Lambessa und in den Forts von Bab-Azoun, Mostaganem, Bugia, Saint-Grégoire, in der Casbah von Bona gefangen gehalten. Ich habe die drei Provinzen des französischen Afrika, Oran, Algier und Constantine vor einigen Jahren bereist und diese Forts und Gefängnisse gesehen. Die Steppe hat eine Breite von ungefähr zwei starken Tagereisen, an der schmaleren Stelle in der Provinz Constantine habe ich bei guter, trockener Jahreszeit, mit alle drei Stunden wechselnden, sehr kräftigen und schnellen Pferden, zwei Tagereisen gebraucht, um aus der Mittelmeerregion in die Wüste zu gelangen. Die tägliche Reise begann Morgens um drei Uhr und dauerte bis Abends um neun. Den Charakter der afrikanischen Steppe hat wohl niemals Jemand in treffenderen Farben geschildert, als Ferdinand Freiligrath; ich bediene mich deshalb zu ihrer Schilderung seiner Worte:

„Sie dehnt sich aus von Meer zu Meere;
Wer sie durchschritten hat, den graust.
Sie liegt vor Gott in ihrer Leere
Wie eine leere Bettlerfaust.
Die Ströme, die sie jäh durchrinnen,
Die ausgefahrnen Gleise, drinnen
Des Colonisten Rad sich wand,
Die Spur, in der die Büffel traben: –
Das sind, vom Himmel selbst gegraben,
Die Furchen dieser Riesenhand.“

Diese afrikanische Steppe oder die Forts und Gefängnisse in der Steppe waren der Aufenthalt der nach Algerien auf fünf oder zehn Jahr deportirten französischen Bürger. Welche Existenz!

Weit schrecklicher als das Schicksal der nach Algerien Deportirten war war das Schicksal der Unglücklichen, die nach Guyana deportirt worden sind. Sie sind vor ihrer Einschiffung nach Guyana in den Depôts der Bagnos von Toulon und Brest oder im Gefängnisse von Marseille, sowie auf der Fahrt über den Ocean wie Galeerensträflinge behandelt werden. Man hat ihnen Bart und Haare abgeschnitten, sie mit den Füßen an eine eiserne Barre geschmiedet und ihnen die Kleidung eines „Forçat“ angelegt. Manche von diesen nach Guyana deportirten Republikanern haben das dortige Klima und die dortige Misère überstanden und sind theils, weil die „fünf oder zehn Jahre Cayenne“, zu denen sie von der gemischten Commission verurtheilt wurden, abgelaufen sind, theils in Folge der Amnestie zurückgekehrt; der größte Theil dieser Unglücklichen ist aber dem Fieber, dem Klima und der Misère jenseits des Oceans erlegen. Mehrere von den Deportirten nach Cayenne habe ich bei meiner jetzigen Anwesenheit in Paris kennen gelernt und mir ihr Elend und ihre Leiden in Guyana schildern lassen. Zu ihnen gehört der jetzige Chefredacteur des Réveil, Charles Delescluge, der bekanntlich in diesen Tagen wieder zu einer Gefängnißstrafe von dreizehn Monaten wegen einer ganz unbedeutenden Notiz über einen auf dem Marsche übermäßig angestrengten Soldaten unter dem „liberalen Empire“ und unter dem Justizministerium des „anständigen Mannes“, wie sich Ollivier selbst bei jeder Gelegenheit zu nennen beliebt, verurtheilt ist. Delescluge war Präfect des Norddepartements während der ersten sechs Monate der Februarrepublik, ist ein Mann von classischer Bildung und von höchst ehrenwerthem Charakter. Eine gemischte Commission verurtheilte ihn zu zehn (!) Jahren Deportation nach Cayenne wegen Theilnahme an einer geheimen Gesellschaft. Er hat, bevor er nach Cayenne gebracht wurde, drei Wochen auf der Teufelsinsel, einem von den Verbannungsorten für politisch Deportirte in Guyana, zugebracht.

Ich werde nun seinen Aufenthalt auf der Teufelsinsel nach seinen mir gemachten mündlichen Mittheilungen und nach seinen eigenen Aufzeichnungen, welche das Feuilleton des Reveil vor Kurzem veröffentlicht hat, schildern. Delescluge gehörte noch zu den Glücklichen unter den Deportirten der Teufelsinsel. „Ich habe,“ erzählte er mir, „als einer der Letzten auf den Proscriptionstafeln Bonaparte’s, nicht mehr nöthig gehabt, mich mit dem Diensteifer von Kerkermeistern herumzuschlagen, welche sich Mühe gaben, durch ihr brutales Benehmen gegen die politischen Deportirten um den Beifall ihrer Vorgesetzten zu buhlen. Als ich am 16. October 1858 in Guyana landete, fand ich wenigstens Seitens der Regierungsbehörden geregelte Zustände vor.“

Geregelte Zustände! Man höre, wie diese geregelten Zustände auf der Teufelsinsel waren, und man kann sich selbst ein Bild machen, wie die Zustände auf der Teufelsinsel gewesen sein müssen, als die Deportirten ganz und gar der Willkür der Gensd’armerie preisgegeben waren. Ich werde den Deportirten der Teufelsinsel selbst sprechen lassen.

„Während meiner Ueberfahrt von der Königsinsel nach der Teufelsinsel hatte ich den Ort meines Exils vor Augen. Weit kleiner als die benachbarten Inseln, hinter denen sie sich discret

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 218. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_218.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)