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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

„Schäme Dich! Und Du verscherzest Dir Dein Glück. Wenn es denn durchaus sein muß, hier! küsse mir die Hand.“

„Bitte, zieh’ den Handschuh ab!“

„Nein. Und noch Eins, sei recht freundlich gegen Scheck. Wenn Du durchaus Zärtlichkeiten üben mußt, übertrage sie auf Scheck. Nicht wahr, Du spielst auch Schach?“

„Mein Ruhm ist groß! Wer ertrüge die Qualen der Vorwerkswachen ohne Tabak und Schach?“

„Und Du verstehst auch zu zeichnen?“

„Beleidige die Cadettenschule nicht!“

„Du verstehst also Landschaften aufzunehmen und über Schlagbaum – ich meine Baumschlag – und Perspective gut zu reden?“

„Mein gnädiges Fräulein! Betrachten Sie sich diesen Baum mit seinem melodischen Gezweige, diesen Rhythmus, diese Symphonie –“

„Schon gut!“

„Nein, es geht doch nicht,“ sagte der Rittmeister ernsthaft, „wir machen uns nur lächerlich und Deine Freundin zum Feind. Kann es die spröde Louise uns je vergeben, daß wir mit ihr gespielt haben?“

„So? Also das ist der frische Husarenmuth, der ein schönes Abenteuer welk spricht? Sei ohne Sorge. Nach einigen Tagen müssen wir in Streit gerathen und es muß sich einrichten, daß uns Louise unwillkürlich belauscht. Dann gebe ich Dir den Abschied und Du dankst mir – ich erlaube Dir sogar mir knieend den Dank auszusprechen – Du preisest mich hoch und bekennst ehrlich, daß Du Louisen – wie sagt man doch? – rasend, schwärmerisch, titanenhaft liebst. Und – glaube mir, Du wirst nicht zu lügen haben, es wird in Wirklichkeit so sein.“

Die Beiden sprachen lange nichts mehr. Der Rittmeister schien sich in seine Rolle zu finden. Aus langem Hinbrüten lächelte er auf, erhob sich und reichte dem Kutscher und dem Diener seine Cigarrentasche hin; sie nahmen dankend die Cigarren, sie waren beide Soldaten gewesen und wußten diese Höflichkeit eines Officiers zu schätzen.

Marie nickte triumphirend.

Der Rittmeister hatte von Jugend an eine gute Gewohnheit. Er führte in kurzen Sätzen regelmäßig ein Tagebuch. Das hatte er glücklicher Weise bei sich. Er fand die Zeit verzeichnet, da er Louisen begegnet war, und gute Anhaltspunkte, die seine Erinnerung auffrischten.

Marie fand Alles sehr einnehmend und sie konnte aus dem Gedächtniß noch Manches hinzufügen.

Man war wohlgerüstet, und mit froher Laune fuhr man in das Landgut ein.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Der adelige Club in Petersburg. Für Bühnenkünstlerinnen von Ruf kann es kein dankbareres Publicum geben als die Mitglieder des adeligen Clubs in der Newa-Stadt. Wie die Zeitungen berichten, hat Adelina Patti nach Beendigung ihres Gastspiels an der italienischen Oper daselbst von dem genannten Club eine mit einunddreißig Diamanten und einer birnengroßen (?) Perle geschmückte Broche, im Werthe von fünfundsiebenzigtausend Franken, erhalten. Beim Lesen dieser Notiz erinnerten wir uns eines noch kostbareren Geschenks von demselben Club, dessen Zustellung an die betreffende Künstlerin so interessante und pikante Momente aufzuweisen hatte, daß sie einer Mittheilung an dieser Stelle wohl werth erscheinen.

Vor fünf Jahren hatte Pauline Lucca ihr Gastspiel in Petersburg unter immensem Beifall beendet; sie trillerte bereits wieder seit Wochen im Berliner Hoftheater, wie eine einem Eiskäfig entflohene Nachtigall. Da meldeten sich eines Tages bei dem General-Intendanten der königlichen Schauspiele, Herrn von Hülsen, drei Männer aus St. Peter’s Metropole und stellten sich ihm vor als Geschenks-Deputation des adeligen Clubs in Petersburg. Der Sprecher erzählte, daß er und seine beiden Begleiter per Extrazug nach Berlin gesandt worden seien, um Fräulein Lucca, in Anerkennung ihrer Verdienste um die Erweiterung der Hochgenüsse der russischen Aristokratie – ein Sträußchen zu überbringen. Die Gesandtschaft richtete zugleich die Bitte an Herrn von Hülsen, gütigst Anweisung geben zu wollen, wie der delicate Auftrag am geeignetesten auszuführen sein möchte. Der Herr General-Intendant erklärte sich sofort bereit, die nöthigen Veranstaltungen treffen zu wollen, doch wünschte er, von sehr natürlicher Neugierde getrieben, das „Sträußchen“, zu dessen Transport und Uebergabe den Sendern drei Mann und vielleicht auch noch ein ganzer Extrazug nöthig erschienen waren, zuvor mit eigenen Augen zu sehen. Der Sprecher deutete durch ein Fenster auf die Straße; vor der Thür hielt ein Wagen und auf diesem stand ein eleganter runder Carton von bedeutenden Dimensionen, in welchem das Bouquet enthalten sein sollte. Herr von Hülsen ließ den Carton mit großer Vorsicht in sein Zimmer bringen, hier wurde der Deckel des Gehäuses abgenommen, und was entwickelte sich nun? – Ein Bouquet, drei Fuß im Durchmesser, von den schönsten weißen Camelien gebildet, – nebenbei bemerkt in strengster Winterzeit – die Garnirung bestand aus goldgesticktem weißem Atlas, der katholischen Frommgläubigkeit der Gefeierten war durch ein riesiges Kreuz von duftigen Veilchen, das im Grunde der Camelien, wie ein Kind im Schooß der Mutter, lag, Rechnung getragen. Als Mittelpunkt des Straußes, gewissermaßen als das Schwarze in der Scheibe, diente ein Krönchen von fünfzig großen Brillanten, die im Dunkeln förmlich Feuer sprühten. Den Stiel umschlangen zwei handbreite weiße Atlasbänder mit echten Goldfranzen, und in jedes Band war einer der Namen jener hocharistokratischen Clubmitglieder mit Gold kunstvoll eingestickt.

Herr von Hülsen war sichtlich überrascht von der Schönheit und Kostbarkeit des süßduftenden Blumenkunstwerks, und er erklärte der Deputation, daß die Uebergabe desselben jedenfalls keine gewöhnliche sein dürfe. Unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses wurden nun sofort die nöthigen Vorkehrungen getroffen. Für den Abend des erwähnten Tages war die Nikolaische Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ angesetzt, in welcher Pauline Lucca als „Frau Fluth“ excellirte. Der königliche Opernsänger, Bassist, Herr Eduard Bost, der als „Sir John Falstaff“ in dieser Oper die Lorbeeren der Lucca theilt, wurde mit ins Geheimniß gezogen. Der Carton mit dem Bouquet ward in „heimlicher Stunde“ nach dem Opernhause geschafft und in einem der Garderobezimmer einstweilen hinter Schloß und Riegel gehalten.

Am Schlusse der Oper hat „Frau Fluth“ zum „Fallstaff“ ungefähr die Worte zu sagen: „Sir John, es ist uns recht unglücklich gegangen, wir konnten nicht zusammen kommen. Zu meinem Cavalier will ich Euch nicht wieder machen, aber mein Thier sollt Ihr immer bleiben.“ Fallstaff erwidert: „Ich fange an zu merken, daß man einen Esel aus mir gemacht hat.“ Hier fügte er selbstständig ein: „Dennoch aber, liebe kleine Frau! trage ich Euch keinen Haß nach, und als Beweis, daß ich Euch noch immer gut bin, sollt Ihr von mir noch vor dem Nachhausegehen ein Sträußchen haben von Camelien und Veilchen, das ich trotz der rauhen Jahreszeit, für Euch direct aus Petersburg habe kommen lassen.“ Paulinchen sah den Sir John ob seines räthselhaften Extempores mit ihren großen Augen verwundert an; auch das Publicum wartete in Spannung der Dinge, die da kommen sollten. Da gab Herr von Hülsen aus seiner Loge dem Dirigenten des Orchesters einen Wink; alsbald rauschten die ergreifenden Töne der russischen Volkshymne durch die Räume des dicht gefüllten Opernhauses; die drei Russen in ihrem Nationalcostüme traten aus der Coulisse auf die Bühne und überreichten nach der Landessitte knieend der Sängerin das kostbare, durch Schnüre vom Schnürboden herab mit getragene Bouquet. In den ersten darauf folgenden Secunden stand die gefeierte Primadonna einer Statue gleich, starr auf das dargereichte Blumen-Kunstwerk blickend, dann machte sich ihre freudige Rührung in einem reichen Thränenstrome Luft. Das Publicum hatte die Situation schnell begriffen und donnerartige Beifallsstürme brausten noch lange nach dem Fallen des Vorhanges durch das Haus.

A. H. 




Aus Hunger. Im hiesigen Polizeigericht kam gestern folgender Fall vor: Ein armes deutsches Mädchen hatte eine Kanne mit Milch vor der Privatwohnung eines reichen Amerikaners stehen sehen, wo ein Milchhändler dieselbe hingestellt. Hungrig wie sie war, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, sich den köstlichen Trank zuzueignen. Der Milchhändler ertappte die Diebin aber auf der That, ließ sie arretiren und vor das Polizeigericht führen. Auf die Frage des Richters, was sie zu ihrer Vertheidigung vorbringen könnte, ließ ihm die vor Scham und Angst halb betäubte Unglückliche durch einen Dolmetscher sagen, sie hätte die Milch genommen, weil sie hungrig gewesen und keinen Cent Geld gehabt, sich welche zu kaufen. Als der Milchhändler dieses hörte, zog er sofort die Anklage zurück, und der Richter verurtheilte die Diebin zu ein viertel Dollar Strafe, der geringsten nach dem hiesigen Gesetz, welche einer der Anwesenden sofort bezahlte. Der Richter bemerkte darauf, daß man für die arme Fremde etwas tun müsse, und veranstaltete zu ihrem Besten eine Collecte, die er selbst mit einem Dollar begann. Binnen weniger Minuten wurden zwanzig Dollars in Gold unter den anwesenden Amerikanern zusammengebracht, welche Summe der Richter dem armen weinenden Mädchen einhändigte und sie ohne ein ferneres strenges Wort entließ.

Fremde Nationen und auch Deutsche zucken gern die Achseln über den hartherzigen, geldgierigen Yankee mit seinem „allmächtigen Dollar“. Wie aber möchte es dem armen Mädchen z. B. in Deutschland ergangen sein?

Wer hebt den ersten Stein auf gegen jenen amerikanischen Richter?

San Francisco, am 2. März 1870.

Theodor Kirchhoff. 


Ein deutsches Meer. Das Meer, welches sich von Holland bis Hamburg und von dort hinauf den schleswig-holsteinischen und jütischen Küsten entlang bis Norwegen erstreckt und westlich die lang hingestreckte Ostküste Englands und Schottlands bespült, mit Einem Worte: die Nordsee, wird schon von Alters her von den Engländern vorzugsweise der „German Ocean“ genannt. Sollte es nicht am Platze sein, auch in deutschen Schulen dafür die richtigere Bezeichnung des „deutschen Meeres“ einzuführen und dasselbe auf den Karten als solches zu bezeichnen? Sind es denn nicht vornehmlich teutonische Völker, die an seinen Küsten wohnen, und ist es nicht eine bittere Satire auf die deutsche Bescheidenheit, von den Engländern, deren Schriftsteller, Dichter, Naturforscher stets von dem „deutschen“ Meere sprechen, erst lernen zu müssen, was uns als dem Urstamm jener großen Völkerfamilie gebührt?! Wir wissen recht gut, daß einige deutsche Landkarten die Nordsee auch unter jenem richtigeren Namen aufführen, indeß erinnern wir uns aus unseren Schuljahren ebenso gut, daß „Nordsee“ stets die officielle Bezeichnung für dieses Meer war, und es wäre eine Nationalpflicht uns selbst gegenüber, von den Engländern das uns treu bewahrte Wort anzunehmen!


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_256.jpg&oldid=- (Version vom 10.1.2019)